Kapitel 2

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„Ne, oder? Ich wollte heute doch zu Časi!", maulte ich, als meine Mutter mir sagte, dass sie die Schicht ihrer Kollegin übernehmen musste und ich wieder auf meine Geschwister aufzupassen hatte. „Ach Elisabeth, du gehst doch jeden Tag zu ihm, gönn ihm mal ne Pause. Aber wenn du unbedingt meinst, Anna und Marie sind doch sicher begeistert von Pferden, du musst nur aufpassen, dass sie nicht niedergeritten werden. So klein sind sie auch wieder nicht..", versuchte meine Mutter mich zu beruhigen. „Aber ich wollte doch aufs Stoppelfeld! Da kann ich die auch nicht mitnehmen. Ami ginge ja vielleicht noch, wenn sie sich Simbolica nimmt, aber was mach ich denn dann mit Anna und Marie? Mama das geht nicht!", beschwerte ich mich, in der Hoffnung, sie würde einen Weg finden, dass ich die beiden nicht mitnehmen musste. Ihre Antwort ließ all meine Hoffnungen zusammenklappen: „Aufs Stoppelfeld gehst du sowieso nicht. Gewinne erstmal ein paar Turniere, dann können wir darüber reden!" Seufzend sagte ich also meinen Schwestern Bescheid, welche sich natürlich extrem freuten.

Nach dem Warmreiten begann ich eine ungeplante Kür. Ich ließ meinen Wallach passagieren, wendete auf die Mittellinie ab und hielt bei X. Dort grüßte ich und passagierte wieder los. Ich ging bei A auf die linke Hand und ließ mein Pferd Zickzack-Traversalen gehen. Bei C legten wir eine Piaffe ein und schon ging es in einer traumhaften Passage weiter. Bei A galoppierte ich meinen Wallach an und wendete bei C auf die Mittellinie, um ihn Einerwechsel springen zu lassen. Bei A vollführte Časi eine großartige Pirouette und wir ritten nun auf der rechten Hand weiter. Bei E machte Časi wieder diese tolle Pirouette, danach passagierten wir bis zu X. Dort hielten wir an und ich grüßte erneut. Mit Tränen in den Augen ritt ich zu meinen jubelnden Schwestern. Amelie ritt gerade Simbolica, ihre Reitbeteiligung, weswegen sie meinen Ritt nicht mitbekommen hatte, aber Anna und Marie sprachen Lobeshymnen über mich aus. Lächelnd und mein Pferd lobend ritt ich trocken. Ausnahmsweise war ich froh, nicht aufs Stoppelfeld gehen haben zu dürfen.
„Na, so soll das doch aussehen!", rief plötzlich die Stimme eines mir nur all zu gut bekannten Mannes. „Danke! Ich wusste gar nicht, dass er so tanzen kann!", gab ich glücklich zurück und strahlte über beide Ohren. „Ich auch nicht! Da müssen wir doch glatt ein Turnier für euch veranstalten!", lachte Hans, der Hofbesitzer. Warum war er denn plötzlich so nett zu mir? War es Časis Leistung, die seine Meinung über mich so geändert hat?
„Mein Schatz, ich komm morgen wieder", raunte ich meinem Wallach zu, als dieser mich nur verdutzt anschaute, weil ich gehen wollte. Ich kraulte ihn ein letztes Mal zwischen den Nüstern, bevor ich mit meinen Schwestern zurück nach Hause ging.

„Baby, endlich können wir aufs Stoppelfeld!", teilte ich Časi mit. Dabei klopfte ich ihm den Hals und führte ihn am Halfter zum Putzplatz. Dort putzte ich ihn gedankenverloren und legte ihm nach etwa einer halben Stunde den Halsring über den Kopf. Wir wollten gerade vom Hof reiten, als eine Stimme zu vernehmen war. „Elisabeth, warte mal!", rief Hans mir zu und ich drehte mich auf meinem Wallach um. „Wir haben schon ein Turnier geplant. Du bist bereits angemeldet. Das ist doch okay?", fragte er beschwichtigend. „Ähm..jaja, klar. Wann denn?", erwiderte ich etwas verwirrt. „Nächsten Samstag, du hättest also anderthalb Wochen, um deine Kür zu üben" „Aber ich hab noch gar keine Kür!" „Du kannst einfach das von Vorgestern nehmen. Das sah super aus. Du brauchst nur noch passende Kürmusik und übst sie vielleicht noch ein wenig, damit du dich nicht verreitest" Schmunzelnd stapfte Hans davon und ich und Časi ritten endlich zum Stoppelfeld.
Ich tätschelte meinem Pferd noch einmal beruhigend den Hals, bevor ich ihm meine Schenkel leicht in den Bauch drückte und ihn angaloppieren ließ. Er streckte seinen Galopp immer mehr, bis wir schließlich mit einem Affenzahn über das Feld donnerten. Erst zaghaft, dann entschlossen streckte ich meine Arme zur Seite aus und schloss die Augen.
Dieser Moment der Freiheit.
Ich genoss ihn. Časi, der unter mir dahinpreschte, der Wind, der mir ins Gesicht peitschte und meine braunen Haare wild flattern ließ, dieser Moment der Freiheit.
Dieser einmalige Moment. Ich würde ihn nie vergessen.

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