Live II

141 6 2
                                    

Ich renne und renne, bis meine Lunge zu bersten droht und meine Beine unter mir nach geben. Ich bin so schnell, dass ich gar nicht merke, wie mir jemand auf einem Fahrrad entgegen kommt und prompt in mich rein fährt, ich stolpere. Stürze der Länge nach auf den Asphalt, schürfe mir die Hände auf. Shit!

Das Letzte, was ich sehe, ist das Blut. Es sickert von meinen eingerissenen Fingern in den dunklen Rinnstein, tränkt den Boden unter mir.

Ich sehe wieder Jay vor mir, wie er auf den Gleisen um sein Leben kämpft...wie er alles für mich getan hat, damit ich glücklich werde.

Und ich habe ihm das alles genommen.

Jay...“, hauche ich noch ein letztes Mal, bevor mich die Dunkelheit wie ein dunkler Teppich umhüllt und fest hält. „Bitte...bitte verzeih mir...“

Er wird dir nicht vergeben, Arya. Du hast ihn verletzt, du bist das Problem.

Und Probleme müssen beseitigt werden, oder? Das weißt du doch...

Ich will schreien, meinem Gedächtnis klar machen, dass ich es nicht so gemeint habe.

Ich bin kein Problem!

Es hört mich nicht, lacht nur dreckig. Dreckig und gemein. Das Gelächter nimmt meinen Kopf ein, dann meine Knochen, meine Muskeln, meinen ganzen Körper.

Bevor es mich hinunter in die Tiefe zieht.

_______________

Das Erste, was ich höre, ist das schrille Quietschen einer Geige. Ich blinzele, versuche, die Augen zu öffnen - und werde für meinen gescheiterten Versuch mit einem Schwall Wasser über mein Gesicht belohnt.

Prustend, weil mir jetzt die Kehle brennt und ich wahrscheinlich auch noch erkältet werde, setze ich mich in dem weichen Ledersessel auf. Und kann dann endlich meine Augen öffnen.

Gary hockt auf der Armlehne des Sessels, seine Violine ruht auf seiner Schulter. Der Bogen kratzt förmlich über die Saiten und erzeugt Töne wie von tausend heulenden Katzen...grauenvoll. Gar nicht mit dem zu vergleichen, was ich in der Kirche im Traum gehört habe.

Doch bevor er mein Trommelfell noch weiter quälen kann, wird die Tür zum Wohnzimmer aufgestoßen und Laura marschiert schnurstracks in Richtung Sofa, nimmt ihrem Vater das Instrument aus der Hand.

Ein Glück.

„Ich glaube, er ist bereits wach, Daddy!“, meint sie kopfschüttelnd und blickt kurz zu mir. Sie lächelt nicht. Versucht es gar nicht.

Sie hält dich für ein Monster.

Hilfesuchend schaue ich zu meinem Therapeuten hinüber, der jedoch ebenfalls dieselbe Miene aufgesetzt hat. Kalt wie Eis.

Bleibt ruhig, Leute. Ich kann alles erklären..., will ich sagen, stattdessen kommt mir nur ein verzweifeltes Hmpf über die Lippen.

Gary seufzt tief und krempelt sein Hemd um, schickt seine Tochter in die Küche. Ich weiß genau, was jetzt kommt.

Und es dauert keine Sekunde, da legt er auch schon los:

„Es gibt gute und schlechte Nachrichten! Welche willst du zuerst wissen?“

Oh ja, ich hab's gewusst. Das übliche Gerede.

Die gute natürlich, was denkst du denn?“, schmunzle ich, was mir einen vernichtenden Seitenblick einheimst.

Die Lage ist ernst, Arya. Cool bleiben, alles nur ein verdammtes Missverständnis...du kriegst das wieder hin. Das kriegst du doch, hab ich Recht?

Jay und Arya/ Der Lehrer One - Shots Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt