Das goldene Mädchen

kleiner Lotus

Seit Wochen verbrachte Silvana ihre Zeit damit in Kenans Gemächern, sowohl ihm eine Sprache beizubringen, die noch gar nicht existierte,  als auch sich selbst eine, die schon lange tot war. Die Ironie daran war nicht minder schwer zu erkennen. Sie lag ihr im wahrsten Sinne auf der Zunge.
Sie hatte Ramses und seine Schwester seit der Ankunft in diesem Haus nicht mehr zu Gesicht bekommen. 

Silvana hatte hier ihre eigenen Gemächer. Lediglich Naarah hatte die Erlaubnis sich um die junge Frau zu kümmern. Scheinbar befand Kenan, dass der Heerführer sie sonst von ihren Aufgaben ablenken könnte. Naarah ließ den Gelehrten zwar wissen, dass Ramses davon ganz und gar nicht begeistert war, konnte allerdings nichts gegen den Umstand machen, dass Pharao Haremhab nach einem schnellstmöglichen Lernerfolg verlangte. Seine Schwester Neferto schien diese Entscheidung allerdings für einen wahren Segen zu halten.  

Zum gefühlt hundertsten Mal fuhr Silvana sich gestresst mit den Händen durch die blonden Haare, während der Ägypter der sich Kenan nannte, ihr gegenüber saß und sie abwartend musterte.
Er würde wohl ewig brauchen um sich an diese Haarfarbe zu gewöhnen. Sie trug schon seit ein paar Tagen ihre Perücke nicht mehr. Zumindest solange sie sich bei ihm aufhielt. Da die beiden sowieso die ganze Zeit unter sich waren, störte es niemanden wirklich. Auch wenn er ihr versucht hatte zu erklären, dass es außerhalb wirklich besser wäre stets eine Perücke zu tragen.

Etwas abwesend begutachtete der Gelehrte seine Schülerin und amüsierte sich über ihre Art so schnell aus der Haut zu fahren, wenn ihr etwas nicht auf Anhieb gelang. Sie hatte ihren ganz eigenen Kopf und ließ es ihr Umfeld sofort spüren, wenn etwas nicht so funktionierte wie sie es gewohnt war. 
Rein äußerlich konnte Kenan schon verstehen, weshalb General Ramses sie bei sich einquartieren wollte. Wahrscheinlich traf sie seinen Geschmack für ausländische Schönheiten auf den Punkt. Es kam ihm nur merkwürdig vor, dass er dafür unbedingt mit ihr Reden musste. Kenan schüttelte den Kopf um sich zur Besinnung zu rufen. 

Der Pharao selbst hatte ebenfalls großes Interesse daran mit ihr zu sprechen. Schon in zwei Tagen hätte sie die Chance dazu sich ihm zu erklären. Obwohl sie eine für seine Verhältnisse derartig kurze Zündschnurr hatte, lernte sie äußerst schnell. Vermutlich  weil sie den Großteil ihres Lebens in einer Einrichtung verbrachte die sie 'Schule' nannten.

Kenan erinnerte sich allerdings auch daran, wie er reagiert hatte als Silvana beim gequälten nachsprechen eines simplen ägyptischen Sprichwortes vor Wut die schwarze Perücke gepackt und durch die Bibliothek geworfen hatte. 
Sie befand für sich selbst zwar, dass sie mehr gelernt hatte als sie es in der kurzen Zeit je für möglich gehalten hatte, doch Kenan war immer noch unzufrieden mit ihr. Als sie kurz zu ihm aufsah, schien ihr Lehrer etwas schockiert. Seine Augen fixierten ihr blondes Haar. Noch nie hatte er eine derartig helle Haarfarbe gesehen. Damit hatte er absolut nicht gerechnet. Silvana wusste ja nicht, dass helle Haare und blaue Augen normaler Weise als dämonisch verschrieen wurden. Woher auch? Natürlich hatte Ramses darauf geachtet, sie stets eine Perücke tragen zu lassen. Silvana verzog das Gesicht.

"WAS?" Wollte sie pikiert wissen. Er malträtierte sie hier mit Zungenbrechern und sie durfte sich keine Luft von ihrem Ärger machen? Der bullige Mann mit dem glatt rasierten Schädel und dem goldenen Ibisring am Oberarm verzog süffisant eine Augenbraue und legte die Arme übereinander.
"In deiner Sprache reicht vielleicht ein einziges Wort für eine Frage aus aber das gilt noch lange nicht für die Meine, kleiner Lotus." tadelte er.
Sie atmete ermattet aus, während sie seine Worte verarbeitete. Sie wollte eine Pause. Allerdings hielt dieser Mann von Freizeit offensichtlich nicht viel. Obendrein schien er Silvanas Sprache auch noch viel schneller und besser zu erlernen als sie die seine. Sie rümpfte die Nase. Vielleicht war sie auch einfach die bessere Lehrerin. Einbildung war ja bekanntlich auch eine Bildung.