„Ich grüsse Sie. Ich heisse Helen Meyer und bin die Mutter von Alice. Alice geht in die Klasse von ihrer Tochter. Beruflich bin ich eine Beraterin für Jugendliche", grüsste sie meine Mutter und reichte ihr die Hand. Etwas zögerlich schüttelte meine Mutter ihre Hand.„Darf ich Sie fragen, warum Sie hier sind?"
Meine Mutter versuchte höflich zu klingen, aber man sah ihr an, dass sie sich nicht über diesen unerwarteten Besuch freute.„Ich würde gerne mit Ihnen über Ihre Tochter reden", sagte Frau Meyer so ruhig wie möglich.
„Aber warum denn das? Ich habe nichts gemacht. Wirklich nichts. Ich habe sie noch nie vor die Tür gesetzt", schützte sich meine Mutter.Meine Mutter ist nicht dumm, sie weiss, dass Alice's Mutter, auf Grund ihrer Arbeit, in engem Kontakt mit der Jugendfürsorge stehen muss. Sie wollte schliesslich keine Probleme um den Hals haben. Vor allem wegen mir nicht.
„Alles gut. Kein Grund zur Aufregung. Ich bin wirklich nur für eine kurze Konversation hier", versuchte Frau Meyer meine Mutter zu beruhigen.
Die nächste Viertel Stunde verging schmerzhaft langsam. Frau Meyer erklärte meiner Mum, warum es wichtig ist Jugendliche zu respektieren, ihnen eine gewisse Freiheit geben, zu diskutieren, anstatt zu schreien und Liebe und Fürsorge zu zeigen.
Mehr als ein "Hmm", "Ja" oder "Okay", sagte meine Mutter nicht. Meistens nickte sie nur.
„Vielen Dank für ihre Zeit", verabschiedete sich Frau Meyer und ging.
Ich schaute meine Mutter erwartungsvoll an.
„Wozu war das jetzt gut? Denkst du also, ich wäre eine schlechte Mutter? Wieso holst du so jemand in meiner Wohnung, die mir nachher auch noch sagen möchte, wie ich dich zu erziehen hab?" Mit jedem Wort wurde meine Mutter lauter. Das letzte Wort brüllte sie regelrecht.Doch anstatt verzweifelt zu weinen, bewahrte ich Ruhe, schaute ihr direkt in die Augen und sagte kalt: „Ich habe gehört, wie du zu Dad gesagt hast, dass ich eine Schande wäre, du dir eine bessere Tochter wünschen würdest, du nicht mehr meine Mutter sein möchtest und dass ich nicht mehr deine Tochter wäre". Ich würdigte sie keines Blickes mehr und verschwand in meinem Zimmer.
Ungefähr zwei Stunden später, kam mein Vater nach Hause und stürmte in meinem Zimmer.
„Was denkst du dir dabei, wenn du einfach irgendeine Frau hierher holst?", hob mein Vater seine Stimme. Ich schaute ihn an und schwieg. Eine Weile blieb er noch da und wartete auf meine Entschuldigung. Vergeblich.„Hallo", quietschte Alice fröhlich.
„Hey"
„Meine Mutter hat mir erzählt, dass man deine Mutter leicht in die Kategorie der unmöglichen Eltern stecken könnte", teilte sie mit.
„Ja, könnte man so sagen", meinte ich.Nach der Schule, schlichen sich Alice und ich aufs Schulklo, um reden zu können.
„Ich würde mich echt gerne wieder mal so frei fühlen, wie als wir oben auf der Wiese sassen", gestand ich ihr.
„Ich auch", gab sie zu.
„Ich habe einen Plan", meinte ich zwinkernd.Fünf Minuten später, standen wir im Hinterhof.
Wir sind durch die Hintertür rausgegangen, da mich meine Mutter abholen gekommen ist. Zum Glück, war das Schulareal nicht abgegrenzt. Denn so konnten wir uns ganz einfach aus dem Staub machen.Plötzlich breitete Alice ihre Arme aus, rannte los und lachte. Ich tat es ihr gleich und wir rannten, und rannten, und rannten. Wir erreichten die Wiese, wo wir übernachtet haben, legten uns hin und lachten, obwohl uns die Puste schon längst ausgegangen ist.
„Das war toll", meinte Alice. Ich konnte ihr nur zu stimmen: „Ja, das war echt toll"
„Alice, hast du dein Handy ausgeschaltet?", fragte ich besorgt.
„Holy shit, nein, hab ich nicht. Ich mach's."
Und schon fischte sie ihr Handy aus der Hosentasche und schaltete es aus.„Gehen wir", entschied sie fest entschlossen.
Ich hob fragend die Augenbrauen, doch sie hatte nicht vor mir zu erklären, woher diese plötzliche Entschlossenheit kam. Also gingen wir los.Wir befanden uns bei den grossen Wohnblöcken, wo wir schon mal waren, als ich einen Einkaufswagen bemerkte. Es stand etwas abseits bei den Müllcontainern.
„Ich hab ne Idee", meinte ich schmunzelnd.
Alice musterte mich fragend.Kurze Zeit später, schob ich sie im Einkaufswagen, dem Flussufer entlang. Sie schrie vor Freude und ich auch. Ich werde diesen Moment nie vergessen. Ich fühlte mich frei und ich wusste, dass es ihr gleich ging.
„Freiheit!", schrie Alice und streckte ihre Arme hoch. Irgendwann kamen wir an einem Ort an, wo ich vorher noch nie war.
Wir befanden uns neben einem kleinen Spielplatz. Mehr als eine Rutsche und einer Schaukel, gab es nicht. Sowohl die Rutsche, als auch die Schaukel, waren in einem recht verrosteten Zustand. Das Ganze hatte etwas trostloses an sich.
„Weisst du, wo wir sind?", fragte mich Alice unsicher.
„Keine Ahnung, aber ehrlich gesagt, interessiert es mich auch nicht besonders", so meinte ich es wirklich. Ich war mit meiner anscheinend-besten-Freundin, Alice, hier und ohne meine Eltern, Sorgen und Stress.Ich setzte mich ebenfalls zu Alice in den Wagen und zog eine Zigarette und meinen Feuerzeug hervor. Ich steckte die Zigarette zwischen meinen Lippen und zündete sie an. Sofort spürte ich das Brennen in meinem Hals und Lunge.
„Willst du auch eine?", fragte ich Alice, obwohl ich die Antwort schon wusste. Dankend nahm sie mir die Zigarette entgegen und ich zündete sie ihr an. Diesmal musste sie gar nicht husten.
Die Sonne ist nun untergegangen. Alice und ich sassen da und rauchten still unsere Zigaretten. Somit gab es keine Zigaretten mehr in der Schachtel.
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Die erste Zigarettenschachtel
Ficção AdolescenteGeklaut. Geraucht. Geweint. Gelacht. Gelebt. ___________________________________________ Eine rein fiktive Geschichte über ein 15 jähriges Mädchen und natürlich Zigaretten.