Die Monate vergingen, in denen Lysander und ich kein Wort miteinander sprachen. Seit meine Mutter im Krankenhaus war, hatte ich viel zu tun und musste mich um sie kümmern. So kam es dazu, dass ich immer wieder Verabredungen absagte und wir uns immer weiter voneinander distanzierten, bis selbst ein einfaches:„Hey", auf dem Schulflur nicht mehr zustande gekommen ist. Es machte mich fertig, ihn nicht bei mir zu haben. Ich vermisste die unbeschwerten Zeiten, in denen wir jede freie Sekunde miteinander verbracht haben, ich mit ihm gelacht und mich bei ihm wohl und geborgen gefühlt habe. Wo sind diese Zeiten nur hin? Ich war frustriert. Gerade jetzt bräuchte ich Lysander an meiner Seite. Doch das habe ich mir selbst zuzuschreiben. Ich an seiner Stelle hätte auch keine Lust mehr, wenn ich dauernd von einer Freundin versetzt oder vertröstet worden wäre. Übel nehmen kann man es ihm also nicht. Aber es ist schon so lange her, dass wir miteinander gesprochen haben. Ich traue mich einfach nicht mehr. Aber er wird auch nicht mehr auf mich zukommen.
Als wäre es nicht schon anstrengend genug, sich um meine Mutter zu kümmern. Ich habe Lysander gut verdrängt und das als Chance zu sehen, über ihn hinwegzukommen. Er wäre ohnehin nicht an mir interessiert gewesen. Die Gesundheit meiner Mutter hat jetzt oberste Priorität.Seit der Auseinandersetzung mit meinem Vater, hatte sie sich wieder erholt, doch trotzdem brauchte sie noch Bettruhe. Nach einigen Wochen durfte sie wieder nach Hause zurückkehren. Ihr wurde geraten, das Schloss auszutauschen, damit mein Vater keinen Zugang zum Haus bekam. Mein mulmiges Gefühl ließ mich nicht los.
Ich kümmerte mich jeden Tag vor und nach der Schule um meine Mutter und übernahm den kompletten Haushalt. Sie sollte sich so wenig wie möglich betätigen oder überanstrengen. Dennoch erwischte ich sie bei meiner Heimkehr oft beim Kochen oder Putzen. Als ich sie wieder beim heimlichen Putzen ertappte, sah sie mich erschrocken an und zog im nächsten Moment ein wehleidiges Gesicht:"Hallo, mein Liebling. Es tut mir leid, dass ich hier sauber gemacht habe. Aber ich habe sonst nichts zu tun und mir fällt die Decke auf den Kopf." Danach nahm ich sie in den Arm und schwieg. Wie könnte ich ihr nur böse sein? Seit Monaten lebt sie hier wie ein Hamster gefangen in seinem Rad.Der Arzt hatte mich angelogen. Ihre Verletzungen waren schwerwiegender als gedacht. Zusätzlich zu der leichten Gehirnerschütterung kamen noch Prellungen und Brüche dazu. Das wurde mir verschwiegen. Und auch, dass es zu einem heftigen Streit zwischen meinen Eltern kam. Mein Vater wurde immer wütender, bis ihm die Hand ausrutschte und der Streit immer mehr eskalierte. Nachdem meine Mutter mir dies schweren Herzens beichtete, berichtete sie mir zudem, dass dies nicht das erste Mal gewesen war. Sie schwieg, um mich zu schützen.
Wenn ich so darüber nachdenke, ist das kompletter Schwachsinn. Hätte ich das gewusst, wäre ich mit ihr in ein Frauenhaus geflüchtet oder hätte die Polizei gerufen. Jetzt wurde mir so einiges klar. Mein Vater klagte oft über mich und meine Mutter. Sie verteidigte mich. Ich kann sie verstehen, aber trotzdem hätte sie das alles nicht auf sich nehmen sollen.
Aber ich glaube, sie versteht es nun. Sie machte sich immer noch Vorwürfe, nicht danach gefragt zu haben, wie es mir geht. Abends saßen wir oft gemeinsam im Wohnzimmer und sprachen über alles, was passiert ist. Ich habe meine Mutter noch nie so offen und ehrlich über ihre Probleme reden hören. Das half mir ungemein dabei, mich selbst zu öffnen. Mein inneres ist immer noch darauf programmiert, alle Sorgen und Ängste in sich hineinzufressen. Aber ich glaube, es bessert sich langsam. Wenn die Dämmerung einsetzte und ich mich in mein Zimmer zurückziehen wollte, griff sie nach meinem Handgelenk und flüsterte mit zittriger Stimme:„Es tut mir so leid, dass ich nicht bemerkt habe, wie schlecht es dir ging. Das werde ich nie wiedergutmachen können. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen." Und jedes Mal erwiderte ich:„Das kann ich," dabei strich ich ihr über den Kopf und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Doch dieses Mal war es anders als sonst. Als ich die Türklinke runter drückte, rief sie plötzlich:„Warte einen Augenblick!" Überrascht wandte ich mich ihr zu und antwortete:„Was ist los? Brauchst du noch etwas?" Sie sah mich wehleidig an, seufzte und bat mich darum, mich zu setzen. „Nein, mir geht es gut. Aber was ist mit dir?", fragte sie und legte ihre Hand auf meine. „Es ist alles in Ordnung. Du musst dir keine Sorgen um mich machen." Nun lehnte sie sich nach vorn und schaute mich ungläubig an. „In all der Zeit habe ich immer nur mit deinem Vater gestritten und unter seinen Wutausbrüchen gelitten. Dabei habe ich dich vollkommen vernachlässigt und dich nie gefragt, wie du dich fühlst. Bitte gib mir die Gelegenheit, das zu ändern. Ich sehe doch, dass dich etwas bedrückt." Ihre Worte rührten mich zutiefst und ich nahm sie so fest ich konnte in den Arm. Wir verharrten einige Zeit, bis ich mich von ihr löste. Ich brauchte eine Weile, um die richtigen Worte zu finden. Als ich langsam den Mund öffnete, unterbrach sie mich:"Du musst es mir nicht erzählen, wenn du nicht möchtest. Jeden Tag kümmerst du dich liebevoll um mich, lernst für die Schule und schmeißt den Haushalt. Ich weiß, du willst mich nur unterstützen, aber vergiss dabei dich selbst nicht. Nimm dir eine Auszeit und ruh dich aus." Ihre Worte rührten mich zu Tränen. Das ist das erste Mal, dass sie so mit mir gesprochen hat. So vertraut, verständnisvoll und dennoch fürsorglich. Es sind furchtbare Dinge passiert, die tiefe Narben hinterlassen haben. Doch das hat uns nur noch mehr zusammengeschweißt. Es wird dauern, bis wir eine richtige Mutter und Tochter Bindung aufgebaut haben, doch ich bin sicher, dass wir das schaffen. Überrascht aber auch gleichzeitig froh über ihre Worte, erwiderte ich mit einem Schmunzeln:„Danke." Sie hatte Recht mit dem, was sie sagte. Ich brauchte eine Pause. Von allem. Die nächsten Tage über versuchte ich, mich zu entspannen. Doch es war gar nicht leicht.
Immer wieder ging ich runter ins Wohnzimmer, um zu schauen, ob meine Mutter alles hat, was sie braucht.Ich versuchte, ihrem Ratschlag zu folgen und begab mich wieder auf mein Zimmer. Es ist gar nicht so einfach, nichts zu tun. Ich drehte mich in meinem Bürostuhl hin und her und sah dabei aus dem Fenster.
Die Abendröte kündigte sich an.Jetzt dachte ich plötzlich an Lysander und daran, dass ich diesen Ausblick gerne mit ihm anschauen würde. Und wie sehr ich ihn vermisse und jeder Gedanke an ihn, meine Sehnsucht und meinen Schmerz stärker werden ließ. Ist das Liebe oder doch nur Einbildung? Alles was ich wusste war, dass ich seine Stimme hören will. Genau jetzt. Mein Blick richtete sich auf das Telefon, dass vor mir auf dem Tisch lag. Ich atmete noch einmal tief ein, nahm es in die Hand und tippte Lysanders Nummer ein. Jetzt gibt es kein zurück mehr. Außer direkt auflegen. Aber das wäre noch peinlicher.
Das anhaltende Piepen machte mich nervös und nahm mir die Hoffnung, dass er ans Telefon gehen würde. Kurz bevor ich mich entschied aufzulegen, hörte ich eine sanfte Stimme auf der anderen Seite der Leitung. Doch überraschenderweise war es nicht Lysanders Stimme, sondern Rosalias. „Pia, bist du das? Wir haben ja lange nichts mehr voneinander gehört! Wie geht's deiner Mutter?" Als würde ich einen Text in kleinster Schriftgröße vorlesen müssen, kniff ich die Augen zusammem und stotterte:„..J-Ja! Mir geht es gut.. und meiner Mutter auch. Sag mal..ist Lysander auch da?" Als hätte Rosalia mich durchschaut, antwortet sie mit verstellter Stimme:„Oho, daher weht der Wind! Du wolltest eigentlich mit Lysander sprechen! Klar, ich geb ihn dir." Mein Herz pochte immer mehr und ich hatte Angst, jeden Augenblick zu verstummen. Eine leise Stimme machte sich am anderen Ende der Leitung bemerkbar und sagte:„Pia..?" Wie auswendig gelernt, erwiderte ich:"Hi Lysander. Ich weiß, wir haben schon lange nicht mehr miteinander gesprochen und das ist meine Schuld. Ich hatte viel zu tun und musste mich um meine Mutter kümmern und.." Ich seufzte. „Jedenfalls..." Ich öffnete den Mund, doch es kam kein Wort hervor. Ich konnte es einfach nicht. Sowas kann ich ihm doch nicht sagen? Oder doch? Lysander schwieg ebenfalls. Bis er plötzlich erwiderte:„..Ja?"
Mein Herz rutschte mir fast in die Hose und mein Verstand spielte verrückt. Ich hatte keine andere Wahl, als nun alles auf eine Karte zu setzen. Jetzt oder nie. „Jeden Tag kann ich an nichts anderes denken, als an dich. Auch jetzt schlägt mein Herz wie verrückt. Ich wollte es dir schon länger sagen, obwohl ich weiß, dass du nie so empfinden wirst wie ich. Lysander.., ich.." Es blieb still. Das Ticken der Uhr machte das Warten unerträglich. Jetzt hörte ich ein kurzes rauschen.
Er hatte aufgelegt. Einfach so. Die Zeit stand plötzlich still und mein Herz schmerzte. Aber jetzt kannte ich seine Antwort. Er hatte mich nicht einmal ausreden lassen. Ich schmiss das Telefon in die Ecke und der Frust und Kummer, der sich in mir anstaunte, brach auf einmal aus. Meine Sicht verschwand und ich sank zu Boden. Eigentlich bin ich ganz allein daran Schuld. Ich hatte ihn monatelang ignoriert und eine Distanz zwischen uns geschaffen. Nun klopfte es an der Tür.Ich hob mein verheultes Gesicht und verstellte meine Stimme, um mir nichts anmerken zu lassen. „Keine Sorge, Mom! Es ist alles in Ordnung! Ich komme gleich runter!" Diesmal war das Klopfen lauter. Schnell sprang ich auf, wischte mir die Tränen vom Gesicht und suchte Make Up, um die roten Augen zu kaschieren. „Gib mir noch einen Augenblick Zeit, ja? Ich bin gleich soweit," rief ich. Das Klopfen hörte nicht auf. Warum musste sie ausgerechnet jetzt vor meiner Tür stehen? Ich huschte zur Tür, riss sie wütend auf und schrie:„Kannst du nicht mal fünf Minuten warten, bis ich-" Ich unterbrach mich selbst, als plötzlich ein nach Luft schnappender Lysander mit nassen Haaren vor mir stand. Bevor ich etwas sagen konnte, kam er näher und richtete seinen Blick auf meine Lippen. Er zog mich zu sich und küsste mich leidenschaftlich.
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Fortsetzung nach mehreren Jahren. Ich war damals schon recht weit mit dem Kapitel und habe es nun umgeschrieben und zu Ende geführt. Aber die Geschichte geht weiter.
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Wie sagt man so schön? Gegensätze ziehen sich an ( Sweet Amoris Lysander FF)
ФанфикAls ich dich das erste Mal sah, war ich überwältigt. Wir freundeten uns an und verbrachten immer mehr Zeit miteinander. Du hast mir gezeigt, dass ein Lächeln sehr viel wert ist und gemeinsame Erlebnisse große Schätze sind, die uns niemand nehmen ka...