04. Dezember 2018

17 2 0
                                    

Tagebucheintrag, 04. Dezember 2018, 19.52 Uhr, Zimmer


Frisch aus dem Fitnessstudio. Ich musste den ganzen Tag an Lore denken. Weil der eine Prof ganz basic versucht hat, zu erklären, wie Kulturen sich entwickeln, basierend auf und sich abgrenzend von anderen Kulturen. Und er hat das natürlich überhaupt nicht basic gemacht, sondern sehr fachbegrifflich und umständlich und ich bin echt froh, dass englische Sachtexte weniger verkopft vorgehen, als deutsche.


Aber Lorenz hat sich immer so gefreut, wenn er am Ende einer Vorlesung keine genaue Antwort, aber viel mehr Input hatte. Er wollte einfach immer diskutieren und philosophieren, scheißegal, ob dabei was rauskam. Er ist auch bis heute der einzige, der nicht auf Biegen und Brechen bei seiner Meinung bleibt. Normalerweise geht man ja mit einer irgendwie schon festen Meinung an eine Diskussion ran, aber nicht Lore. Der hat gemacht, was er wollte. Dreimal die Seiten gewechselt. Game of Thrones war immer cool mit ihm. Vielleicht schreibe ich ihm mal wieder. Vielleicht auch erst im April. Obwohl er jetzt irgendwann Geburtstag hat.


Ich hab keine Ahnung, was Lore jetzt auf einmal wieder in meinem Kopf macht. Ich denke nie lange an Lore. Vielleicht kommt das einfach von meinem ganzen Herumphilosophiere in letzter Zeit.


Ich philosophiere jetzt eigentlich viel zu selten. Das war so eine Phase, in der ich auch Poetry Slams besucht habe. Und Kierkegaard gelesen. Eigentlich war es die Zeit, als ich mit Lore zusammen war. Coole Zeit, cooler Typ. Tolles Lächeln.

Ich finde es übrigens richtig skurril, was ich für alle Ewigkeiten in dem Büchlein festhalte. Das ist ja tendenziell entweder Schwachsinn oder viel zu deep. Wobei das jetzt nur in letzter Zeit war. Eigentlich nimmt meine philosophische Ader seit Jahren konstant ab (glaube ich). Mit Lorenz zum Beispiel hätte ich Ewigkeiten gebraucht, um auf den Sinn des Lebens zu kommen. Gestern hat mich François gefragt und ich habe richtig stumpf Monty Python zitiert.


Und noch ein Beispiel dummer Dinge, die ab jetzt für immer hier festgehalten sind: François und ich haben gestern nicht nur Monty Python zitiert, sondern gelernt, wie man Origami Schwäne macht. So richtig schön hirnlos nach der produktiven letzten Woche.


Naja. Lore war mein kleiner Philosoph. Ich glaube, ich könnte all meinen Freunden so einen Stempel aufdrücken. Es lebe das Schubladendenken. Marius war der Märchenprinz, Julius der Weltreisende, Lorenz halt der Philosoph, Conor war der Angeber und Franck war... der Sportliche. Und der Erwachsene. Franck war krass erwachsen. Was Elliott wohl gewesen wäre? Egal. Elliott ist erst mal gar nichts. Spielt nämlich keine Rolle. Viel interessanter wäre eigentlich, ob meine Jungs mir alle den gleichen Stempel aufgedrückt hätten. Ich glaube nämlich nicht.


Mir kommt gerade wieder voll der Gedankenüberschuss. Ich hab gestern Schuld und Sühne weitergelesen und ich krieg immer richtig Druck, wenn ich das lese. Ich hab letztens sogar von Rodion geträumt und war nur so... aber was ist mit der Familie? Der Roman ist auf jeden Fall krass. Besser als „Der Spieler", der war mir zu direkt. Ohne all die psychologischen Exkurse und sprachlich schönen Umwege.


Ich hab überlegt, ob meine Gedankenüberschüsse in letzter Zeit daher kommt, dass ich mir vorher keine Zeit mehr dafür genommen habe und jetzt wollen all die Gedanken und neuen Ansätze, die ich durch London gesammelt habe, raus. Ich glaube manchmal wirklich, dass ich mir so eine schwarz-weiß Welt aufbaue und


***


Tagebucheintrag, 04. Dezember 2018, 21.09 Uhr, Zimmer


Sorry. Ala hat mich zum Essen eingeladen. Also, sie hat mir auf meinen Wunsch hin was mitgebracht. Und dann haben wir zusammen gegessen. Wo war ich?


Denken. Ich habe einfach aufgehört zu denken. Ich hatte ja auch keinen Grund in meiner sehr simplen, sehr eindeutigen Lebensweise. Deswegen hänge ich ja auch so an Elliott. Weil der halt nicht eindeutig und nicht rational ist. Da. Das habe ich jetzt auch schon wieder richtig logisch und eindeutig aufgeschlüsselt, nur durch einmal kurz nachdenken. Vielleicht mach ich ja erstmal keinen Master, sondern studiere über drei Umwege Psychologie, das ist ja unfassbar spannend. Vorgezogener Neujahrsvorsatz: Ich fange ab jetzt wieder an, mehr zu denken. Und Schuld und Sühne wird mir dabei helfen. Vielleicht lasse ich mich danach auch wieder auf ein längeres Gespräch mit Marie ein. Das dürfte mein Denken ankurbeln.


Ich gehe am Wochenende übrigens bewusst nicht feiern, weil ich entschieden habe, meinen Alkohol- und Gras- und Zigarettenkonsum runterzuschrauben (das ist auch ein irrationales Thema, über das ich mir mal Gedanken machen kann) und ja. Mal schauen. Wird bestimmt arg langweilig. Mit Dostojewski und dafür ohne Alkohol ins Wochenende ist ein sehr seltsames Vorhaben. Vielleicht mach ich einen Abend ruhig und einen Abend Party? Kompromiss mit mir selbst. Okay, genug geschrieben.

Die SucheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt