Die dritte Zigarette

402 15 0
                                    

Unsere ach-so-nette Religionslehrerin, also Satan höchstpersönlich, teilte uns mit, dass wir in Zweier-Teams unsere Abschlusspräsentation machen müssen. Die Gruppen werden natürlich durch Zufall bestimmt. Ich glaube nicht an "Zufall". Meiner Meinung nach passiert alles aus einem bestimmten Grund. Keine Ahnung, ob wir über unser Schicksal bestimmen oder ob dies Gott für uns erledigt. Irgendwie erschreckt mich die Vorstellung jedes mal, dass ich nicht über mein Schicksal bestimmen könnte.

Als Alice an der Reihe war mit dem Ziehen, schaute sie sich zuerst um, guckte dann auf ihr Zettelchen und drehte sich dann lächelnd zu mir um.
„Anscheinend kreuzen sich unsere Wege mal wieder", sagte sie fröhlich.
Ich freute mich irgendwie, aber gleichzeitig hatte ich auch Angst, dass ich unsere "Freundschaft" schon davor versauen würde, bevor sie erst begonnen hat.
Also lächelte ich nur.

Der Rest von den Stunden fiel, wie jeden verdammten Tag, langweilig aus.

Nach der Schule machte ich noch einen kurzen Halt beim Kiosk. Ich kaufte eine Packung Fisherman's Friend, da ich auf keinen Fall wollte, dass meine Eltern etwas vom Rauchen mitbekommen. Natürlich hatte ich die Zigarettenschachtel wieder dabei.

Erstens, hatte ich Angst, dass es meine Eltern zu Hause finden würden, wenn sie mein Zimmer durchsuchen (das taten sie tatsächlich) und zweitens, wollte ich heute wieder rauchen. Nein, ich bin nicht abhängig. Noch nicht, sagte die böse Stimme in meinem Kopf.

Es fühlt sich einfach gut an. Ich habe endlich etwas gefunden, was das Geschehene, Gesagte und meine Gedanken, vergessen lässt. Es gibt einfach zu viel, das ich gerne vergessen würde. Meine Eltern, ihre scheiss Regeln, die Schule, die Lehrer, die anderen, dass ich fast übergewichtig bin und vor allem wollte ich vor meinem Leben flüchten.

Ich zahlte schnell, da der Typ (junger Araber) heute nicht arbeitete (sonst hätte es fünf Minuten länger gedauert) und machte mich auf dem Weg nach Hause. Ich nahm einen Umweg, um in Ruhe rauchen zu können. Ich zog die Packung hervor. Die restlichen Zigaretten und mein Feuerzeug, den ich dort verstaut habe, damit alles an einem Ort ist, befanden sich darin. Was sich darin befand, war mein Fluchtversuch vor der Realität.

Ich tat die Zigarette zwischen den Lippen und zündete sie an. Ich zog den Rauch ein, was mich ein wenig zum Husten brachte. Vielleicht habe ich zu fest dran gezogen. Ich atmete den Rauch langsam aus und sah zu, wie sie sich langsam auflöste. Eine Frau spazierte vorbei, die mich merkwürdig anstarrte. Sie sah aus, wie 90 Prozent der Mütter an meiner Schule. Meine Mutter sah auch so aus.

Meine Eltern versuchten immer eine perfekte Tochter zu erziehen. Ich muss mit grossem Leid gestehen, dass sie daran gescheitert haben.

Ich bemerkte, dass meine Zigarette schon ganz klein ist und so warf ich sie auf dem Boden und zerstampfte sie. Mit dieser Bewegung wurde ich wieder zurück in die bittere Realität gerissen. Ich wollte das nicht. Ich wollte noch eine Zigarette anzünden. Nur noch eine. Doch ich wusste, dass ich sie einteilen musste, denn ich war mir nicht sicher, wann ich wieder an eine Packung drankommen würde. Vielleicht erst, wenn ich 16 bin, aber das dauerte noch ein Weilchen, um genauer zu sein, sieben Monate.

Ich schaff das. Ich kann sieben Monate auch ohne Zigaretten aushalten. Ich konnte es bisher auch. Tief in mir wusste ich, dass das alles nur Lügen waren. Wie sollte ich es denn schon schaffen? Heisst, etwas zu schaffen, wöchentlich mehrmals zu Hause zu hocken und die Seele aus dem Leib heulen? Vor lauter Verzweiflung begann ich wieder zu weinen. Ich wollte am liebsten abhauen. Für immer.

„Wo warst du?!", brüllte mich meine Mutter an.
„Ich hatte erst ein bisschen später aus"
Lüge
„So wie gestern? Denk ja nicht, dass uns deine Klassenlehrerin keine Nachricht geschickt hat, von wegen, ihr hättet gestern eine Stunde früher aus", donnerte nun auch mein Vater.
Ich war den Tränen nahe und wollte einfach nur noch weg. Weg von meinen Eltern. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, drehte ich mich um und flüchtete aus der Wohnung. So etwas, habe ich noch nie gemacht. Ich wusste nicht, wohin ich gehen sollte, also rief ich Alice an.
Ich weiss auch nicht wieso, aber das war die erste Idee, die durch meinen Kopf schoss.

Die erste Zigarettenschachtel Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt