Prasseln. Ein leises Prasseln. Ein Crescendo eines Prasselns, denn es wird immer lauter. Neugierig schalte ich die Musik aus und horche stumm. Das Prasseln an die Jalousie meines Zimmerfensters. Es ist der Regen. Der Regen klopft an mein Fester. "Na los, komm raus!", lockt er mich förmlich, mich aus meinem Pyjama zu schälen und nach draußen zu gehen. Zeichenblock und Stifte sind vergessen, schon bin ich angezogen, habe mich in die viel zu große Regenjacke geworfen
und bin mit Kopfhörern bewaffnet vor die Tür getreten. Und stehe hier im Regen. Der Himmel hellgrau und die Tropfen fallen herunter wie gefallene Engel. Sie treffen auf den Dächern, den Bäumen, den Pfützen und dem Beton auf. Das Plätschern ist unglaublich laut. Es erfüllt die ganzen Straßen und Gassen. Die kleinen Pfade hinter dem Wohnblock. Die Pfade, die ich nun entlang laufen würde. Ich gehe und gehe. Genieße die Stille und gleichzeitig den Lärm. Genieße das Gefühl der schweren Tropfen auf meinem Haupt. Unter einer Brücke steht eine Gruppe Jugendlicher, die mich seltsam begutachtet. Aneinandergereiht lehnen sie an der bunten Wand und warten auf ein Ende des Gewitters. Sie kichern leise und deuten auffällig unauffällig auf mich. Verweisen auf meine mehr als nur oversized Jacke und mein bereits durchnässtes Schuhwerk. Die Arme um meinen Körper geschlungen, bahne ich mir den Weg durch die Unterführung, die ich in Kindestagen liebevoll "Graffiti-Brücke" getauft habe, und bin mit meinen Gedanken mehr dabei, mich nicht von den Jugendlichen beirren zu lassen, als zu sehen, wo ich hin watschle. Zack, platsch, tihihi. Mein rechter Fuß ist plötzlich kalt und nass und mir wird es unwohl. Das Bündel 16-Jähriger lacht leise, doch ich höre ihnen gar nicht mehr zu, bin ich doch mehr fokussiert auf das Schmatzen meines alten Sneakers, das er nach jedem Schritt von sich gibt. Weiß waren sie mal, die Betonung liegt auf waren, Präteritum. Denn weiß würde ich sie in diesem Leben wohl nicht nochmal bekommen. Aber egal. Der Spaziergang war es mir wert. Meine Sohlen sind schon durchgelaufen, die spitzen Kieselsteine bohren sich durch sie hindurch und erschweren mir die Schritte.
Umgeben von Bäumen, von Büschen, gelegentlich Parkbänken ziehe ich durch die wachsende Dunkelheit. Ich muss mir mehrmals mit meinen mittlerweile nassen Handflächen übers Gesicht fahren, um wieder für wenige Sekunden sehen zu können. Überall raschelt es. Neben, vor und hinter mir. Ist es der Regen? Sind es Vögel oder andere Tiere? Lauert jemand im Gebüsch? Gott im Himmel.
Ich beschleunige meine schmatzenden und gepieksten Schritte auf dem Schotterweg und sehe gerade aus. Sehe nur grün und erdfarben und grau, sonst nichts. Bin ich hier überhaupt richtig? Finde ich am Ende des Weges die Straße, die ich suche? Ich sehe hinter mich. Hinter mir steht nichts, nur die Bäume und Bänke und Büsche, die ich schon hinter mir gelassen habe. Da ist nichts. Warum fühle ich Blicke auf mir? Mit dem Blick nach vorne trabe ich weiter, mit schnelleren Schritten. Die schwarzen Socken getränkt von Pfützen- und Regenwasser. Die Hosenbeine schon ganz nass, die Regenjacke auswringbar. Die Hoffnung, dass mein T-Shirt darunter trocken ist, bleibt. Aus dem Augenwinkel sichere ich meine Umgebung. Keine Augen, die mich beobachten und trotzdem fühlt es sich so an. Der Wind zerrt scharf an mir vorbei und peitscht mir harte Tropfen ins Gesicht. Wieder streiche ich mit meiner Handfläche über meine Augen und unfasse sogleich wieder meinen Körper. Mir ist kalt. Bitterkalt. Schritt um Schritt. Abrupt bleibe ich stehen und wende mich um, in die Richtung aus der ich komme. Da ist niemand. Da ist keine Menschenseele. Gut so. Ich sehe wieder geradeaus auf mein Ziel, das ich immer noch nicht sehen kann. Eine Metallbarrikade und eine Straße unter einer Brücke müsste es sein, doch da ist nichts. Nur grün, nur Blätter. Nur braun, nur Stämme und Äste und Zweige und Stöcke. Nur grau, nur der Himmel und die Tropfen. Nur beige, nur Kieselsteine und ihr Schlamm. Bin ich falsch? Wo bin ich überhaupt? Es wird dunkel. Soll ich wieder zurück gehen? Nein, was denken die Teenager von mir? Ob ich mich verlaufen hätte, ob ich nicht alle Tassen im Schrank hätte, das würden sie denken. Ich kann nicht einfach wieder zurück und an denen vorbei. Was macht das denn für einen Eindruck? Ich gehe einfach weiter. Und wie ich diesen Entschluss fasse, fasse ich den Mut und setze mich wieder in Bewegung. Mein Kopf schnellt immer noch alle paar Sekunden zurück, um meine Umwelt im Auge zu behalten. Es ist mir, als verfolge mich jemand. Jemand, den ich nicht sehen kann und will.
Es wird immer dunkler, ich sollte nachhause. Dabei bin ich noch nicht einmal in der Lage dazu, bin ich doch immer noch in dieser Allee aus grünen Spitzahorns gefangen, einem Wald aus Buchen und Birken, aus Eichen und anderen Bäumen, deren Namen ich nicht kenne, auf einem Weg, bestehend aus pieksenden Kieselsteinen, mal große, mal kleine, die meine Fußsohlen penetrieren und sich auf Teufel komm raus durch meine labbrigen Schuhsohlen bohren; kenne ich doch immer noch nicht das Ziel oder den Ort, an dem ich hier heraus kommen würde. Meine Sicht verschwimmt, der Weg verschwimmt mit dem Bäumen und durch mein ständiges Umdrehen verschmilzt vorne mit hinten und links mit rechts.
Es wird dunkel und ich habe mich nun offiziell verlaufen, doch ich laufe weiter, laufe geradeaus, in der Hoffnung, den richtigen Weg zu finden. Oder eher, instinktiv den richtigen Weg einzuschlagen, ohne viel dazu zu tun. Diese Hoffnung stirbt zuletzt.
DU LIEST GERADE
Graue Welt - Bunte Gedanken!
Poetry[🇩🇪/🇺🇸] Manchmal ist die Welt grau. Manchmal brauchst du Trost. Manchmal ist ein Buch das Beste, das du finden kannst, um deinen Kummer zu begraben. Durchbreche die Grenzen deiner Fantasie und lasse deinen Gedanken freien Lauf. Zersäge die Glied...