Disorder

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Der schwach erleuchtete Flur kommt ihm jedes Mal ein Stückchen länger vor. Beißender Geruch von Desinfektions - Mittel liegt in der abgestandenen Luft und Staubpartikel kitzeln ihn in der Nase. 211, 210, 209...noch ein ganzes Stück liegt vor ihm. Man hat ihm ständig gesagt, er solle aufhören. Aufhören mit der Faulheit und sich von Arya zum Sport mitnehmen lassen. Joggen, Schwimmen, Fitness Studio - all das hat er gekonnt verweigert. Und wenn, hat er sich raus gemogelt. Er wollte lieber an dem arbeiten, was er sein Hobby nennen darf: Rappen. Er wollte besser werden, der Community das bieten, was sie sich von ihm erhofft haben. Er wollte noch ein Album raus bringen, vielleicht mit seinen früheren Kollegen etwas Neues machen. Und jetzt muss er den bitteren Preis zahlen.

Die Folge: Sein Blutdruck ist mehr und mehr angestiegen, Herz - Kreislauf - Störungen noch obendrauf. Beim Dreh ist er schon zweimal umgefallen, einfach so. Ihm blieb nichts anderes mehr übrig als das Krankenhaus, dass er ja so verabscheut.

Der gepunktete Kittel, der seinen nackten Körper einigermaßen vor Erkältungen schützt, lässt ihn bereits wie ein alter Mann aussehen. Was er nicht ist, im Gegenteil. 25 ist gerade mal die Schwelle zwischen Jugend und Erwachsen werden, unsicher, was danach kommt.

Endlich ist Jay an seinem Zimmer angekommen, der Weg dorthin scheint ihm beinahe wie eine halbe Ewigkeit. Dazu noch dieser ekelhafte Geruch...

Langsam öffnet er die Tür und wird augenblicklich von einer drückenden Stille empfangen, die er nicht gewohnt ist. Zusammen mit Arya ist es viel schöner, lauter gewesen. Sie haben gemeinsam Filme geschaut, sich Geschichten aus der Vergangenheit erzählt...und Jay wollte ihm noch so gerne seine Gefühle gestehen. Was er nun bereuen wird. Und zwar äußerst bitter.

Nachdem der Amerikaner sich geduscht und das heiße Wasser über sich genossen hat, stellt er sich auf die Waage. Die rote Zahl auf dem kleinen Display lässt ihn schwindelig werden, alles dreht sich. Schon wieder drei Kilo runter. Man kann förmlich seine Rippen sehen.

Kein Wunder. Mit den Herzproblemen kam schließlich auch die extreme Bulimie, kurz nachdem er eingeliefert worden ist. Pro Tag ein Apfel und sonst nichts. Das Essen hier ist nichts im Vergleich zu dem, was er damals beim Tinseldinner oder in ihrer Wohnung vorgesetzt bekommen hat. In dem kleinen, aber geräumigen Appartement mitten in der Stadt haben sie sich mit dem Kochen meist abgewechselt und wenn nicht, tut es bekanntlich mal Pizza.

Während das Krankenhaus - Essen fast nur aus Suppe oder Brot besteht, als wäre das hier ein Gefängnis. Besuch hat Jay bis jetzt wenig gekriegt, doch Arya nimmt sich die Zeit gerne. Seinen Arya, den er um keinen Preis verlieren möchte.

Er ist immer sein Fels in der tosenden Brandung gewesen, seine Zuflucht. Was er dachte, was er fühlte...all das hat Jay geteilt. Man hat geglaubt, die beiden würden für immer unzertrennlich bleiben, doch das Leben kann manchmal hart sein. Wo es dann so schnell keinen Ausweg mehr gibt, man fährt immer noch gnadenlos im Kreis. Bis zum bitteren Ende, was schneller kommt als erwartet.

Kraftlos sinkt Jay auf die kalten Fliesen, denkt nicht daran, sich anzuziehen. Er ist doch erst 25, verdammt! Warum ist sein Leben denn dazu bestimmt, den Bach hinunter zu gehen?

Er stellt den Hahn erneut an, nebliger Dunst erfüllt den Raum hinter der dünnen Glas - Scheibe. Das eben noch angenehme Wasser nimmt schnell an Temperatur zu und wird heißer als zuvor. So heiß, dass es ihn verbrühen wird.

Es kümmert ihn nicht, reglos steht er da und macht keine Anstalten, die Dusche zu verlassen. Der Nebel hat bereits seine Füße erreicht, droht, ihn zu ersticken... Was wenigstens in seiner Situation ein nicht ganz so qualvoller Abgang sein wird.

Jay und Arya/ Der Lehrer One - Shots Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt