14.Kapitel

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Die Woche danach sagte Nils am Ende der Stunde zu mir, dass wir reden müssten. Ich nickte, sagte jedoch nichts. Bis jetzt hatte er unseren Beinahe-Kuss mit keinem Wort erwähnt, die ganze Unterrichtsstunde hatte ich darauf gewartet, dass er endlich darauf zu sprechen kam – und nun war es endlich soweit. Ich wusste ganz genau, was jetzt kommen würde, und konnte es kaum abwarten, ihn endlich sagen zu hören: Kira, ich habe mich in dich verliebt.

Er würde es jetzt zu mir sagen, das wusste ich. Vor Glück und Vorfreude drohte ich jeden Moment in Tränen auszubrechen, wie eine Verrückte durch den Raum zu tanzen und mein Glück in die Welt hinaus zu schreien.

>>Weißt du... die Liebeslieder...<<, fing Nils vorsichtig an, >>Die habe ich dir aus einem bestimmten Grund gegeben...<<

>>Das habe ich mir schon gedacht...<<, murmelte ich und lächelte ihn an. Jetzt, dachte ich und mein Lächeln wurde zu einem Strahlen, Jetzt wird er es mir sagen!

>>Ich weiß nicht, wie ich dir das jetzt sagen soll...<<, sagte Nils zerknirscht und ließ seinen Blick zwischen dem Klavier und mir hin und her wandern. >>Also... ähm... ich zeig es dir einfach, okay?<<

Ich konnte mir schon denken, wie er mir es zeigen wollte, also nickte ich, hob den Kopf ein wenig und spitze die Lippen.

Mit einem Stirnrunzeln betrachtete Nils mich, dann griff er in seine Hosentasche und holte eine Karte hervor, auf der zwei Kreise abgebildet waren. Zwei Namen standen unter den Kreisen. Nils und Mina. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass die zwei Kreise Ringe waren. Mein strahlendes Lächeln wich einem ungläubigen Gesichtsausdruck, mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund schaute ich auf die Karte. Langsam und mit einer bösen Vorahnung drehte ich sie um und begann den Text auf der Rückseite zu lesen. Wir werden heiraten! Wieder und wieder las ich diesen Satz, bis meine Hände so sehr zitterten, dass es unmöglich war, auch nur einen Buchstaben zu entziffern. Er würde heiraten! Nils Körner, mein unglaublich attraktiver, humorvoller und vor allem liebeswerter Klavierlehrer, würde heiraten! Ich musste meine ganze Willenskraft dazu aufbringen, um nicht los zu schluchzen oder Nils vor lauter Wut und Trauer ins Gesicht zu schlagen.

>>Kira?<< Besorgt blickte Nils mich an. >>Alles gut bei dir?<<

>>Ja<<, sagte ich leise und ohne mir auch nur irgendetwas anmerken zu lassen. >>Alles bestens!<<

>>Also<< Nils lächelte mich an. >>Mina und ich... wir werden heiraten...<< Sein Lächeln wurde zu einem Strahlen. >>Ich habe dir noch gar nicht von ihr erzählt, oder? Na ja, wir sind schon so lange zusammen... ich war jünger als du, als ich mich in sie verliebt habe... sie war damals die Klassenstreberin, ein schlankes, rothaariges, unscheinbares Mädchen, das auf gefühlt jede Frage eine Antwort wusste. Und jetzt...<<

>>Ich freue mich für euch.<< Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen, weil er sonst die Trauer in meinen und ich die Freude in seinen Augen sehen könnte.

