5.Kapitel

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Das Erste, was ich tat, sobald ich aus der Schule zurück war, war mich ans Klavier zu setzen und zu üben. Das war ungewöhnlich, als ich noch bei Herrn Sauer Unterricht gehabt hatte, war ich dem Klavier den ganzen Nachmittag aus dem Weg gegangen, um mir den Tag nicht mit Gedanken an die nächste Unterrichtsstunde zu verderben. Meistens hatte ich dann nur noch kurz vor dem Schlafengehen ein wenig geübt, auch wenn man das laut Herrn Sauer nie gemerkt hatte. Laut ihm hatte ich schließlich nie geübt. Nun, wo ich endlich bei jemand anderem – und dann auch noch bei einem so wundervollen Mann wie Nils – Unterricht hatte, konnte ich das Klavier gar nicht oft genug angucken und mir dabei vorstellen, Nils säße darauf und würde mir irgendein wunderschönes Stück vorspielen. Ich fieberte der nächsten Unterrichtsstunde so wie sonst immer dem Ende der Unterrichtsstunde entgegen.

Gleich nach der Schule setzte ich mich also ans Klavier und begann das Stück zu üben, das er mir den Abend zuvor zugeschickt hatte. Das Stück, das mich von dem Abend an Strand in Nils Armen träumen ließ. Ich spielte es wieder und wieder, übte die einzelnen Takte erst so langsam, dass man die Melodie gar nicht heraushören konnte, und versuchte es dann immer schneller. Obwohl das Originaltempo nicht besonders schnell war, dauerte es den ganzen Nachmittag, bis ich die erste Seite endlich fließend spielen konnte. Es hatte nicht dieselbe Wirkung auf mich, wie die, als Nils es gespielt hatte, dennoch war ich am Abend durchaus zufrieden mit mir. Ich konnte nur hoffen, dass Nils es ebenfalls war.

>>Kira?<<, ertönte gegen Sieben Uhr abends Mamas Stimme aus der Küche, >>Kommst du essen?<<

>>Gleich, ich will nur noch einmal kurz das Stück...<<

>>Das kannst du auch danach noch machen!<<, unterbrach Mama mich, >>Kommst du jetzt bitte?<<

>>Ja<< Genervt stand ich vom Klavierhocker auf, dehnte mich kurz und schlurfte dann in die Küche.

>>Hallo Kira<< Mein Vater schaute aus seiner Zeitung auf und warf mir ein liebevolles Lächeln zu. Ich hatte gar nicht gehört, wie er nach Hause gekommen war. Er war Schulleiter eines Gymnasiums im Nachbarort und kam wegen der ganzen Konferenzen und Elterngespräche meistens erst abends nach Hause, weswegen ich ihn nicht gerade häufig sah. >>Wie war dein Tag?<<

>>Ganz gut...<< Ich setzte mich und schmierte mir fröhlich summend ein Brot.

>>Das Stück, das Nils dir gestern gegeben hat, hört sich schön an, findest du nicht?<<, fragte Mama kauend.

>>Nils? Ist das nicht dein neuer Klavierlehrer?<< Papa beugte sich zu mir herüber. >>Ich habe gehört, er soll sehr gut aussehen.<<

>>Papa...<< Ich wurde rot. >>Er ist einundzwanzig!<<

>>Puh, noch so jung!<<

Ich verdrehte die Augen. Für Papa mochten sich einundzwanzig jung anhören, für mich war es jedoch unglaublich alt. Sieben Jahre Altersunterschied, da brauchte ich mir nicht einmal Hoffnungen zu machen. Und doch begann mein Herz schneller zu schlagen, als ich an ihn dachte, ein breites Lächeln schlich sich von ganz allein auf mein Gesicht und meine Wangen begannen zaghaft zu erröten.

>>Wie heißt das Stück, das du da spielst, eigentlich?<<, fragte Mama und riss mich aus meinen Gedanken an Nils.

>>Weiß ich gar nicht<<, antwortete ich schulterzuckend.

>>Wie? Du sitzt jetzt schon seit Stunden vor diesen Noten und kannst uns nun nicht einmal sagen, wie das Stück heißt?<< Kopfschüttelnd sah Papa mich an.

>>Beim Spielen achte ich doch nicht auf den Titel, sondern auf die Noten.<<

>>Bist du dir sicher, dass du auf die Noten achtest? Oder doch eher auf den Klavierlehrer?<<, neckte Papa mich und ich wurde rot. Beziehungsweise noch röter.

Aber er hatte recht. Während des Spielens hatte ich gar nicht wirklich an die Noten gedacht, sondern eher daran, wie Nils mich nächste Woche loben würde, wenn ich ihm das Stück vorspielte. Ich konnte es kaum erwarten, ihn endlich wieder zu sehen.

Der KlavierlehrerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt