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Gut, wenn ich jetzt sterben sollte, dann... Ich wollte nicht darüber nachdenken und beschäftigte mich lieber mit dem Versuch, in der Wand hinter mir zu versinken.
Bis mir ein anderer Gedanke kam: Wenn ich dieser seltsamen Frau vertraut hätte, wäre ich jetzt nicht hier, wo ein schwarzes, geflügeltes Monster ganz eindeutig darauf aus war, mich zu fressen! Es kam jetzt ganz langsam immer näher, wie in Zeitlupe, und schien es regelrecht zu genießen, mich so verängstigt zu sehen. Hätte ich doch nur...
Wie von diesem Gedanken gerufen, flog plötzlich etwas durch das geschlossene Fenster. Geistesgegenwärtig warf ich mich flach auf mein Bett, während links neben mir die Scheibe in tausend Scherben zersprang. Auch das Monster taumelte zurück, wie ich durch meine über dem Kopf gekreuzten Arme sah. Genau wie ich starrte es jetzt das Wesen an, das sich geschickt abgerollt hatte und schon wieder auf den Füßen stand.
Nein, kein Wesen. Ein Mensch!
Die Frage war nur: Wollte er mir helfen - oder stand er auf der Seite des schwarzen Ungetüms? Unsicher betrachtete ich ihn genauer. Es war ein junger Mann, vielleicht noch nicht einmal erwachsen, und trotzdem strahlte er Gelassenheit und Erfahrung aus, als er langsam auf den Flugsaurier zu ging. Er trug einen schwarzen Anzug, aus dessen diversen Taschen Griffe ragten. Waren das Waffen?! Tatsächlich zog er jetzt ein langes Schwert aus einer Halterung am Rücken und ging damit auf das Monster los, das sich sofort fauchend wehrte.
Wie erstarrt beobachtete ich den Kampf: Der Mann tänzelte geschickt um das Wesen herum und stach immer wieder mit seinem Schwert zu, und das Monster schlug mit Flügeln, Krallen und seinem spitzen Schnabel zurück, sodass der Boden bebte.
Ich bekam immer mehr Respekt vor diesem Mann, der so selbstverständlich sein Schwert herumwirbelte und dabei ziemlich gefährlich aussah, obwohl er mir gerade half. Wenn ich so darüber nachdachte, hatte er mir das Leben gerettet! Und er schien dem Monster sogar überlegen zu sein, da dieses zwar viel größer als er und dementsprechend stark war, aber durch seine sperrigen Flügel behindert wurde.
Da, die Klinge hatte es an der Seite erwischt! Der Saurier stieß einen röhrenden Schmerzensschrei aus und schlug nun umso wütender zu, sodass sein Angreifer zurückweichen musste. Langsam aber sicher wurde er gegen meinen Schreibtisch gedrängt, das Blatt hatte sich gewendet! Die Wunde schien das Flügelwesen nicht zu behindern, obwohl unablässig dickflüssiges, seltsamerweise schneeweißes Blut daraus auf den Boden tropfte.
Mein Teppich ist hin, dachte ich nüchtern, aber mir war klar, dass das gerade nicht mein größtes Problem war. Ich musste eingreifen, wenn ich nicht doch als Saurierfutter enden wollte! Also rappelte ich mich auf, griff kurzerhand nach einer der Glasscherben vor mir und schleuderte sie auf das Monster. Sie prallte von der dicken, ledrigen Haut ab, ohne das Ungeheuer zu verletzen, aber ich hatte es abgelenkt.
Verwirrt blickte das Flügelwesen hin und her, wahrscheinlich unschlüssig, wen es als erstes angreifen sollte. Diesen Moment nutzte der Mann, um vorwärts zu springen und dem Monster mit seiner Klinge den Kopf abzutrennen. Ohne jeden Laut fiel es in sich zusammen.

Entsetzt keuchend starrte ich die Saurierleiche an. Mein halber Fußboden war mit weißem Blut bedeckt, und erst jetzt nahm ich den Geruch wahr, ein ekelhafter Gestank nach Verwesung und Tod. Der sicherlich nicht nur davon kam, das jedes Leben aus dem Monster gewichen war.
Der abgetrennte Kopf lag etwas abseits, halb hinter meinem Schreibtisch versteckt, und doch musste ich ihn ansehen. Entsetzt. Geschockt. Ich hatte noch nie so etwas Furchtbares gesehen - außer vielleicht den lebenden Saurier eben.
Irgendwie wurde meinem Körper jetzt erst klar, dass die Gefahr vorüber war, und ich drehte mich erleichtert und dankbar zu meinem Retter um.

Nun ja, als er statt einer Begrüßung sagte: ,,Du hättest wirklich nicht eingreifen müssen", war es mit der Dankbarkeit auch schon wieder vorbei.
,,Ach ja?",gab ich zurück. ,,Ohne mich hättest du es sicher nicht geschafft, das Monster da hatte dich doch fast besiegt, und überhaupt hättest du mich wirklich nicht retten müssen, ich hätte es schon alleine geschafft, mit ein paar Sachen werfen und so, das Ding war ja nicht gerade unverwundbar, was war das überhaupt für ein Ding, und wie konnte es...?"
Okay, ich stand wohl wirklich noch unter Schock, eigentlich quasselte ich nie so viel ohne Pause. Aber die Wörter strömten einfach so aus meinem Mund, und sie mussten sowieso gesagt werden, und...
Erschöpft ließ ich mich aufs Bett fallen, ohne mich um die Glasscherben zu kümmern, die mich in den Po stachen. Ich warf einen Blick auf das Fenster: Die Scheibe war komplett zerstört, nicht einmal am Rand waren noch Scherben zu sehen, als hätte jemand die Glasscheibe einfach herausgenommen. Durch die Öffnung wehte ein leichter Wind und irgendwo zwitscherte tatsächlich gerade jetzt ein Vogel. Was für eine Idylle.
Die nur von dem Typen im schwarzen Lederanzug gestört wurde, der mich immer noch ansah und dabei irgendwie belustigt wirkte, als wäre ich nur ein ängstliches kleines Mädchen. Was ich zugegeben auch war. Er dagegen war ganz der starke Mann: Groß, muskulös, obwohl mir wieder auffiel, wie jung er eigentlich war. Er konnte höchstens siebzehn oder achtzehn sein. Seine dunklen Haare wurden halb von einer Kapuze verdeckt, sein Gesicht wirkte hart, aber in seinen Augen stand Sorge.
,,Ist alles gut bei dir?", fragte er jetzt und kam näher auf mich zu.
Ich nickte nur, obwohl mein Inneres ein reines Chaos war. Da war gerade ein Monster aus dem Spiegel gekommen, ganz zu schweigen von den Tentakeln im Wohnzimmer und all den seltsamen Ereignissen... Wie sollte da alles gut sein? Nichts war gut!
Apropos, wohin war eigentlich mein Abbild verschwunden? Es stand nicht mehr vor meinem Bett, aber nach allem, was passiert war, kümmerte mich das relativ wenig. Vielleicht war es in den Spiegel geklettert oder trank mit den Tentakeln Kaffee. Schließlich war jetzt alles möglich. Was mich zu einer anderen kürzlichen Erkenntnis führte, an die ich gar nicht erst denken wollte...

Zum Glück riss mich der Junge aus meinen Gedanken, als er sich vorstellte: ,,Ich bin übrigens Finn, und du? Elena, oder?"
,,Ella", verbesserte ich ihn und dachte dabei, wie unpassend ich diesen Namen für ihn fand. Ich hatte gedacht, dass seiner kriegerischer wäre, erwachsener, bei Finn sah ich eher einen kleinen Jungen vor mir.
Egal, ich war imner noch ziemlich verwirrt und hatte erst mal ein paar Fragen: ,,Wieso hast du mich gerettet? Woher wusstest du überhaupt, dass ich in Gefahr war? Woher hast du diese Ausrüstung? Und wo hast du so gut kämpfen gelernt? Bist du überhaupt..."
Ich brachte den Satz nicht zu Ende, aber Finn schien zu wissen, was ich meinte.
,,Aus dieser Welt? Nein. Was die ersten beiden Fragen angeht: Sue hat mich geschickt."
Natürlich, wer auch sonst...
,,Wie auch immer." Finn wirkte plötzlich gehetzt. ,,Wir müssen hier weg, bevor noch mehr Wesen erscheinen. Jemand anderes wird sich um sie kümmern."
Ich hoffte nur, dass mit jemand nicht Sue gemeint war. Aber wo wollte er mich jetzt hinbringen?
Finn hatte anscheinend nicht vor, mir das zu verraten, denn er zog mich durch die Tür, die jetzt wieder offen war, die Treppe hinunter und nach draußen. Ich konnte gerade noch nach meiner Umhängetasche greifen, die im Flur stand, dann waren wir schon auf der Straße.

Was ich dort sah, überraschte mich schon gar nicht mehr: Es war ein Motorrad. Ohne Räder.
Es schwebte einfach in der Luft, wie von unsichtbaren Fäden gehalten, auf der gleichen Höhe wie ein normales Fahrzeug, sodass es auf den ersten Blick ziemlich unauffällig war. Es war nachtschwarz und genau wie der Anzug schien es Spezialfunktionen zu haben, versteckte Antriebe, Haken oder Schusswaffen.
Himmel, war dieser Typ ein Agent oder so? Jedenfalls sah er genau aus wie in einem Spionagefilm, als er sich auf sein Motorrad schwang und den Motor startete.
Dann sah er mich auffordernd an. ,,Na los, worauf wartest du?"
,,Äh... vielleicht könntest du mir vorher mal verraten, wo wir hinfahren?" Ich hatte bestimmt nicht vor, mich von ihm irgendwohin verschleppen zu lassen, nachdem ich Sue entkommen war.
Er seufzte. ,,Wenn ich es dir sage, wird es dich bestimmt nicht beruhigen... Also gut: Wir fahren zum verlassenen Haus."
,,Schon wieder? Ist diese Bruchbude der Dreh- und Angelpunkt des magischen Multiversums oder wie?"
,,So in etwa." Finn grinste mich schief an. ,,Also, kommst du jetzt?" Als er sah, dass ich immer noch zögerte, fügte er hinzu: ,,Früher oder später bekomme ich dich sowieso dazu. Außerdem, willst du wirklich hier bleiben, wo jederzeit ein Ungeheuer aus dem Fenster schlüpfen könnte?"
Damit hatte er mich dann. Schicksalsergeben stieg ich hinter ihm auf sein Agentengefährt und zusammen fuhren wir in den Sonnenuntergang... oder so ähnlich.

Er brachte uns genau in das Gebiet, in dem wir damals nach Charlie gesucht hatten. War das wirklich erst eine Woche her? Mir kam es vor wie eine Ewigkeit. Eine Ewigkeit des Grübelns und der seltsamen Ereignisse.
Kaum waren wir vor der vertrauten hohen Hecke zum Stehen gekommen, sprang Finn vom Motorrad und winkte mich zum morschen Holztor, auf dessen Namensschild immer noch Suchy und Sieh stand. Ich folgte ihm hindurch und über einen schmalen Kiesweg zur alten Eingangstür. Als ich den schummrigen Flur betrat, musste ich wieder an meine Suche nach Charlie denken. Die gleiche unheimliche Atmosphäre folgte uns, als Finn eine der beiden geschlossenen Türen aufzog und den Raum betrat, den ich bei meiner Suche außen vor gelassen hatte.
Als ich es ihm gleichtat, fiel mir sofort etwas auf: Dieser Raum hier wurde anscheinend regelmäßig betreten. Zwar bedeckte eine dicke Staubschicht den Boden, doch diese wurde von zahlreichen Fußabdrücken durchbrochen, einige älter als andere. Sonst konnte ich in diesem Raum aber nichts interssantes entdecken - nur ein Tisch, Stühle, ein Schrank -, also sah ich Finn abwartend an. Was hatte er jetzt vor?
Er holte tief Luft, als kostete ihn das hier viel Überwindung. ,,Bist du bereit, durch die Welten zu reisen?"

Ella - Welt des LichtsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt