Hook

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„Ist die Luft dir hier drin nicht frisch genug?" Howard stand im Flur und fixierte sie mit seinen zu dunklen, zu leuchtenden Augen.
Linda erstarrte mitten im Raum, aber fasste sch schnell. „Mir ist so warm... ich weiß nicht, vielleicht bin ich zu schnell aufgestanden, ich habe ja auch trotz deiner medizinischen Fähigkeiten relativ viel Blut verloren..." Sie lachte kurz auf, „Ich weiß, wie das jetzt aussehen muss... Oh Gott, du denkst jetzt bestimmt, ich würde doch abhauen wollen! Aber ich schwöre dir, ich habe mich für das Leben mit dir entschieden. Mit dir zusammen möchte ich leben und meinen Sohn aufziehen."
Jeder Schauspielstunde, die sie im Drama Club ihres Colleges genommen hatte, war Linda nun unendlich dankbar. Fast hätte sie sich damals für den Art Club entschieden, der zur selben Zeit stattgefunden hatte...
Als letzte Unterstreichung ihrer Worte ließ sie sich kraftlos in Howards braunes Ledersofa sinken und atmete schneller.
Er kniete sch vor sie hin und musterte sie einen Moment lang, die Stirn in Falten gelegt, sodass sie sich gar keine Mühe mehr geben musste, schneller zu atmen, denn das machte ihr nervöser Körper nun von selbst.
„Oh Linda, es tut mir leid, was ich dich durchstehen lasse, aber vertrau mir, es musste alles so sein. Ich werde dir die Belüftungsanlage anmachen, dann kommt ein wenig Luft rein."
Sie nickte und versuchte ihren Mund zu einem genau passenden schwach wirkenden Lächeln zu verziehen. „Dankeschön."
Howard widmete sich einem kleinen Regler an der Wand und kurz darauf spürte Linda einen kalten Luftzug.
„Nun, jetzt bin ich mir nicht sicher, ob ich dich denn allein lassen kann" Howard ging rüber zum Kaminsims, auf welchem er ein paar orange Handschuhe deponiert hatte.
„Oh, mir geht es jetzt, wo die Belüftungsanlage an ist schon besser. Und ich würde wirklich gerne mein Lieblingsessen für uns zubereiten."
Haken Hand Howard überlegte ein paar Sekunden lang, und auch wenn es gegen ihre Prinzipien sprach, so betete Linda still, dass er gehen würde.
Er zog einen der orangen Handschuhe über seine Hakenhand und dann, mit einiger Anstrengung, auch über seine normale Hand.
Schließlich durfte man im Supermarkt von Perth nicht wissen, dass eine seiner Hände ein Haken war, denn ansonsten hätte man ja die Verbindung zu einem gewissen Axtmörder herstellen können.
„Nun gut. Ich werde dich alleine hier lassen, aber nur ungern. Du verstehst, wenn ich die Türe hinter mir wieder verschließe."
„Das verstehe ich voll und ganz."
Beide waren guter Dinge, als Haken Hand Howard genau das tat und sich aufmachte, Roastbeef zu besorgen.

***

Tricia war den Papierfitzeln tatsächlich gefolgt, auch wenn es nicht einfach war, und jede neue Seite ließ sie schaudern, da ihr die Erinnerung, wie sie das Robert Frost Buch für Christian eingepackt hatte immer präsenter wurde, und somit ihre Angst um ihn und Linda auch mit jeder gefundenen Seite intensiver wurde. Sie hegte nun den Verdacht, dass die beiden entführt wurden, und man hätte sich nun zur Polizei in Perth aufmachen können, aber Tricia überlegte (und das zurecht), dass sie genau diesen Papierschnipselweg dann vermutlich mit der Polizei zusammen ein paar Stunden später nie wieder finden würde. In einem Anflug von bemerkenswertem Altruismus begab sie sich also stattdessen in die Gefahr, alleine weiterzumachen, da die Wahrscheinlichkeit, Linda und Christian zu helfen so höher war.
Gerade hatte sie ein Papierknüll aufgehoben, das mit Fireflies bedruckt war, als sie in der Ferne eine Skihütte erblickte, und einen Mann mit orangen Handschuhen, der besagte gerade verlassen hatte und sich auf den Weg zu einem schwarzen VW machte. Das heißt, er machte sich auf den Weg zu dem VW bis Tricia in seinem Blickfeld auftauchte.
Ein paar Sekunden verstrichen, in denen die beiden sich einfach nur irritiert, aber auch irgendwie interessiert anblickten.
Tricia steckte den neu gefundenen Fetzen Papier zu den anderen, die sich bereits in der Tasche ihrer weiten cognacfarbenen Cordjacke befanden.
Haken Hand Howard zuppelte an seinem linken Handschuh herum.
Tricia wunderte sich, wieso eine Skihütte mit einem See einfach so mitten im Wald stand.
Haken Hand Howard wunderte sich, wo die hübsche Frau mit der Baskenmütze und der cognacfarbenen Cordjacke hergekommen war, und wie sie seine Skihütte im Wald gefunden hatte.
Tricia beschloss (und das ist wahrscheinlich die am meisten horrorfilmhauptpersonenartige Handlung, die sie in dieser gesamten Geschichte unternimmt), näher heranzugehen und den Mann mit den orangen Handschuhen um Auskunft zu bitten, was Linda und Christian anging. Man könnte behaupten, dass dies eine unkluge Entscheidung war, aber wir erinnern uns, dass Tricia als relativ schlecht bezahlte Sekretärin für einen Typen schwarz arbeitet, der auf sie steht, obwohl sie nicht auf ihn steht, und wie wir wissen hat sie den Job bestimmt nicht wegen des schicken Büros oder der coolen Pflanze angenommen, denn sowohl Büro als auch Pflanze waren deprimierend. Fakt war, dass sie durch den Job manchmal Linda traf, wenn Christian sie auf Firmenveranstaltungen mitbrachte, was vielleicht ein Faktor auf der pro Seite ihrer pro und contra Liste war. So oder so handelt sie jedenfalls nach gewissen Maßstäben, die nicht unbedingt erstrebenswerte Maßstäbe sind, denn sie hätten sie in echte Gefahr bringen können, wenn Haken Hand Howard ein anderer Serienmörder gewesen wäre, also einer, der nicht nur Pärchen umbringt. Dass Haken Hand Howard ein Pärchenmörder war, konnte Tricia allerdings nicht wissen, also war ihre Entscheidung, ihm näher zu kommen sehr unvorsichtig, aber was tat man nicht alles für Christian und vor allem für Linda.
„Hallo", stellte sie sich vor.
Der Mann sah gut aus; groß mit schönen dunklen Haaren und außergewöhnlich stilsicherer Kleidung, vor allem dafür, dass er abgeschieden in einer Skihütte im Wald lebte.
Das einzige, was ihm wirklich nicht stand war der Schnurrbart.
„Guten Tag", der Mann streckte ihr keine seiner orange behandschuhten Hände zum Schütteln hin und Tricia war recht froh darüber, weil sie die orangen Handschuhe komisch fand und nicht unbedingt gerne schütteln wollte.
„Ich bin Howard. Was führt Sie zu meiner bescheidenen Hütte?" Seine Stimme war eine angenehme Baritonstimme, jedoch hatte Tricia keine Ahnung von Musik, also wusste sie nur, dass es eine angenehme Stimme war.
„Tricia", stellte sie sich vor und überlegte, wie sie ihre Absichten am besten ausdrücken könnte.
„Naja, also ich suche Freunde von mir. Linda und Christian. Ihr Auto ist kaputt gegangen und ich bin diesen Schnipseln gefolgt..." Tricia war nicht von der schnellen Truppe, weshalb sich für sie erst an diesem Punkt mit Grauen alles zusammenfügte: Linda und Christian hatten nichts aus dem Auto mitgenommen, weil sie nicht freiwillig weggegangen waren, und das Blut war von außen am Auto, weil ein Mensch und nicht der Unfall sie verletzt hatte und der Robert Frost Gedichtband war nicht in Schnipsel gerissen, damit Linda und Christian ihren eigenen Weg wieder aus dem Wald rausfinden würden, sondern damit jemand anderes sie finden und retten würde. Denn sie waren entführt worden und das höchst wahrscheinlich von den bis auf den Schnurrbart gutaussehenden Mann vor ihr.
Sie war wirklich extrem dumm gewesen, aber jeder hatte mal seine horrorfilmhauptcharakterartigen Momente.
„Was für Schnipsel?" der Mann fixierte sie mit seinen dunklen Augen, die, wie Tricia nun merkte, noch weniger gut aussahen als der Schnurrbart, da sie sie innerlich beunruhigten, wogegen das Bärtchen einfach nur hässlich war.
„Ach, nicht so wichtig", versuchte sie abzuwiegeln.
„Ich habe leider niemanden angetroffen, aber kommen sie doch auf eine Tasse Tee herein."
Tee, sind wir hier in England oder was? dachte Tricia, und direkt danach dachte sie Oh Gott ich darf auf keinen Fall mit ihm ins Haus gehen!
„Ich trinke keinen Tee, tut mir leid", stotterte sie also als Antwort, „ich muss dann jetzt auch weiter..."
Er nickte höflich. „Das verstehe ich natürlich. Ich sehe auch, dass meine Situation vielleicht ein bisschen seltsam auf Sie wirkt; ganz allein in einer Hütte im Wald... aber ich versichere Ihnen, ich lebe nur so abgeschieden um mich meinem Studium der Philosophie und der Biologie voll widmen zu können. Sie müssen auch nicht mit rein kommen, wenn Ihnen das unangenehm ist. Und Kaffee habe ich auch da. Ich könnte ja mal in der Gegend herumtelefonieren, ob jemand etwas von Ihren Freunden gehört hat."
Die Situation sah nun so aus: Tricia überlegte, ob sie dem höflichen Mann unrecht getan hatte, denn er wirkte sehr freundlich, ruhig und distinguiert, also gar nicht so wie jemand, der Leute entführte, und seine Erklärung hatte auch Sinn ergeben. Vielleicht könnte er ihr wirklich helfen, und so ein warmer Kaffee klang ja nicht schlecht und außerdem unverfänglich.
Haken Hand Howard seinerseits war so freundlich zu Tricia, obwohl sie ihm egal sein konnte, da er ihrer Schönheit bereits verfallen war und nun mit dem Gedanken spielte, sie statt der immer noch nicht unbedingt vertrauenswürdigen Linda zu seiner Partnerin zu machen.
Die beiden verstanden sich also eigentlich auf Anhieb.

Linda hatte inzwischen ein Telefon gefunden, jedoch war es nur ein Deko Telefon beziehungsweise tatsächlich eine Art Radio oder Kassettenrekorder Telefon, denn als sie den Hörer abnahm, erklang Rasputin. Sie spielte eine Zeit lang an den Zahlen herum und versuchte, die Nummer der Polizei zu wählen, aber Rasputin ging unaufhörlich weiter, als wäre der seltsame Apparat von Dschingis Khan selbst besessen. Linda gab es nach kurzer Zeit frustriert und irritiert auf.
Was sie noch bemerkte war, dass Howard alle möglichen Waffen entweder mitgenommen hatte, oder irgendwo aufbewahrte, wo sie nicht hinkonnte, wie zum Beispiel hinter der verschlossenen Kellertür.
Tatsächlich hätte Linda hinter der verschlossenen Kellertür nur Mückenschutzmittel, Dünger, eine kaputte Lampe und allen möglichen langweiligen Müll vorgefunden. Die Axt bewahrte Howard sorgsam in seinem Zimmer auf der oberen Etage auf, welches ebenfalls abgeschlossen war.
Da Linda tatsächlich großen Hunger hatte, beschloss sie letztendlich, wirklich anzufangen, das Gemüse zu kochen, und darauf zu hoffen, dass ihr Moment kommen würde. Vielleicht wäre es ja auch ganz gut, Haken Hand Howards Vertrauen erstmal zu gewinnen, und zwar dadurch, dass sie genau das tat, was sie mit ihm besprochen hatte, dass sie tun würde.
Dies war eine sehr weise Entscheidung, da Haken Hand Howard bereits nach 10 Minuten wieder das Haus betrat, um den Kaffee für ihn und Tricia vorzubereiten, und Linda somit genauso vorfand, wie sie es angekündigt hatte.
„Wieso bist du schon so früh zurück?", fragte sie so gelassen wie möglich.
„Ich habe auf dem Weg jemanden getroffen", antwortete Howard knapp. Er war darauf aus, mehr darüber zu erfahren, was die Frau in der cognacfarbenen Cordjacke gemeint hatte, als sie von den Schnipseln geredet hatte, die sie hergeführt haben. Hatte Linda ihn von Anfang an hintergangen?

Nach nicht allzu langer Zeit stand je eine Tasse mit Espresso vor Tricia und Haken Hand Howard. Sie war von ihm dazu eingeladen, auf einem der dunkelgrün lackierten, altmodisch verzierten Eisenstühle platz zu nehmen, wo sie die paar Minuten, die er im Haus gewesen war (er hatte angeblich in der Gegend herumtelefoniert, ob jemand Linda und Christian gesehen hatte und würde nun auf Rückmeldung warten), damit verbracht hatte, ihre Gedanken zu ordnen. Konnte sie ihm vertrauen? Konnte er ihr wirklich helfen, Linda und Christian ausfindig zu machen? Aber wenn er sie nicht gesehen hatte, wieso endete die Papierknüddelspur dann vor seiner Skihütte? War der Gedichtband vielleicht einfach zu Ende gewesen? Aber wieso hatte sie dann noch keinen Fetzen des berühmten Nothing Gold Can Stay gefunden? Sie vertraute ihm nicht, aber sie beschloss, abzuwarten, wie sich alles entwickelte.

„Du sagst, du seist Schnipseln aus Papier gefolgt, die dich hergeführt haben?" fragte er, nonchalant an seinem Espresso nippend. Sie wollte ihre eigene Tasse ebenfalls an den Mund führen, aber Howard hielt sie davon ab, indem er sie sanft mit seiner linken Hand berührte. „Halt! Der ist noch viel zu heiß. Ich kann sehr heiße Getränke trinken, weißt du, aber dich will ich lieber vorwarnen. Ich würde noch ein paar Minuten abwarten."
Tricia fand diese Unterbrechung ein wenig merkwürdig, aber gut, dann würde sie eben erst in ein paar Minuten trinken. Ihre Gedanken kamen zu seiner Frage zurück und sie überlegte, ob sie verneinen sollte, aber sah dann keinen Grund.
Sie hatte nicht lange genug überlegt.
„Ja... aber das kann natürlich auch Zufall sein."
„Oh, natürlich."
Er lächelte sie über seine Tasse hinweg an und pustete einmal auf den darin befindlichen Espresso, bevor er einen weiteren Schluck nahm. „Jetzt ist er glaube ich eine zuzumutende Temperatur."
Tricias Irritation wuchs wie ein Haufen dreckiger Wäsche über die Woche hinweg. Sie hatte noch nie jemanden das Wort zuzumutend benutzen hören und war sich auch nicht sicher, ob es existierte. Außerdem bezweifelte sie, dass sich die Temperatur ihres Kaffees innerhalb der letzten halben Minute stark verändert haben könnte. Die ganze Situation kam ihr trotz des schweizerischen Ambientes doch reichlich spanisch vor.
„Ist da Zucker drin?", fragte sie also und beschloss, je nach der Antwort, als nächstes zu sagen, dass sie genau das bevorzugte, was dieser Kaffee nicht war.
Howard schüttelte den Kopf. „Möchtest du denn welchen?"
Sie nickte. irgendwie war ihr nicht gut bei der Idee, den Espresso zu trinken. Vielleicht war es das Surren der Mücken aus der Ferne vom See her, aber irgendwie fühlte Tricia sich ungut. Die vibes stimmten einfach nicht.

Haken Hand Howard stand auf, ebenfalls unterschwellig nervös. Linda hatte durch die Tatsache, dass sie die Papierschnipselspur gelegt hatte endgültig bewiesen, dass ihr nicht zu vertrauen war, und jetzt war ja ohnehin Tricia da. Er hoffte nur, dass sie kein Fan von Kant war, denn Lindas philosophische Position gefiel ihm ja eigentlich schon gut, also wäre es zu schade, sie umzubringen und Tricia zu seiner Partnerin zu machen, nur damit sich dann herausstellte, dass sie von Nihilismus oder Existentialismus nichts hielt. Er beschloss, das noch herauszufinden, bevor er sie von dem Opiumkaffee trinken ließ, und stellte den Zucker daher zunächst außerhalb ihrer Reichweite hin.

Haken Hand Howard Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt