Kapitel 9 - Fragen ohne richtige Antworten

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Wo warst du so lange? Warum hast du dich nicht ab- geschweige denn überhaupt gemeldet und wo kommt der ganze Dreck her?. Wie ich schon zu prophezeien gewagt hatte, darf ich nun wieder Teilnehmer des gestressten Ich-habe-mir-Sorgen-gemacht-Interviews sein. Der anstrengende Part, nämlich das Ertragen der hysterischen Fragen, ist überstanden. Jetzt folgt der schwierige Teil. Das Antworten.

Ich stammele vor mir hin und versuche ehrlich zu Antworten. Doch wie soll man ehrlich antworten, wenn man selbst die Wahrheit noch gar nicht begriffen hat?

Ich war auf der Suche nach Leonie! Der Brief hat mich vergessen lassen, dass es noch andere Menschen gibt! Ich bin irgendwie Ohnmächtig geworden!

Anscheinend waren diese Antworten nicht ausreichend, im Gegenteil. Jetzt wirkt sie noch besorgter und die zweite Fragerunde beginnt. >Schalten sie nicht Ab! Gleich nach der Werbung geht es für sie weiter<, kommt mir spontan in den Kopf. Die emotionale Reaktion darauf, ein lächeln, hilft der gesamten Situation auch nicht. Ich glaube ich kann sehr dankbar sein, dass meine Mutter nicht darauf geachtet hat und zu beschäftigt mit ihren Sorgen ist.

>Und nun beginnt auch schon Runde 2<, ich kann es gerade nicht abschalten.

Warum suchst du denn Leonie? Du weißt doch wo sie wohnt und ansonsten habt ihr doch WhatsApp. Was stand denn in dem Brief was dich so paralysiert hat? Ist der Brief auch der Grund für deine Ohnmacht?

Die erste Runde war deutlich leichter gewesen. Logisch! So ist das eben in Quizshows. Ich frage mich warum meine Mutter keine Quizmasterin geworden ist. Stattdessen arbeitet sie bei der Dialyse und kann seitdem auf kein Wort, welches mit >lyse< endet, verzichten.

Meine Antworten spiegeln alles wieder, was ich bisher selbst begriffen habe.

Sie hat mir einen Abschiedsbrief geschrieben. Du weißt schon! Die Ante Mortem geschrieben werden. Bevor sich Leute ins Jenseits verabschieden., ich mach eine kurze Pause. Das alles in Worten auszusprechen tut zehnmal mehr weh, als das nur im Kopf zu haben. Positiv ist jedoch, dass nun eine dramatische Pause entsteht und ein bisschen Dramatik schadet nie. Also jetzt aber weiter! Ich versuche mich wieder zu fassen.

Wir hatten einen besonderen Ort im Wald. Nur für uns. Ich dachte mir, wo wenn nicht dort? Und dann bin ich auch schon los! Vorort habe ich dann einen Brief gefunden., mir fällt ein, dass ich ihn mir in die Tasche gesteckt habe. Ich hole den zerknitterten Zettel aus meiner Hosentasche und lese ihn meiner Mutter vor.

Ja und dann muss ich irgendwie in Ohnmacht gefallen sein.

Den erbärmlichen Teil, an dem ich hilflos auf dem Waldboden liege, lasse ich raus. Der bleibt nur mir. Ist mir ja jetzt schon peinlich genug. Mal abgesehen davon, dass dies auch nur die Schilderung meiner Taten war. Über meine Emotionen bin ich mir noch nicht im Klaren, aber ich habe Angst vor den Gefühlen, die mich in einiger Zeit heimsuchen werden. Doch was genau in mir vorgeht kann ich nicht sagen. Irgendwie gruselig und doch befreit, wenn daran denke was noch kommen wird. Ich denke mein Kopf steht noch unter Schock spätestens Morgen würde das Gefühlschaos über mich einbrechen.

Mit perfektem Timing kommen wir zu Hause an. Direkt als ich das letzte Wort gesprochen habe, biegt meine Mutter in unser Wohnsiedlung und wir schweigen, bis ich mich mit einem Tee bewaffnet auf das Sofa fallen lasse.

Die nervige, besorgte Mama, ist nun zur >Wir-stehen-das-gemeinsam-durch< Mama geworden. Diese Version gefiel mir immer am besten. Sorgenlos lassen ich mich in Mamas Arm gleiten.

Alles würde gut werden

Renn schneller als die VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt