Another Christmas Carol

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Bald ist Weihnachten. Jay freut sich schon seit Jahresbeginn auf das Fest der Liebe, Geschenke und vor allem Zeit mit Familie und Freunden. Überall duftet es herrlich nach Gebäck, der Tannenbaum ist mit viel Glitzer und Lametta bestückt und zum x - ten Mal dröhnt Last Christmas im Radio. Und natürlich nicht zu vergessen: Die Leute, die kurz vor Heiligabend noch schnell etwas kaufen, um ja niemanden leer ausgehen zu lassen. Zu denen Jay natürlich nicht gehört - na ja, wenigstens ein kleines bisschen.

Sein Bro Arya Lee wird bestimmt mit seiner Familie feiern, da ist er sich sicher. Während er missmutig zuhause hocken muss und nur über Skype seine Verwandten kontaktieren kann...

Ja, als gebürtiger Amerikaner aus New Jersey hat man es nicht leicht, wie es scheint. Da er sich damals in Deutschland um einen Job beworben hat und deshalb nach Berlin gezogen ist, kommt seine Familie höchstens einmal pro Jahr zu Besuch. Während der ganze persische Clan von Arya jeden Monat erscheint und ihm den neuesten Klatsch berichtet.

All I want for Christmas is you..., schallt aus den Boxen des KadeWes, die überall an der glitzernden Decke verteilt sind. Die Menschen um ihn herum hasten hektisch von einem Laden zum nächsten, bereits voll beladen mit Tüten und Paketen. Andere, so wie er, schlendern gemächlich durch das Shopping - Center, sich eine Waffel oder gebrannte Mandeln genehmigend. Fröhliche Stimmung, wohin man sieht. Doch tief in seinem Inneren ist es alles andere als fröhlich und unbeschwert. Welcher Trottel feiert denn ganz alleine Weihnachten? Tja, einer fällt ihm dazu ein.

Auf dem Weg zu seiner Wohnung kommt er an dem berühmten Berliner Weihnachtsmarkt vorbei, in dessen Mitte ein gigantischer Baum alle Stände überragt. Obendrauf ein Stern und vor ihm eine Holzkrippe, mit Jesus, Maria und Josef...was Jay beinahe kotzen lässt. Es erinnert ihn an das Theaterstück, worin er damals in der Middle school den Engel spielen musste und sich bis auf die Knochen blamiert hat. Und das alles wegen seiner Locken...

Klar, Engel haben halt Locken. Aber Jay wäre für diese Vorstellung echt ungeeignet...

Platsch! Eine geballte Ladung Schnee hat sich von der Tanne gelöst und klatscht ihm auf den Kopf, der Amerikaner prustet empört. Sehr kalt. Und sehr nass. Wie ein Hund schüttelt er sich die weiße Pracht aus der Frisur und schlingt sich den Schal fester um seinen Pulli. Dann stapft er mit grimmiger Miene die letzten Meter zu seinem Appartement. Irgendwie ist ihm die Lust auf Weihnachten jetzt total vergangen...

Zuhause angekommen empfängt ihn ein seltsamer, beißender Geruch und Jay bleibt verdutzt im Türrahmen stehen. Als hätte man einen Beutel Chili direkt in der Wohnung aus gekippt und nicht weg geräumt. Doch bevor er seine Überlegungen weiter ausführen kann, wird er auf einmal ganz schläfrig und tiefe Finsternis senkt sich herab.

Stöhnend erwacht Jay schließlich in völliger Dunkelheit, sein Schädel brummt vor Schmerz. Wo befindet er sich? Jedenfalls nicht mehr in der Wohnung, soviel ist sicher. Man kann kaum die Hand vor Augen erkennen, so dunkel ist es... „Hast aber ganz schön lang gebraucht, was?", schreckt ihn eine etwas vertraute Stimme hoch und er dreht sich langsam um. Wie von Geisterhand flammt eine Kerze auf und erhellt das Gesicht einer Gestalt, die Jay sehr an... „Barry?", ruft er verblüfft und will seinen YouTube - Kumpel und Kollegen ab klatschen, der jedoch runzelt die Stirn: „Ey, ich bin kein Spielzeug, klar? Ich bin der Geist der vergangenen Weihnacht und gekommen, um dir die wahre Bedeutung dieses Festes näher zu bringen. Also nimm deine Griffel von mir weg!" Der Amerikaner versteht nur Bahnhof. Gut, vielleicht auch noch D - Zug. Aber Geist? Vergangene Weihnacht? Das muss ein Traum sein...

Erst jetzt fällt Jay auf, dass der Körper dieses Muskelbergs von innen heraus zu leuchten scheint, sein Outfit sieht ebenfalls anders aus als sonst. Statt der Bauchtasche und Top trägt er nun einen langen Mantel und hat einen Kranz aus Stachelbeeren auf dem blanken Schädel. Ohne den Bart sieht er ebenfalls äußerst drollig aus, was ihn laut prusten lässt. Der Geist schnippt mit den Fingern und lässt ein Glätteisen erscheinen, das vor Jays Haaren bedrohlich auf und zu klappt...alles, nur das nicht.

Jay und Arya/ Der Lehrer One - Shots Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt