1. Die Reise beginnt, schon wieder.

794 51 38
                                    


Ich starrte nun schon eine gefühlte Ewigkeit auf meine gelben Sneakers. Sie waren ziemlich abgenutzt und an den Seiten waren noch ein paar hellblaue Farbspritzer zu sehen.
Ich hatte vor ein paar Wochen mein Zimmer gestrichen und war dabei ziemlich grosszügig mit der blauen Farbe umgegangen. Sogar meine Schuhe hatten was abbekommen.

Versehentlich, natürlich.

Die ganze Zimmer-Aufhellerungs-Aktion hätte ich mir sparen können, wenn ich damals schon gewusst hätte, dass wir das Land eh bald wieder verlassen würden. Eigentlich hätte ich damit rechnen können.
Wir waren schon viel zu lange in Amsterdam.

Ich sass auf der Kante meines leeren Bettgestells und wippte leicht mit den Füssen hin und her. Mein Vater liess sich wieder einmal nicht blicken. Er war immer zu beschäftigt.
Aber trotzdem zwang er mich jedes mal, ihn auf diese bescheuerten Reisen zu begleiten.
Ich war schon so ziemlich überall auf dieser Welt gewesen.
Mein Vater, Andrew Mason, war berühmter Schauspieler. Jedes Mädchen dieser Welt hätte mich darum beneiden können, aber für mich war es die reinste Qual.
Auch auf dieser Reise durfte ich natürlich nicht fehlen und dass, obwohl ich schon mindestens zweimal in Edinburgh war.
So genau erinnerte ich mich nicht.
Ich wäre viel lieber hier geblieben, in Amsterdam. Hier hatte ich endlich wieder einmal so etwas wie ein zu Hause gefunden. Ein Jahr wohnten wir in einer grossen Wohnung mitten in der Stadt. Ich hatte mein eigenes Zimmer, dessen Wände mir jetzt sogar in meiner Lieblingsfarbe entgegen leuchteten. Das Schönste aber war, dass ich ein paar Freundschaften schliessen konnte und das, obwohl ich eigentlich privat unterrichtet werde.
Ich gehe seit der zweiten Klasse nicht mehr zur Schule. Seit meine Mom und Andrew sich getrennt hatten, um genauer zu sein. Ich war ständig mit meinem Vater unterwegs und fehlte im Schulunterricht. Andrew hatte beschlossen, für mich eine Privatlehrerin einzustellen. Deswegen hatte ich auch immer Mühe, Freunde zu finden. Ich ging nicht zur Schule und lebte nie länger als ein Jahr am gleichen Ort.
Nicht wirklich tolle Voraussetzungen.

„Penny, bist du fertig?"
Mein Vater hatte seinen Kopf ins Zimmer gestreckt und lächelte mich an. In der Hand hielt er eine grosse Tüte, vermutlich gefüllt mit frischen Brötchen.

Andrew war gross und breitschultrig. Meine blonden Haare hatte ich von ihm geerbt. Da hörte die Ähnlichkeit aber auch schon auf, denn seine Haare waren glatt und immer perfekt gestylt. Meine hingegen waren wild gelockt und ich hatte immer Mühe, sie im Zaun zu halten.
Ich hatte auch nicht seine hellblauen Augen, sondern die grünen meiner Mutter.

„Ja, wir können gehen.", murmelte ich und schaute mich ein letztes Mal in meinem beinahe leer geräumten Zimmer um. Dabei warf ich den hellblauen Wänden einen vernichtenden Blick zu.
Die Mühe hätte ich mir so was von sparen können.

Ich folgte meinem Vater nach Draussen, wo schon ein Taxi auf uns wartete. Es hatte begonnen zu regnen und die meisten Leute warfen uns nur flüchtige Blicke zu, bevor sie mit ihren Regenschirmen davon eilten.
Der Chauffeur hielt uns bereits die Autotür auf und ich kletterte auf den Rücksitz, dicht gefolgt von Andrew.
„Brötchen?", fragte ich und deutete auf die Tüte in Andrews Armen.
Er nickte lächelnd und reichte sie mir. Mein Vater begann ein oberflächliches Gespräch mit dem Taxifahrer und ich machte mich hungrig über das noch warme Gebäck her.

Als wir eine halbe Stunde später den Hafen erreichten, hatte ich drei Brötchen verschlungen und bereute es fast. Ich hatte Bauchschmerzen, aber vielleicht war das auch nur die Aufregung.
Eigentlich sollte ich an den ganzen Tumult langsam gewöhnt sein, dennoch war ich immer nervös vor Reisen.

Ich liess einen Ort hinter mir und mit ihm einen Teil meines Lebens.

Draussen regnete es nun in Strömen und mein Vater beschwerte sich lautstark darüber. Ich klaubte meinen roten Regenmantel aus meiner Tasche und hüllte mich hinein. Dann folgte ich meinem Vater und dem Chauffeur hinaus in den Sturm.
Eilig liefen wir Richtung Schiff. Der Chauffeur trug die Koffer hinter uns her, vermutlich hatte Andrew ihn extra dafür bezahlt.
Mein Vater lief voraus. Er hatte seine Kapuze vorsichtig über seine fixierte Frisur gestülpt und hob nun schützend die Hand vor die Augen.

„Kommt schon!", rief er und lief eilig voraus. Ich folgte ihm, doch er rannte beinah und ich hatte keine Lust auszurutschen und auf die Fresse zu fallen, deswegen behielt ich mein eigenes Tempo.
Der Fahrer lief neben mir, der Arme mühte sich gerade mit unseren Koffern ab und Andrew rempelte achtlos einen Typen an, der dort so planlos im Regen herum stand. Ich hörte den Jungen fluchen, da seine Tasche runtergefallen war. Ich bekam sofort ein schlechtes Gewissen.
Mein Vater entschuldigt sich nie.
Warum sollte er auch, er war berühmter Schauspieler?
Andrew konnte manchmal so unglaublich unhöflich sein und ich hasste diese Angewohnheit an ihm. Ich hatte ihn auch schon genug oft darauf angesprochen, aber vermutlich würde er nie etwas daran ändern.

Als ich an dem Jungen vorbeilief, warf ich ihm einen entschuldigenden Blick zu, doch vermutlich hatte er es nicht bemerkt, denn er war immer noch mit dem Rucksack beschäftigt.

Wir waren wieder einmal spät dran, was aber auch seine Vorteile hatte. Die Auslegbrücke war leer und auch beim Schiffsempfang war nicht mehr viel los.
Mein Vater begab sich zum Schalter und ich setzte mich mit den beiden Koffern auf einen Sessel in der Nähe. Der Taxifahrer hatte sich  von uns verabschiedet und war dann eilig wieder gegangen.

Ich schaute mich neugierig um. Viel war hier aber nicht los. Eine ältere Dame spazierte mit ihrem klitzekleinen Hündchen am Deck entlang. Zwei Kinder spielten im Restaurant ein Würfelspiel und kicherten dabei lautstark. Ich wrang meine nassen Haare aus und liess meinen Blick suchend durch den Raum schweifen. Ich hielt Ausschau nach dem Jungen, der vorhin so verloren im Regen gestanden hatte. Vielleicht kam er ja auch auf die Fähre?

„Hier, dein Schlüssel."
Ich schaute verwirrt hoch. Andrew hielt mir einen schweren, goldenen Schlüssel entgegen, welcher mit der Nummer 170 versehen war.

„Meine Suite ist gleich neben an", er zwinkerte mir zu und griff nach seinem Rollkoffer. Andrew hatte seinen Regenmantel bereits ausgezogen und ich stellte etwas schadenfreudig fest, dass seine Frisur, trotz seinen Bemühungen, entstellt aussah.

Schweigend folgte ich meinem Vater die Treppe hoch und dann durch den langen Flur zu unseren Zimmern. Das war ausnahmsweise einmal eine gute Eigenschaft von Andrew.
Er respektierte meine Privatsphäre. Ich hatte meistens mein eigenes Zimmer, egal ob in einem Hotel oder auf einem Schiff.

„Wir sehen uns dann zum Abendessen", sagte er und öffnete auch schon die Tür zu seinem Zimmer.
Ich nickte und wollte gerade die Tür hinter mir schliessen, da wandte mein Vater sich noch einmal um: „Ach ja und Penny. Es tut mir leid."
Mit dem Anflug eines Lächeln im Gesicht verschwand er und warf die Tür hinter sich ins Schloss. Ich starrte noch einen Moment auf die Stelle, wo er kurz zuvor noch gestanden hatte.

„Ist schon okay", murmelte ich zu mir selbst.

Doch in Wahrheit war nichts okay.

*angefügt: Aesthetic Penny Mason

PerlenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt