6. Whisper

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Wooyoung hatte etwas anderes erwartet.

Nein, eigentlich hatte er das nicht.

Er war allein. Allein in einem dunklen Haus voller Monster, die laut Yongguk eine beliebige Gestalt annehmen konnten. Allein mit einer Gruppe übernatürlicher Wesen, die ihm zwar nichts tun konnten, aber mehr Macht über seine Ängste hatten, als er in seinem fragilen Zustand verteidigen konnte.

Das Zufallen der Haustür hinter ihm genügte bereits, um das schwere Gefühl der Angst in seinem Bauch krampfen zu lassen, die Haut kribbelig mit Übersensibilität.

Er war von ihnen abhängig. Wenn sie beschlossen ihn hier und jetzt so sehr zu erschrecken, dass er die Treppen hinab und in einen kalten Tod stürzte, dann würde niemand wissen. Nur Yongguk.

Mingi folgte ihm gemütlich tiefer ins Gebäude hinein, schien sich suchend nach seinen Freunden umzusehen. Er wirkte schreckhaft genug, um selbst das Licht anzuschalten und nach einem langen unschlüssigen Blick auf Wooyoungs angespannten Rücken, beschloss er Feuer zu machen.

Irgendwo tropfte ein Wasserhahn.

Wooyoung rieb sich müde die Stirn, spielte mit dem Gedanken vor all diesem Stress eine Aspirin zu nehmen, der er war sicherlich nicht bereit dafür seine Spielpuppe herummaschieren und reden zu sehen. Plötzlich klang auch die Idee sich zu betrinken gar nicht mehr so unattraktiv. Noch abwägend, was er für besser befand, ging er schnurstraks in die Küche, ließ Mingi allein, um den Wasserhahn abzudrehen.

Mit einem Gurgeln verstummte das Wasser im Abfluss.

Mingi hatte eine menschliche Form für ihn angenommen. Vermutlich, da er nun als Erwachsener kein klares Bild mehr von seinen Ängsten hatte. Was früher ein buntes Monster war, war nun nicht mehr, nicht mehr als ein Konzept, das egal wie aussehen mochte.

Nachdenklich streckte er die Hand zum Kühlschrank aus, um seinen Saft zu greifen, erwartete es halb ein kleines, wütendes Kerlchen in der Tür zu sehen.

Aber nein. Für einen langen Moment starrte er nur gedankenveloren in den Schrank, ohne tatsächlich zu sehen, dann klärte sich sein Blick und er erstarrte, ein ungehörter Schrei in seiner Kehle stecken geblieben.

Da war ein Kopf. Ein menschlicher Kopf im Schrank. Ein menschlicher Kopf mit faserigen, abgefetzten Hautstücken am Resthals, mit offenen Augen.

Wooyoung brachte keinen Ton heraus, konnte sich nicht rühren, das groteske Bild bereits grausam in seinen Lidern eingebrannt.

Er blinzelte.

Und der Kopf blinzelte zurück.

Statt einem Schrei wurde dieses Mal direkt in Ohnmacht gefallen.

-

"Du hast ihn getötet, bevor er das Zimmer aufgeschlossen hat?"

"Nicht ich! Hätten gewisse Leute nicht wieder ihre Köpfe überall rumliegen gelassen, dann-"

"Jetzt mach mal halblang! Du weißt genau, dass ich ihn abends gerne kühle! Du warst direkt bei ihm!"

"Will keiner darüber reden, wie er uns so schnell durchschaut hat?"

"Naja, unsere Fertigkeiten im nicht Auffallen waren jetzt nicht so großartig. San hat es buchstäblich vergessen sein Licht auszumachen, während er auf ihn gewartet hat."

Die drei Stimmen, die wild durcheinander redeten, halfen Wooyoung mit seiner Migräne genau nichts und er verlautete den Gedanken in einem leisen Stöhnen, schlug murrend die Augen auf.

Da waren drei Paar Schultern über ihn gelehnt. Aber nur auf zwei der drei Paar saßen Köpfe.

Sein Kreischen hallte ohrenbetäubend durch das Haus, schreckte hoffentlich inzwischen auch den letzten Bewohner auf und mit einem Satz war Wooyoung hoch von der Couch und hinter den Fremden mit Kopf gesprungen. Ungeschickt griff er sich dessen Hände und zog sie auf seinen Rücken, traf auf kaum Widerstand von Seiten des grell blonden und rot angezogenen Mannes.

Monster unterm Bett [WooSan]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt