76. Brandon

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November

Ich starre auf den glatten kalten Metallzylinder, den Jade mir in die Hand gedrückt hat. Ihr Arm sinkt mit letzter Kraft auf den Boden zurück. Blut. So viel Blut. Ihr ganzes T-Shirt ist damit getränkt. Ich muss doch irgendwas tun können!

„Geh", wispert sie und nickt in Richtung des Gebäudes.

Verdammt, es ist ihr letzter Wunsch. Den kann ich ihr doch nicht verwehren.

„Wird Jade sterben?", fragt Clare neben mir leise.

Ich straffe meine Schultern. „Nein. Nein, das ist noch nicht vorbei. Nicht so."

Tommy legt mir eine Hand auf die Schulter. Er ist gekommen, sobald sie Clares Ver­schwinden bemerkt haben. Die Rebellen haben das Gebäude gestürmt. Nur so konnte ich Jade und Clare überhaupt lebend aus dieser Hölle bringen. „Ich pass auf sie auf", bietet er an.

„Lass sie nicht sterben." Ich sammele all meinen Mut zusammen – was zugegeben nicht viel ist – und werfe Jade einen letzten Blick zu. Sie hat die Augen geschlossen, ist bleich wie ein Laken und das Blut strömt immer noch wie ein Fluss aus ihrem Bauch. Ihre Brust hebt und senkt sich schwergängig. „Und pass auf Clare auf."

Tommy nickt und klopft mir ermutigend die Schulter. „Niemand kann schneller rennen als du. Du kannst es schaffen."

Er hat Recht. Ich kann vielleicht nicht kämpfen, aber rennen kann ich. Verflucht, ja das kann ich. Ich drücke Clare an mich, flüstere ihr zu, dass sie durchhalten soll. Ihre Arme lösen sich nur zögerlich von mir und ich pflücke sie irgendwann von mir, als wäre sie eine unliebsame Klette. Es geht nicht anders. Wenn ich jetzt nicht gehe, werde ich hier und jetzt stehen bleiben und Jade beim Sterben zusehen.

Stella nickt mir kurz zu, als ich los trabe. Ich halte ihren Blick für den Bruchteil einer Se­kunde fest. Dann laufe ich los. Ich verwehre mir jeden Blick auf die kämpfenden Rebel­len, die um mich herum die Elitesoldaten in Schach halten. Eiserne Entschlossenheit steht in ihren Gesichtern. Ich sehe sogar Aaron, der gegen fünf Soldaten gleichzeitig kämpft.

Alle sind hier. Um Clare, Jade und mich zu retten. Das ist schon irgendwie schmeichelnd.

Ich nehme den Fahrstuhl, hämmere auf den Knopf. Und dann kommen die Zweifel. Ich werde es niemals aus dem Gebäude schaffen. Was, wenn die Bombe zu früh explodiert und ich sterbe? Was wird aus Clare? Aus Jade?

Clare kann nicht noch ihren Bruder verlieren. Und wenn wir schon ehrlich sind: Ich will auch nicht sterben. Mir egal, ob ich der Superheld des Universums werde und alle ein Poster von mir in ihre Zimmer hängen oder mich anbeten. Was bringt mir das schon, wenn ich tot bin?

Das ist ein Himmelfahrtskommando. Es gleicht Selbstmord. Ich kann nicht glauben, dass Jade mich das tun lässt. Ich werde ein verfluchtes Gebäude in die Luft jagen.

Mein Finger schwebt über dem Knopf für das obere Stockwerk. Für Freiheit, Leben.

Das kann ich nicht tun. Kann ich?

Meine Hand sinkt wieder.

Nein, Jade vertraut mir. Ich muss es tun. Was wäre das schon für eine Welt, in der wir Dr. Ruths kleine Marionettenmutanten sind? Das wäre doch gleichbedeutend für die Welt. Wenigstens kann ich das so verhindern. Wenigstens hat Clare dann ein gutes Leben.

Wem mache ich was vor?

Ich bin nun einmal selbstsüchtig.

Mit aller Kraft ramme ich meinen Finger gegen einen Knopf und fahre meinem Schicksal entgegen.

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