Kaffee trinken

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Eine Stunde später sitze ich in einem kleinen gemütlichen Café mit den vier alten Herrschaften. Während die drei Damen ununterbrochen reden, sind Mr. Nelson und ich eher ruhig. Wir beide konzentrieren uns nun mal auf die wichtigen Sachen: Essen.

Als Mrs Berry einmal so schnell spricht, dass ich kaum noch hinterherkomme, zwinkert er mir nur wissend zu, ehe er sich wieder seinem Kuchenstück zuwendet.

„Wie ist es denn so in der Schule?", fragt Mrs. Anderson auf einmal und lenkt mich somit von meiner Marzipantorte ab.
Ein wenig überrascht blicke ich auf: „Ganz gut. Mir fällt es eigentlich leicht. In letzter Zeit lerne ich aber auch etwas mehr als normalerweise."

„Und was hast du so für Fächer?", will nun Mrs. Berry wissen, die unglaublich interessiert zu sein scheint.
Mrs. Martin fragt nichts. Sie kennt meine Fächer bereits.
Schon oft habe ich mit ihr auf der Bank gesessen und geredet. Sie meint immer, wenn sie das Grab ihres Mannes pflegt, dass er so oder so immer dabeisitzen musste, wenn sie mit irgendjemandem gequatscht hat. Daher tue ich ihr den Gefallen, ein wenig mit ihr zu sprechen.

„Ich bin gerade dabei meine Kurse für die nächsten beiden Jahre der Oberstufe zu wählen", lasse ich sie wissen, „zu meinen liebsten Fächern zählen zum Beispiel Latein, Deutsch, Englisch und unter den Nebenfächern definitiv Musik."

„Sagt man nicht: Latein ist die Totensprache?", fragt Mrs. Berry erschrocken, wobei ihr fragender Blick zu den anderen Herrschaften gleitet.

Verwirrt starre ich sie an.
Plötzlich beginnt Mr. Nelson neben mir zu lachen. So laut und offen habe ich ihn noch nie lachen gehört, doch nun scheint es mir, als würde er sich gar nicht mehr ein bekommen.

„Oh nein, Mrs. Berry", keucht der ältere Herr, als er sich ein wenig gefangen hat, „Latein ist eine tote Sprache. Nicht die Totensprache!"
Nun fallen auch Mrs. Martin und Mrs. Anderson in sein Gelächter ein. Ein leichtes Lächeln huscht über meine Lippen.

Nur Mrs. Berry verdreht leicht beleidigt die Augen und murmelt dann leise: „Habe ich doch so gemeint."
Während alle bis auf sie, die sich jetzt auf ihren Muffin konzentriert, weiter lachen, beginne auch ich wieder zu essen.

Hinter mir erklingt das helle Türglöckchen, aber ich achte nicht wirklich darauf, jedenfalls nicht, bis Mrs. Martin plötzlich hektisch zu winken beginnt.

„Mr. Walter!", ruft Mrs. Anderson nun ebenfalls erfreut aus, „setzen sie sich doch zu uns!"
Ach so - jetzt weiß ich natürlich, was los ist. Die drei Damen sind allesamt ganz vernarrt in Blade und hoffen zutiefst, dass ich dieses Gefühl ihm gegenüber auch habe. Da werde ich sie leider enttäuschen müssen. Blade und ich sind nur Freunde, aber das scheint in den Kopf von den Dreien nicht hineinzugehen.

„Guten Tag", grüßt er höflich in die Runde und nimmt neben mir Platz.
„Hallo, Mr. Walter", grummelt Mr. Nelson, der als einziger nicht Blades charmantem Lächeln unterlegen zu sein scheint, „wir haben gerade über die Fächer von Miss Jones gesprochen. Haben sie gemeinsame Kurse?"

„Nein, ich bin in der Stufe über ihr. Nur einmal war ich wegen Vertretung in ihrem Geschichtskurs, um ein wenig Stoff zu wiederholen."
Bei dem Gedanken an meinen Geschichtskurs rümpfe ich meine Nase.

„Ist etwas mit diesem Kurs?", will nun Mrs. Martin von mir wissen, der meine Reaktion offenbar aufgefallen ist.
„Meine Lehrerin, Mrs. Monthony, ist ein Drache", erkläre ich trocken und schaufle meinen Kuchen weiter in mich hinein. Aus dem Augenwinkel bemerke ich, wie Blade mich ein paar Sekunde lang mustert.

Mrs. Berry seufzt: „Das war mein Deutschlehrer auch. Damals hatte man ja noch ganz andere Methoden. Ich bin froh, dass ihr Kinder so etwas nicht mitmachen müsst."
Jetzt beginnen alle alten Herrschaften um mich herum, über ihre Schulzeit zu sprechen. Ich lasse mich dadurch nicht vom Essen abbringen. Blade verschwindet kurz, um sich ebenfalls ein Kuchenstück von der Theke zu holen. Auch als er wiederkommt, sind die Drei noch wild am Diskutieren. Sie scheinen vollkommen in das Thema vertieft zu sein, bis plötzlich ein Lied erklingt.

‚Hit the road Jack', schallt durch den kleinen Raum. Irgendwo habe ich es schon einmal gehört, doch ich erinnere mich nicht wirklich daran.
Mrs. Berry hingegen klatscht begeistert in die Hände: „Oh, dazu habe ich immer mit meinem Mann getanzt."

„Wirklich? Ich auch!", seufzt Mrs. Anderson glückselig, „damals war ich noch jung und hatte nichts an den Knien."
„Die Knie machen da doch nichts", erwidert Mr. Nelson locker, „kommen Sie!"
Und ehe wir uns versehen, hat er sie bereits auf eine freie Fläche gezogen.

Ausgelassen beginnen sie durch das Kaffee zu tanzen, in dem außer ein paar anderen alten Damen und einem älteren Paar, die nun begeistert klatschten, sowieso niemand ist.

Obwohl die Drehungen eher langsam sind, sieht es verblüffend gut aus.
Mrs. Anderson strahlt von einem Ohr bis zum andern.
Ich versuche genau wie die anderen im Rhythmus klatschen, auch wenn das nicht immer ganz so hinhaut, wie ich es mir vorstelle. Als ich einem komplett im falschen Moment loslege, höre ich Blade neben mir laut auflachen.

Schnell werfe ich ihm einen vernichtenden Blick zu, den er jedoch lächelnd an sich abprallen lässt.
„Ihr habt ja richtig Feuer unterm Hintern", ruft Mrs. Berry, was alle im Café lachen lässt. Selbst der Kellner, welcher ebenfalls klatschend hinterm Tresen steht, fällt ebenfalls in das Gelächter ein.

„Jetzt ihr Beide", ruft Mrs. Martin, die Blade und mich auffordernd ansieht.
Augenblicklich erstarre ich: „Besser nicht, ich kann nicht tanzen!"
„Und ob du das kannst", ruft Mrs. Anderson herüber, ehe sie erneut von Mr Nelson herumgedreht wird.
„Komm schon, Hestia", meint jetzt auch Blade zu meiner Überraschung und streckt mir seine Hand entgegen.

Ich spüre, wie sich etwas in mir verkrampft. Ich kann das nicht! Zugleich schießt mir das Blut in die Wangen.
Blade aber zieht mich bereits auf die Fläche.
„Einfach locker bleiben", raunt er mir zu und schon geht es los.

Wild wirbelt er mich durch das Café. Blade kann eindeutig tanzen! Seine Schritte sind präzise und genau gesetzt, so als würde er das täglich tun.
Plötzlich dreht er mich wieder. Mit dieser Schnelligkeit hatte ich nicht gerechnet. Ein überraschtes Lachen entfährt mir.

„Geht doch, Liebes", ruft Mrs. Berry, doch ich höre sie gar nicht mehr genau.
Langsam beginne ich die Tanzschritte zu verstehen. Das Pärchen erhebt sich ebenfalls von ihren Plätzen. Beide sind um die sechzig.

Nun sind wir schon zu drei Paare.
Blade und ich können am besten tanzen, was definitiv nicht an mir liegt. Im Grunde tue ich überhaupt nichts, außer ihm die Führung zu überlassen und ein wenig darauf zu hoffen, dass er weiß, was er tut.

„Und?", fragt mich Blade so leise, dass nur ich es hören kann.
Ich kann nicht anders, als zu ihm hinauf zu strahlen: „Frei!"
Irritiert zieht er die Augenbrauen zusammen: „Was?"

„Ich habe mein Gefühl der Freiheit entdeckt. Das hier ist frei sein!"
Erneut wirbelt Blade mich herum, ehe er mich wieder zu sich zurückzieht.
„Dann sollten wir niemals damit aufhören."

Ich lache: „So lange halte ich das aber nicht aus, Blade."
Breit grinsend blickt er auf mich hinab: „Das werden wir ja sehen, Hestia!"

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