Das goldene Mädchen

Abengelage II

Die entflammten Ölschalen erleuchteten die aufwendig begrünte Außenanlage des großen Hauses. Silvana folgte Ramses und dem  Mann, dessen Name sich als Haremhab herausgestellt hatte. Dem Umstand entsprechend, dass die beiden sich derartig tief und lang vor ihm verneigt hatten, schlussfolgerte sie, dass er ein hohes Amt inne hielt.  Lediglich die gewöhnliche Tracht, die er trug verunsicherte sie. 

Die Drei kamen vor einer kleinen Gruppe von Menschen zum Stillstand, die sich um eine lange Tafel versammelt hatten, gemütlich Wein tranken und lachten. Während Haremhab sich auf einen weitaus herrschaftlicheren Stuhl niederließ als die Anderen, erstarrte das Gelächter für einen Moment. Er deutete Ramses und Silvana die Plätze direkt zu seiner linken an. Ramses wollte die kleine Runde gerade begrüßen als ihm sein weiblicher Gast dies zur Überraschung aller abnahm und in fließendem altägyptisch die Worte wiederholte,  die sie schon so oft von ihm, den Sklavinnen oder seiner Schwester Neferto zu Beginn eines Gespräches vernommen hatte.

"Gesundheit,  Glück und Wohlergehen..." meinte sie frei heraus, beugte ihren Oberkörper kurz demütig nach vorn, lächelte und setzte sich.
Ihr Begleiter schien  überrumpelt. Er  wiederholte ihre Worte noch etwas konsterniert und setzte sich ebenfalls,  nicht ohne seine bernsteinfarbenen Augen von Silvana zu nehmen. Auch der Pharao schien überrascht. 
Die kleine Runde von Ägyptern grüßte die eben dazu gestoßenen Gäste mit denselben Worten und begann angeregt zu tuscheln. 

"Ihr sagtet sie wäre unserer Sprache und Gebräuche nicht mächtig!" äußerte sich der Pharao seinem General gegenüber.
"Das ist sie auch nicht, meine Majestät.  Ich denke sie hat lediglich meine Worte wiederholt."
"Nun, diese Auffassungsgabe ist von Vorteil für uns.  Wie nannte  sie mein fähiger General doch gleich?"
"Silvana!" antwortete User ergeben, sodass sich ihre blauen Augen sofort wieder den Beiden zu wanden.
"Silvana! Ein fürwahr befremdlicher Name, mit einer noch befremdlicheren Augenfarbe, nicht wahr?!" lächelte der Pharao, griff nach einer Dattel nicht weit auf seinem Teller und musterte Silvana eingehender.

Die junge Frau verzog kurz inspizierend ihre Augenbrauen. Die Worte des Pharaos klangen bewundernd,  fast freundschaftlich. Dennoch konnte sie nichts damit anfangen also ließ sie ihren Blick erneut neugierig über die tuschelnde Runde von Gästen gleiten,  die allesamt fein herausgeputzt waren. Ihre Aufmachung war so dekadent. Wenn sie das Gold nicht in ihren tiefschwarzen Haaren hatten, dann lag es ihnen um den Hals oder an Ober- und Unterarmen. Auch ihre Ohren trugen das Leichtmetall zur Schau. 

Männer und Frauen schienen zumindest was den dekorativen Aspekt anging, keinen Unterschied zu machen. Einige der Männer hatten einen ausrasierten Schädel und ein sehr feminines Gesicht. Andere hingegen waren durchaus ansehnlich. Unter ihrer braunen Haut spannten sich entschieden ansehnliche Muskeln an, doch Ramses war was das anging, nicht gerade geringer ausgestattet. Zwei dieser Männer mussten wohl Soldaten sein. Entweder das oder Gewichtheben wurde hier als Hobby praktiziert.

"Konntest du schon etwas über ihre Herkunft erfahren, User?!" wollte Haremhab wissen.
"Dazu war noch keine Zeit, mein König." Gestand ihm sein General.
„Wie Schade… Kenan!" Haremhab  richtete sich an einen Mann, Anfang Dreißig. Er war einer derjenigen, die Silvana gedanklich als Soldaten deklariert hatte. Sein Kopf war vollständig rasiert. Seine Muskeln spannten sich unter seiner Kleidung und er trug nur sehr wenig Schmuck an seinem Körper.
"Meine Majestät?!" Kenan stellte den Kelch beiseite und schenkte seiner Majestät vollständige Aufmerksamkeit.
"Lass Schreibmittel herbei schaffen! Wollen wir doch mal sehen in wieweit unsere kleine Besucherin gebildet ist. "
„Jawohl!“ mit diesen Worten entfernte sich Kenan vom Tisch.

Ein paar der Anwesenden begannen diese Vorstellung zu belächeln.
"Sollten wir unsere Gelehrten nicht erst auf das junge Ding ansetzen, wenn sie wieder nüchtern sind?" wollte Basirat, Priester des Horus wissen.
„Glaubt ihr nicht, es könnte unter diesen Voraussetzungen gleich viel amüsanter zugehen, mein Freund?“
„Nun…“ der Priester schien diesen Gedankengang nachvollziehen zu können, wurde allerdings von Adrienna, einer Konkubine Haremhabs unterbrochen.