Die Woche darauf regnete es draußen in Strömen. Ich saß im Wohnzimmer, wartete auf Nils und blätterte alte Fotoalben durch, eine meiner Lieblingsbeschäftigungen bei schlechtem Wetter. Immer wieder warf ich einen nervösen Blick auf die Uhr. Es war schon nach vier und wahrscheinlich das erste Mal, dass Nils zu spät erschien. Als es endlich an der Tür klingelte – um Viertel nach – rannte ich sofort in den Flur, überprüfte meine Frisur im Spiegel und öffnete dann mit einem leicht gezwungenen Lächeln die Tür.
>>Du bist zu spät!<<, begrüßte ich Nils vorwurfsvoll.
>>Stau auf der Autobahn...<<, erklärte dieser zerknirscht, >>Hast du Lust auf eine Wasserschlacht?<<
Meine schlechte Laune war von einem Moment auf den nächsten verschwunden. Ich lachte und machte Nils Platz, damit er endlich aus dem strömenden Regen ins warme, trockene Haus gelangen konnte.
>>Dieses Mal brauchen wir auch gar keinen Wasserschlauch.<<, scherzte ich und zwinkerte Nils zu.
Nachdem Nils seine nasse Jacke zum Trocknen auf die Heizung gelegt hatte, gingen wir ins Wohnzimmer und nahmen auf dem Klavierhocker Platz.
>>Weißt du mittlerweile, von wann bis wann Mozart gelebt hat?<<, fragte Nils grinsend.
>>Klar<<, log ich und wich seinem Blick aus. Mein Blick fiel auf die Noten, die noch auf dem Klavier lagen. Ein Stück von Mozart. Rechts in der Ecke stand das Geburts- und Todesdatum, mit einem Lächeln schaute ich wieder zu Nils und sagte: >>1756 bis 1791<<
>>Wow...<< Beeindruckt nickte Nils, doch dann fiel sein Blick ebenfalls auf die Noten von Mozart und er fing an zu lachen. >>Das war geschummelt!<<
>>Ich weiß nicht, was du meinst...<<, grinste ich.
>>Du, Kira, hast du heute Morgen die Zeitung gelesen?<<, wechselte Nils plötzlich das Thema.
>>Nee, wieso?<<
>>Mein ehemaliger Klavierlehrer gibt dieses Wochenende ein Konzert in der Nachbarstadt. Er kann wirklich gut spielen, du könntest dir Vieles von ihm abgucken. Ich hab ihn früher immer bewundert... er war mein Idol! Ich meine, er ist mein Idol.<< Gedankenversunken betrachtete Nils das Foto von Mama, Papa und mir in den Bergen, das über dem Klavier hing. >>Ich dachte... vielleicht können wir am Wochenende zusammen da hinfahren. Ich nimm dich im Auto mit und pass dort auf dich auf, du müsstest allerdings selbst bezahlen.<<
>>Du passt auf mich auf?<< Irgendwie rührte mich dieser Gedanke. >>Wie ein Bodyguard?<<
Nils verdrehte die Augen. >>Sehe ich so aus, als wäre ich ein Bodyguard?<<
Ich musste an letzte Woche denken, als ich ihn nur in Boxershorts im Bad gesehen hatte. Seine muskulösen Arme, das Sixpack, die kräftigen Unterschenkel... So stellte ich mir einen Bodyguard ungefähr vor. >>Also ehrlich gesagt siehst du wirklich so aus wie ein Bodyguard.<<
>>Ja?<< Zweifelnd schaute Nils an sich herab. >>Ich stelle mir einen Bodyguard eigentlich eher wie einen riesigen Muskelprotz vor.<<
>>Na gut... du bist ein wenig zu schlank für einen Bodyguard... aber kräftig bist du trotzdem!<<
>>Das nächste Mal, wenn ich mich umziehe, schließe ich die Tür ab. Dann siehst du mich wenigstens nicht oben ohne und hältst mir danach stundenlange Vorträge über meine Muskeln!<<
>>Das war kein stundenlanger Vortrag, das war ein Satz.<<, verteidigte ich mich.
>>Ja, ja...<<, seufzte Nils, >>Also... was ist jetzt eigentlich mit dem Konzert? Soll ich dich mit hinnehmen?<<
>>Mama?<<, schrie ich durchs Haus, >>Kommst du mal kurz?<<
>>Schrei doch nicht so!<< Mama erschien in der Tür. >>Was ist denn?<<
>>Kann ich am Wochenende mit Nils in ein Konzert fahren?<<
>>Das ist ein Konzert von meinem ehemaligen Klavierlehrer.<<, erklärte Nils rasch, >>Ich dachte, Kira könnte viel lernen, wenn sie mal einem Profi beim Spielen zuguckt.<<
>>Das hört sich super an!<< Mama nickte begeistert. >>An welchem Tag ist das denn?<<
>>Am Samstagabend<<
>>Warte, ich guck mal kurz...<< Mama verschwand wieder und ich hörte sie in der Küche etwas in den Kalender eintragen. Kurz darauf erschien sie wieder im Wohnzimmer. >>Da haben wir nichts vor. Du kannst gerne mit Nils mitfahren, Kira.<<
>>Danke<< Erfreut strahlte ich erst Mama und dann Nils an. Mit Nils ins Konzert... Das klang zu schön, um wahr zu sein. Konnte man so etwas schon Date nennen? War das vielleicht der Anfang von Nils und meiner Liebesgeschichte? Oder nahm er mich wirklich nur mit, um mir zu zeigen, wie Profis Klavier spielten? Ich wusste es nicht, Nils Gefühle für mich konnte ich einfach nicht einschätzen. Doch zum ersten Mal, seit wir uns kannten, begann ich mir richtige Hoffnungen über eine gemeinsame Zukunft zu machen. Er wollte mit mir ins Konzert. Mit mir! Irgendetwas musste das doch heißen! Ich konnte es kaum erwarten, es herauszufinden.
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Der Klavierlehrer
Teen FictionFür Kira gibt es nichts Schlimmeres als Klavier zu spielen, auch wenn das wahrscheinlich eher am Klavierlehrer liegt. Herr Sauer ist alt, streng und einfach nie zufrieden mit ihr. Kein Wunder, dass sie da irgendwann die Schnauze voll hat und kündig...