Hasen

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Warten.
Wir verbringen alle viel Zeit damit, auf etwas zu warten; auf das Taxi zur Party. Darauf, dass der Urlaub endlich anfängt oder, dass das Paket, welches man bestellt hat, endlich ankommt.
Wir warten immer auf irgendwas und in dem Moment des Wartens kreisen unsere Gedanken wie kleine Obstfliegen um unseren Kopf und lassen uns nicht los. Sie werden auf Dauer nervig und lassen uns durch ihr immer währendes surren nachts nicht mehr einschlafen. Nachts nicht schlafen, bis das Warten ein Ende hat, der Zeitpunkt gekommen ist, und die Obstfliegen wie durch Zauberhand verschwinden.

Nehmen wir aber mal an, dass wir auf nichts von diesen Dingen warten und es trotzdem tun. Wenn wir auf etwas warten, ohne zu wissen, was es eigentlich ist. Keine Party, keinen Urlaub und kein Paket.
Wenn man absolut nicht weiß, worauf man wartet und schließlich irgendwann, wenn man aufgehört hat durch die Wohnung zu tigern, nur noch auf dem Sofa sitzt und gar nichts mehr tut.
Nichts mehr, außer warten.
Worauf warten wir?
Worauf warten wir, wenn absolut nichts da ist, worauf man warten kann?
Keine Party, kein Urlaub und kein Paket.
Da ist kein aufkommendes Event, nichts, worauf man sich freut, da ist nur die große Routine, die sich Alltag nennt und die Ungewissheit, die größer scheint als das ganze Universum. Und wenn man sich vorstellt, wie groß das Universum allein schon ist, dann ist die Angst vor dem Ungewissen so viel größer, dass sie uns so sehr auffrisst, als hätte sie den Hunger eines Wolfes, der seit Wochen auf Nahrungssuche ist und nur ab und an einen kleinen Hasen bekommt.
Der Hase lässt diesen Wolf weiter laufen, weiter hoffen, weiter leben. Dieser kleine Hase ist alles, was den Wolf über Wasser hält.
Keine Party, kein Urlaub und kein Paket.
Er wartet auf den nächsten Hasen; legt sich auf die Lauer und hält dem Wetter und seinem Hunger stand. Er quält sich durch sein Leben, nur, damit ein weiterer, kleiner Hase seinen Hunger stillen kann. Ein weiterer kleiner Hase, der ihm Kraft gibt und ihn weiter leben lässt.
Und so ist es auch mit der Angst. Wenn wir unter den Menschen sind, die wir lieben, ist es so, als hätte es diese Angst niemals gegeben. Sie ist nicht da, nicht akut. Nicht existent.
Aber gehen diese Menschen abends nach Hause, dann sind wir allein. Allein mit der Angst. Allein mit der Ungewissheit. Und da ist kein kleiner Hase mehr, der uns Halt gibt und uns über Wasser hält.
Und wir warten auf nichts außer vielleicht ihre Rückkehr, weil sie die Einzigen scheinen, die uns unsere Angst, wenn auch nur für einen kleinen Moment, nehmen können.
Keine Party, kein Urlaub und kein Paket.
Und plötzlich sind wir so sehr abhängig von unseren Hasen, dass wir versuchen uns mit aller Kraft an ihnen festzuhalten aber drücken sie dabei immer ein Stück mehr von uns weg. Diese kleinen Hasen. Diese kleinen Hasen sind der Grund, warum wir auf nichts warten.
Denn, wenn sie nicht da sind, ist da nichts, worauf man sich freut. Nichts, worauf man sonst warten kann. Nichts, außer surrende Obstfliegen.
Immernoch keine Party, keinen Urlaub und kein Paket.

Warum aber brauchen wir diese Hasen? Warum brauchen wir diese Hasen, an denen wir uns so sehr klammern, als wären sie das Licht der Welt?
Wir sind doch nicht ausgehungert und nicht auf Nahrungssuche.
Und auch, wenn das Universum und die Ungewissheit so groß erscheinen, dass sie die Angst aufleben lassen, so sind und bleiben wir Menschen; und keine Wölfe.

Wir haben ein Leben. Wir haben ein Leben, welches wir absolut und ohne große Umschweife, selbst bestimmen können. Wir und allein wir haben die Macht, alles so zu machen, damit wir mit unseren Leben zufrieden sind.

Nur wir können uns unsere Angst nehmen und dem Warten auf Nichts ein Ende bereiten.

Wenn da keine Party ist, dann schmeiß' selbst eine.
Wenn der Urlaub weit entfernt scheint, dann fahr' über das Wochenede weg.
Und wenn kein Paket für dich ankommt, dann gönn' dir die Handtasche, die du im Online-Shop seit so vielen Wochen immer wieder anschaust.

Denn es ist dein Leben und du hast es verdient, auf Sachen warten zu können, über die du dich freust.
Löse dich von deinen Hasen; ihre Rückkehr ist nicht der Grund, auf den du warten solltest.
Warte auf deine eigene Party.
Warte auf deinen Wochenend-Urlaub.
Warte auf deine Handtasche, die du dir selbst schenkst.

Du hast dein Leben in der Hand, also gib dir etwas Schönes, damit sich dein Warten auf Dauer auszahlt.
Etwas, womit du dir selbst deine Angst endgültig und ohne Wiederkehr nehmen kannst, etwas, auf das du dich für dich selbst freuen kannst. Etwas, was nur dir gehört und nur du allein für verantwortlich bist.
Keine Hasen.
Keine Hasen.
Denn Hasen können uns die Angst auf Dauer nicht nehmen; das können nur wir selbst.

Hochsensibel, oder: 50x mehr fühlen als der Durchschnitt.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt