Tricia war immuner gegen Opium, als Howard angenommen hatte. In der Tat war ihre Realität zwar ein wenig verzerrt, aber dadurch, dass sie regelmäßig weitaus größere Mengen an Opium zu sich nahm um Gartenpartys mit Oscar Wilde und/oder ETA Hoffmann zu veranstalten, war das kleine bisschen in dem Kaffee nicht besonders schlimm für sie.
Die dunkelgrüne Schlange zwinkerte ihr aufmunternd zu.
„Es hätte etwas werden können? Mit uns?" hörte sie eine Stimme von drinnen schreien. Tricia hatte diese Stimme noch nie schreien gehört, aber nach dem nächsten Satz wusste sie, wem sie gehörte. „Du hast meinen Verlobten umgebracht und meine rechte Hand abgehackt!" Christian war tot?
„In der komischen Plastiktüte sind Messer, weißt du", sagte ETA Hoffmann.
Tricia ging vorsichtig um den dunkelgrünen Tisch herum. In der Plastiktüte waren tatsächlich Messer, und zwar einige.
Howard sagte etwas, aber er war nicht so laut wie Linda und Tricia war zu sehr mit der Messertüte beschäftigt, um ihn zu verstehen.
„Bedien dich und töte ihn, oder willst du, dass Linda stirbt?", drängelte Oscar Wilde sie.
„Ja, weil du meinen Verlobten umgebracht hast! Du bist ein Monster, Haken Hand Howard, und auch wenn du es im Moment nicht denkst, so werden, wenn du mich jetzt umbringst, deine Schuldgefühle genauso lange halten wie deine nicht biologisch abbaubaren orangen hässlichen Handschuhe!", kam es von drinnen. Sehr guter Vergleich, fand Tricia. Linda wusste eben, wie man sich gut ausdrückte...
„Jetzt nimm endlich ein oder zwei Messer!", forderten sie nun auch ETA Hoffmann und die Schlange auf.
Tricia atmete tief durch. Jawohl, sie musste Linda das Leben retten! Wenn sie das nicht tun würde, hätte sie ebenfalls Schuldgefühle wie biologisch nicht abbaubare Handschuhe!
Sie nahm ein Messer in jede Hand, griff die zwei, die ihr auf anhieb am besten und größten erschienen, obwohl noch größere in der Tüte waren, aber die waren weiter unten und sie wollte auch nicht zu viele Geräusche machen, denn wenn Howard auf sie aufmerksam würde, wäre es vorbei.
„Ja, sehr gut machst du das", lobte Oscar Wilde sie.
„Das ist nicht deine Art!", Lindas Stimme klang immer hilfloser.„Du müsstest mich mit einer Axt umbringen und nicht mit einem Küchenmesser wie jeder Möchtegern Meuchelmörder!"
Wow, keine schlechte Alliteration. Und sie hatte immer gedacht Christian wäre der wortgewandtere von beiden gewesen und Linda dafür die besser aussehende, aber tatsächlich war Linda beides.
Linda durfte nicht sterben!
Tricia war mittlerweile so nah an der Türe, dass sie auch Howard hörte:
„Oh nein, die Axt ist für die verliebten Pärchen, wenn ich dich damit umgebracht hätte, dann wäre es direkt passiert. Aber du, du bist nicht wie die anderen, denn dir habe ich eine Chance gegeben und du hast es mir gedankt, in dem du mir ein metaphorisches Messer in den Rücken gerammt hast, also ist es auch ein Messer, mit welchem ich dich töten werde!"Linda sah das Messer auf sich zukommen und wusste, dass es vorbei war und dieses Mal wirklich. Sie musste sagen, sie hatte sich wacker geschlagen, sie hatte alles gegeben. Sie hätte definitiv eine Teilnehmerurkunde verdient.
Aus Reflex machte sie die Augen zu und wartete einfach ab, dass Haken Hand Howards Messer sich in sie reinbohrte wie ein Dartpfeil in die Tapete wenn man besonders schlecht im Darts war.
Vielleicht schrie sie auch ein letztes Mal. Wieder einmal fielen ihr keine letzten Worte ein. Wirklich ein schwaches Bild.
„Du denkst, sie ist backstabbing? Du hast mich unterschätzt, Howard!"
Linda schlug ihre Augen wieder auf. Haken Hand Howards Messer fiel auf sie zu.
Dies war jedoch nur, weil er generell nach vorne viel, und, perplex wie sie war, bekam sie es nicht ganz hin, auszuweichen, also streifte sie das Messer leicht an der Hüfte, während Howard, auch ohne besondere letzte Worte (abgesehen von ein paar Kraftausdrücken) von sich zu geben, wie ein Sack Kartoffeln, den jemand fallen gelassen hatte, auf den Boden fiel.
Linda sah nun Tricia an Stelle von Haken Hand Howard und war sich fast sicher, dass es sich bereits um das Leben nach dem Tod handeln musste, denn wo würde Tricia sonst herkommen, wenn nicht aus ihrem Unterbewusstsein, welches schon ein bisschen länger wusste, dass ihre Gefühle für Tricia von Anfang an keine Eifersucht gewesen waren.
In Howards Rücken steckten gleich zwei Messer, eins davon rechts, welches allein nur eine Unbequemlichkeit gewesen wäre, und eins mittig links, was, wenn jemand mit einem rostigen Skalpell die Stelle mit einem X markiert hätte, wo das Herz auf der anderen Seite war, genau da gesteckt hätte. Gut, dass ETA Hoffmann und die grüne Terrassengeländerschlange Tricia aufgefordert hatten, zwei Messer zu nehmen, sonst würden sowohl sie als auch Linda (sowieso) jetzt in ernsthaften Schwierigkeiten stecken.Linda brauchte immer noch ein paar Sekunden, um alles zu verarbeiten. Sie betrachtete Tricia genauer. Sie trug wieder ihre rosafarbene Baskenmütze, was weiter bestätigt hätte, dass Linda sich das alles im Angesicht des Todes ausdachte, denn sie fand, Tricia sah extrem gut mit der Baskenmütze aus, aber die Cognacfarbene Cordjacke war ja schon seit fünf Jahren nicht mehr in. Wenn das hier wirklich Lindas Unterbewusstsein gewesen wäre, hätte Tricia höchst wahrscheinlich das lila Kleid von der Party getragen und nicht diese Jacke. Aber wenn sie wirklich hier war, wie konnte das sein?
„Ich bin den Gedichten gefolgt", erklärte Tricia, obwohl Linda nicht laut geredet hatte, oder?
Zitternd ging sie einen Schritt von der Wand weg.
„Es hat also wirklich etwas gebracht mit dem Papier?"
Tricia nickte.
„Aber wieso warst du denn überhaupt in der Nähe und nicht in San Francisco?"
„Ich brauchte die Nummer meines Klempners." Linda nickte, als wäre das bereits die Erklärung gewesen.
„Sie war in dem Roman drin, den ich Christian ausgeliehen hab. Er hatte ihn noch nicht ausgelesen, weißt du."
Linda nickte wieder. Der Roman kam ihr so weit weg vor wie eine nicht weiter spezifizierte Insel im Pazifik, aber zeitlich weit weg statt räumlich.
„Den Schmuddelroman von 1964?"
„Weißt du, er ist nur als Schmuddelroman verschrien, eigentlich ist er wirklich gut", verteidigte Tricia das Buch.
„Oh ja ich weiß, ich habe ihn gelesen, also ein paar Szenen daraus. Ich konnte mich nur nicht besonders gut konzentrieren, weil dann Haken Hand Howard angegriffen hat."
Sie dachte über Christian nach und darüber, dass Haken Hand Howard ihn umgebracht hatte.
„Christian ist tot, weißt du. Er wird nie wieder Gelegenheit haben, das Ende deines langen 20 Jahre alten Romans zu lesen, der nicht so schmuddelig ist, nur seiner Zeit voraus, wie du sagst."
„Ich weiß." Ein (metaphorischer) Schatten lag über Tricias Gesicht und ihre Augen fokussierten sich auf irgendeinen nicht weiter spezifizierten Punkt in der Ferne. „Das Ende ist eigentlich sowieso nicht besonders gut. Viel zu düster. Ich mag es nicht so gerne. Ein hoffnungsvolles Ende wäre besser gewesen. Christian wird also auch nicht die Enttäuschung darüber erleben, dass das Ende zu deprimierend ist."
Tricias Blick wanderte zurück aus der Ferne und zu Linda.
„Wir sollten fahren. Gibt es in diesem Perth ein Krankenhaus?"
Linda nickte.
Ein paar Minuten später saßen sie in Tricias rotem Sedan und fuhren, wie es sich gehört, dem Sonnenuntergang entgegen (und nein, es ist nicht auf einmal Abend geworden, aber da Winter ist geht die Sonne schon um vier Uhr unter).
„Was hälst du von der Idee, auf eine umspezifizierte Insel im Pazifik zu ziehen?", fragte Tricia und vielleicht war es das Opium und die Einflüsse von ETA Hoffmann, Oscar Wilde und der dunkelgrünen Terrassengeländerschlange auf der Rückbank, aber sie wollte nicht, dass ihre Story deprimierend enden würde, und das würde sie, wenn sie nach San Francisco zurückkehren würde, in ihr altes Leben, denn es würde sie jeden Tag an Christian erinnern. Sie vermisste ihn, aber sie wollte eine Zukunft mit Linda und nicht eine Zukunft, die jeden Tag von den dunklen Geschehnissen in der Nähe von Perth, Pennsylvania überschattet wurde.
Auch Linda wollte nicht mehr in ihr altes Leben zurück, und wenn sie ihre Wohnung mit Blick auf die Golden Gate Bridge verkaufen würde, könnte sie sich von dem Geld bestimmt wenigstens eine kleine Insel für sie, ihren Sohn (den sie sich überlegt hatte, Christian zu nennen, und wenn es ein Mädchen wurde, Christine) und Tricia kaufen.
„Ich könnte mir keine bessere Zukunft vorstellen."
ETA Hoffmann und Oscar Wilde applaudierten von der Rückbank aus.

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Haken Hand Howard
HorrorLinda und Christian, frisch verlobt, wollten eigentlich nur über Thanksgiving Lindas Verwandte in Perth, Pennsylvania besuchen. Sie werden jedoch von einem Schneesturm überrascht, haben einen Autounfall und das ausgeregnet kurz nachdem sie einen Rad...