2. Progress

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Das Haus lag mit dem Wagen zehn Minuten vom zugehörigen Dorfzentrum entfernt. Zu Fuß waren es etwa zwei Stunden. Neben seinem Haus gab es auf der anderen Seite des kleinen Sees noch ein abgelegeneres Anwesen, eine dreiviertel Stunde per Fuß. Wooyoung erinnerte sich daran im Sommer jede freie Minute am See zu spielen und am anderen Ufer der glänzenden Fläche den Hausbesitzer zu beobachten. Es war ein junger Mann, dem die Einsamkeit sehr lag und der aber auch fabelhaft mit seinen Großeltern ausgekommen war. In Wooyoungs Erinnerung hatte er außerdem einen Hund, einen kleinen goldbraunen Pudel.

Nachdem er am nächsten Morgen früh erwacht war und vorerst Shiber als Testobjekt für die Waschmaschine missbraucht hatte, ließ er das Stofftier auf der Stuhllehne zum Trocknen zurück, ging einen Spaziergang machen.

Der See lag im Wald versteckt, kaum zehn Minuten vom Haus weg und er hatte endlose Stunden dort verbracht, gespielt, gebaut und geruht, wenn er Abstand brauchte. Die alte Esche, unter der er seinen persönlichen Platz gefunden hatte, erhob sich noch immer nahe der dunstigen Wasseroberfläche und Wooyoung verweilte einen Moment, sah über Meer, Wald und das dunkle Haus in der Ferne hinaus.

Er könnte dort vorbei gehen.

Die Händen tief in den Taschen seines schwarzen Mantels und das Gesicht gesenkt, wanderte er durch das nasse Gras, hing seinen eigenen Gedanken um Arbeit, Leben und Zukunft nach. Eine halbe Stunde schien hier draußen anders zu verstreichen und ehe er es bemerkte, stand er bereits vor dem kleinen Anwesen, stieg gemächlich ähnliche Stufen wie bei ihm hinauf.

Der sanfte Laut einer Glocke hallte trillernd durch das Haus, als er klingelte, für einen Moment darüber nachdachte, ob sein einziger Nachbar denn schon so früh auf war.

Aber in der Tat waren tapsende Schritte zu hören und bereits im nächsten Moment war die Tür offen, zeigte den dürren Mann. Das Haar fiel ihm in dunklen Locken in die Stirn und vor die Augen, ließen sein leeres Gesicht umso düsterer erscheinen. Er trug schwarz, wie man es von ihm gewohnt war und in seiner linken Hand ruhte ein altes Buch, noch offen und um Aufmerksamkeit bittend.

Volle Lippen teilten sich, als sie einander für einen langen Augenblick musterten und als er sprach, war seine Stimme tiefer als der See an ihrer Seite.

"Wooyoung. Du bist wieder hier?"

Gegen seinen Willen musste der Jüngere lächeln und das Buch klappte weich zu, als er verlegen mit dem Fuß über die Veranda scharrte. Dann siegte jedoch die Freude und ein strahlendes Lächeln machte sich auf Wooyoungs Gesicht breit.

"Du hast mich so einfach erkannt? Wow!"

Der andere erwiderte sein Lächeln eher zaghaft, lehnte nun mit einer Schulter in der Tür, um nackte Füße übereinander zu schlagen. Er schien nicht einmal zu frösteln.

"Wie könnte ich dich vergessen? Nach all den Stunden, die ich deinem Lachen lauschte und mich wunderte, welche Art von Delfin sich in unseren See verirrt hat?"

Nun lachte Wooyoung, eben dieses hohe und vergnügte Lachen und lächelte den anderen abermals offen an.

"Es freut mich, dich wiederzusehen, Yongguk. Ich werde für eine Weile das Haus hüten, also bitte ertrage mein Lachen."

Yongguk erwiderte die Geste des Lächelns abermals langsam, nickte bloß.

"Sicher doch. Du bist mir hier stets willkommen, also komm auf einen Tee vorbei, wenn du Zeit hast. Du scheinst einiges erlebt zu haben." Dunkle Augen glitten über buntes Haar und Wooyoung stimmte freudig zu, verabschiedete sich dann wieder, um nicht zu lange zu stören.

Yongguk war ungefähr zehn Jahre älter als er. Früher hatte er seine Urlaube oft mit seiner Familie in diesem Haus verbracht, aber er lebte schon bald alleine dort, fand Ruhe in der Abgeschiedenheit. Wo es für ihn perfekt schien, so fand Wooyoung es zu einsam, zu fern ab von Lachen und Menschen, um glücklich zu werden. Dennoch verließ er den anderen aufgeheitert, bereit für den Tag.

Heute mussten die Vorräte aufgefüllt werden. Er brauchte Lebensmittel und dergleichen, die sich nicht von selbst in seinem Haus materialisieren würden. Ein dickerer Mantel wäre auch eine Idee. Fröstelnd stieg er in den alten Wagen und brauchte einen Moment, um sich vertraut zu machen, sich daran zu erinnern, wie man doch gleich schaltete.

Das Dorf war klein und überschaubar, Tante Emma Läden neben kleinen Bäckereien und einem einzigen Metzger. Nicht einmal ein Supermarkt war in Sicht, aber es war die Gewohnheit.

Zu Wooyoungs Überraschung wurde er an jeder Ecke wiedererkannt. Da war die kleine Frau Kim in ihrer Bäckerei, die ihm lachend zwei Brezeln einpackte, die er nicht bestellt hatte. Die Tochter von Frau Ok, die den Lebensmittelladen ihrer Mutter übernommen hatte. Er war mit ihrem Sohn zusammen in die Schule gegangen und eng befreundet gewesen und die Zeit vertickte, in der er nur mit alten Freunden wieder aufholte und sich über die wenigen Änderungen im unproblematischen Dorf informierte.

Sie waren allesamt froh ihn zu sehen und wünschten ihm viel Glück mit dem Haus, sprachen ihm gut zu, wenn er von seinen Überlegungen sich einen richtigen Hund anzuschaffen sprach. Sie erkundigten sich auch über Yongguk, der sanfte Künstler ebenfalls beliebt im Dorf, wenn auch sehr scheu.

Die Sonne begann bereits wieder vom Himmel herab zu wandern, als er endlich alles beisammen hatte und alle Leute, die ihn auf der Straße angesprochen hatten, verabschiedet hatte. Er fuhr langsam wieder zurück, genoss die Farben des fallenden Laubes um sich und alles was so vertraut, wie als sei er nie fort gewesen, würde diese Straße immernoch jeden Tag hinab fahren.

Es war viel zum schleppen und er ging vier Mal hin und her, bis er endlich alle Einkäufe und Geschenke zu sich ins Haus geholt hatte, schaltete zuallererst wieder seine Musik ein, um die Stille zu füllen.

Er kochte eine Weile lang, aß dann allein mit YouTube Videos auf seinem Handy. Während er danach fertig im Haus sauber machte, telefonierte er mit einem ekstatischen Jackson, der schon jetzt seinen ersten Besuch plante und tausend und eine Frage über die Leute in der Stadt stellte.

Shiber war vom Stuhl gefallen und unter das Bett gerutscht, als er wieder sein Zimmer betrat und er hob ihn abermals von dort auf, legte ihn dieses Mal auf dem Tisch ab. Das Gespräch mit Jackson dauerte an, während er das Zimmer seiner Großeltern entstaubte, seine wärmere Jacke an die Tür hängen ging und die dünnere achtlos über der Stuhllehne platzierte.

Jackson quasselte noch immer über ihre Freunde daheim, über Yugyeom den Trottel, der sich mit Mark angelegt hatte und wie Youngjae mal wieder überflüssigerweise befürchtet hatte durch seine Prüfungen zu fallen, nur um mit Leichtigkeit zu bestehen. Es klang vertraut und Wooyoung lag irgendwann schläfrig im Bett und konnte kaum noch die Augen offen halten, so sehr lullte Jacksons raue Stimme ihn ein.

Das Handydisplay war schon bald das einzige Licht im Raum und Wooyoung machte die künstlerische Feststellung, dass sein Stuhl mit all den Klamotten in der Finsternis beinahe aussah wie ein Mensch, nur ohne Kopf eben.

Jacksons Lachen war einer der letzten Erinnerungspunkte, bevor er einschlief.

-

Wooyoung hatte vom See geträumt. Von einem warmen Nachmittag mit seinen Großeltern und seinem Bruder am Strand, wie die beiden Jungen es geliebt hatten, einander zu erschrecken, indem sie sich im warmen Wasser gegenseitig am Fuß berührten, den anderen zum kreischen brachten. Yongguk hatte wahrhaft einiges über die Jahre hören müssen.

Im Sommer war der See klar und man konnte bis zum Grund sehen - was einem natürlich nie die Angst nahm von etwas Glitschigem am Fuß berührt zu werden - und wenn nicht geschwommen wurde, dann wurden Steine über die Wasseroberfläche hüpfen gelassen.

Es waren warme Erinnerungen voller Lachen und er vermisste mit einem Mal seinen Bruder, der gerade seinen Militärdienst absolvierte, hoffte bald von ihm zu hören.

Mit dem Morgen kam auch neue Arbeit, die Veranda musste geschrubbt werden und das Holz geprüft.

Es versprach wieder ein langer Tag zu werden und seufzend schnappte sich Wooyoung seinen Pullover vom sonst leeren Tisch, eilte die Treppen hinab. Mit Musik würde alles besser sein. Und gleich nachher würde er sich nach einem Tierheim oder Züchtern umhorchen.

Er konnte es in Erwägung ziehen sich einen richtigen Shiber zuzulegen.

Monster unterm Bett [WooSan]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt