63. Jade

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Tag 53

Ich starre das Armband um mein dünnes Handgelenk an. Es saugt sich wie ein Blutegel an meiner Haut fest, ein rotes Licht blinkt. Sie überwachen mich. Dieses Mal kann ich keine Türen öffnen. Es dient einfach dazu, dass sie meinen Aufenthaltsort stets kennen. Jedes Wort hören, was ich sage. Zum Glück gehören wenigstens noch meine Gedanken mir.

Ich schrecke hoch, als die Tür aufgeht und Josephine im Türrahmen erscheint. Mit langen Schritten kommt sie auf mich zu. Ihre Rebellenkleidung hat sie gegen ein enganliegendes Etuikleid und einen weißen Laborkittel getauscht und sie riecht nach einem Feld von Blu­men.

„Was willst du?", knurre ich und kauere mich wieder auf das Bett.

„Schatz, hab dich nicht so. Hast du alles vergessen, was ich dir beigebracht habe?" Sie nimmt auf einem Sessel platz und überschlägt ihre langen Beine, die in edlen Pumps ste­cken.

Ich beiße mir auf die Unterlippe und meide ihren Blick.

„Sieh mich an, wenn ich mit dir rede. Das ist unhöflich und kindisch", tadelt sie mich. Am liebsten würde ich etwas nach ihr werfen, so kindisch es auch ist.

Ich lasse meinen Kopf aus Protest da, wo er ist. Es ist das Einzige, was ich tun kann, um mich noch ein wenig stark und stolz zu fühlen. Die einzige Willensfreiheit, die mir noch bleibt, bevor ich zu einer Marionette von Dr. Ruth und Josephine werde.

Sie seufzt ergeben. „Es war deine Entscheidung, Jade. Du hast gesagt, du würdest uns helfen."

„Freie Entscheidung? Pah. Da gab es nichts zu entscheiden." Ich würde niemals ein klei­nes Mädchen ausliefern. „Du wusstest von vorneherein, was ich wählen würde."

„Du warst schon früher ein wenig zu weich. Es hat mich immer an deinen Vater erin­nert." Sie seufzt wieder, als würde sie es bedauern.

„Hast du ihn jemals wirklich geliebt?", frage ich. Ich kann es mir nicht verkneifen.

„Ja. Vielleicht nicht auf die Art, die du meinst. Aber ja, das habe ich. Es gibt verschiede­ne Arten von Liebe."

„Dann ist deine von Grund auf blind und dämlich."

„Jade!" Ihre Stimme ist leise, aber scharf wie die Klingen von Tristans geliebten Mes­sern.

„Bist du nur hier, damit ich mich schlecht fühle oder willst du etwas?" Ich wende mich jetzt doch ihr zu, weil ich ihren Gesichtsausdruck sehen möchte. Beinahe meine ich, in ihren Augen Verletztheit zu sehen, aber bestimmt bilde ich es mir nur ein, weil ich es se­hen möchte. Ich will, dass sie die liebende Mutter ist, die ich mir vorgestellt habe. Aber sie denkt in erster Linie an sich selbst.

„Komm mit", sagt sie. Ihre Lippen sind ein dünner Strich. Sie trägt den gleichen Lippen­stift wie Dr. Ruth. Bei diesem Anblick brennt mein Inneres, als würde ich aus Säure bestehen.

Ich stehe auf und folge ihren langen, entschlossenen Schritten. Sie nickt dem Soldat an der Tür kurz zu, der daraufhin rote Wangen bekommt. Ich werfe ihm einen finsteren Blick zu und er strafft sofort seine Schultern. Mein Blick funktioniert also noch immer.

Josephine führt mich zu Dr. Ruths Laboren und stößt die Tür zu Dr. Ruths Büro auf. Sie sitzt an einem Schreibtisch, eine Lesebrille kunstvoll auf der Nase. Ein Lächeln erscheint auf ihrem Gesicht, als sie Josephine sieht.

„Hier ist sie", sagt sie.

Dr. Ruth nickt. „Setzt euch doch."

Josephine packt mich am Arm und zerrt mich auf einen der Stühle, als ich mich nicht rühre. Ich falle unsanft auf das Polster.

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