>>Ja?<< Nils klang so unglaublich glücklich, dass ich es kaum aushalten konnte, ihm zuhören zu müssen. Ich sollte mich für ihn freuen, das wusste ich, aber das war schwieriger als gesagt, wenn ich mit einem gebrochenen Herzen und so enttäuscht wie noch nie neben ihm saß. Ich hatte gedacht, jetzt würde mein Traum in Erfüllung gehen. Ich hatte gedacht, er würde etwas für mich empfinden. Es gab so vieles, was mich in dieser Hoffnung bestärkt hatte: Die Wasserschlacht bei uns im Garten, der Ausflug ins Konzert, wo ich auf seinem Schoß gesessen und mit ihm im Mondschein Döner gegessen hatte, die Liebeslieder, die er mir gegeben hatte... und zu guter Letzt der Kuss auf die Stirn bei mir in der Schule. So wie er mit mir umgegangen war, hatte ich gedacht, das wäre mehr als Freundschaft zwischen uns. Hatte ich mir das alles nur eingebildet? Nein, sagte eine verzweifelte Stimme in mir, Das kann nicht nur Einbildung gewesen sein! Ich hörte wieder Nils Stimme in meinen Kopf, wie er mit mir scherzte, wie er mir seine Jacke anbot, wie er mir sagte, dass ich perfekt gespielt hätte. Ich spürte wieder seine Lippen auf meiner Stirn, als er mir im Musikraum den Kuss gegeben hatte. Ich erinnerte mich an all die Momente mit ihm, spürte wieder das Kribbeln im Bauch und die überwältigende Hoffnung, die mit jeder Unterrichtsstunde gewachsen war. Und jetzt? Nach all dem, was zwischen uns geschehen war, heiratete er plötzlich eine andere?

>>Kira? Ist wirklich alles in Ordnung?<<, hakte Nils nach und legte seine Hand auf meine Schulter. Am liebsten wäre ich davon gerannt, so weit weg von ihm wie ich konnte und dann nie mehr zurück. Konnte er nicht endlich gehen und mich in Ruhe lassen? Merkte er nicht, dass er mich mit seiner guten Laune nur noch trauriger machte? Nein, natürlich merkte er das nicht. Wie sollte er auch, er wusste ja nicht einmal, dass ich etwas für ihn empfand. Ich hatte mich nie getraut, es ihm zu sagen – und jetzt war es zu spät.

>>Ja... ja<< Ich nickte hektisch und schluckte meine Wut herunter. >>Ich bin nur etwas... müde...<<

>>Ach so<< Nils nahm seine Hand von meiner Schulter und lächelte nervös. >>Ich wollte dich noch etwas fragen...<<

>>Ja?<<

>>Also... ich hatte dir ja die Liebeslieder gegeben... na ja... und ich hatte gedacht, vielleicht könntest du ein paar davon auf meiner Hochzeit vorspielen. Du bist eine meiner besten Schülerinnen... das wäre echt klasse, wenn du das machen würdest! Du musst nicht, aber... würdest du es denn machen? Mir zuliebe?<<

>>Ja<<, krächzte ich und ballte die Hände zu Fäusten. Wenn er doch bloß wüsste, wie sehr diese Frage schmerzte! Jedes Mal, wenn er das Wort Hochzeit auch nur erwähnte, war es, als würde er mir mit einem Messer direkt ins Herz stechen. Wieder und wieder und er merkte nicht, wie weh er mir damit tat!

>>Gut<< Nils drückte mich zum Abschied an sich und verließ dann ohne ein weiteres Wort das Haus.

Kaum war die Haustür hinter ihm ins Schloss gefallen, stieß ich einen Wutschrei aus, stampfte verzweifelt auf und schleuderte die Einladung zur Hochzeit auf den Wohnzimmertisch. Ich polterte schluchzend die Treppen hoch, knallte die Tür meines Zimmers hinter mir zu und warf mich dann heulend auf mein Bett. Als ich mich ausgeweint hatte, stand ich vollkommen lustlos und verzweifelt auf, schloss die Tür ab, holte die Kopfhörer aus meinem Schrank und machte so laut Musik an, dass es unmöglich gut für meine Ohren sein konnte. Doch die dröhnenden Bässe vertrieben die Gedanken an Nils aus meinen Kopf. Als ich mich jedoch wieder auf mein Bett legen und eine Weile einfach nichts tun wollte, fiel mein Blick auf das Bild von Nils und mir auf meinem Nachttisch und die Trauer kam mit einem Schlag zurück. Wieder begann ich zu weinen, ich schluchzte in mein Kissen bis die Nacht hereinbrach und keine Tränen mehr zum Weinen übrig waren. Irgendwann – ungefähr um 3:30 Uhr, genau wusste ich es jedoch auch nicht – schlief ich ein und begann zu träumen. Von Nils und mir, wie wir gemeinsam am Strand lagen, Arm in Arm, während das Knistern des Feuers und das Rauschen der Wellen uns langsam in den Schlaf lullten. Es war ein schöner Traum, bis auf die eine Tatsache, dass das wohl für immer nur ein unerfüllter Traum bleiben würde.

Der KlavierlehrerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt