☆2☆

12 3 0
                                    

Natürlich durften wir mit dem Bus hinfahren, was meine Laune nochmal verbesserte. Räusper. So dauerte die Fahrt nämlich ungefähr doppelt so lange wie mit dem Auto. Dazu kam noch, dass der Bus komplett überfüllt war, sodass wir die ganze Fahrt lang stehen mussten.

Als wir endlich in der Bibliothek angekommen waren - das große Gebäude lag zum Glück direkt an einer Bushaltestelle - verschwand Elias sofort über eine Treppe in irgendeinen entlegenen Bereich. Was er hier wollte, ob er nur ein Buch suchte, sich hier mit seinen Freunden traf oder was auch immer, wusste ich immer noch nicht. Er konnte aber gut auf sich selbst aufpassen, also schlenderte ich einfach durch die Regalreihen, als mir ein Buch ins Auge fiel.
Es sah nicht besonders aus, im Gegenteil, es war sogar ziemlich unscheinbar. Und doch hatte es etwas Anziehendes an sich, sodass ich nicht anders konnte, als nach dem schmalen Buchrücken zu greifen und das Buch aus dem Regal zu ziehen.
Auf dem alt aussehenden Ledereinband war kein Titel eingeprägt, also schlug ich es auf.
Verzeichnis der Antike stand auf der ersten Seite. Ich blätterte weiter, doch es schien wirklich nicht mehr als ein Lexikon über die Römer oder so zu sein. Nicht gerade interessant. Konnte man von einem Buch mit geradezu magischer Anziehungskraft nicht wenigstens erwarten, einen halbwegs interessanten Inhalt zu haben? Und trotzdem...
Ohne lange darüber nachzudenken, steckte ich es in meine Tasche, um es später vorne auszuleihen.
Dann ging ich weiter zwischen den Regalen entlang, aber Bücher waren einfach nicht mein Ding und ich fand kein weiteres, das ich ausleihen wollte. Also sah ich mich eine Zeit lang bei den DVDs um und setze mich schießlich auf eines der Sitzkissen.

Gerade hatte ich mein Handy herausgeholt, als Elias hinter einem Bücherkarussell hervorkam. Er war anscheinend fertig mit dem, was er hier gewollt hatte, und als ich ihn danach fragte, hielt er nur schweigend ein Buch hoch. Da war mein Interesse schon weg und ich sah es mir nicht einmal an oder fragte nach dem Titel, auch nicht, als er es immer noch schweigend am Tresen auslieh. Dass er kein Wort sagte, hätte mich eigentlich wundern müssen, doch ich war mal wieder in meinen Gedanken versunken.

Im Bus fing Elias wieder an, etwas zu erzählen, und diesmal hörte ich wirklich zu. Fast hatte ich das Gefühl, ich würde mich von irgendetwas ablenken wollen, aber mir fiel nicht ein, wovon. Es war doch gar nichts besonderes passiert, oder?
,,Ella, ich habe dich etwas gefragt!"
Soviel zu zuhören...
,,Ähm... und was nochmal?"
,,Ob du das auch gemein findest", wiederholte mein kleiner Bruder genervt.
,,Ja, finde ich auch", stimmte ich zu, ohne wirklich zu wissen worum es ging. Was war denn heute mit mir los? Ich war doch sonst nie so abwesend!
Meine Gedanken wurden von einer monotonen Ansagestimme unterbrochen. Hier mussten wir aussteigen.

◇◇◇

Zu Hause wartete natürlich Arbeit auf mich. Dieser Tag wurde immer besser! Aber was tat man nicht alles für seine Familie. Sogar sein halbes Wochenende opfern.
Ich beschloss, zuerst die Spülmaschine auszuräumen, doch kurz nachdem ich angefangen hatte, kam meine Mutter in die Küche.
,,Ella-Schatz?"
,,Ja?", antwortete ich, ohne aufzublicken.
Das Kratzen eines Stuhls über den Küchenboden zeigte mir, dass sie sich setze.
,,Hör mal, ich will nicht, dass du denkst, ich würde deine Arbeit nicht zu schätzen wissen. Du tust so viel für die Familie... fährst morgens mit Elias los und kaum bist du wieder zurück, machst du dich an die Hausarbeit... du musst nicht so viel tun, weißt du. Ich komme schon klar."
,,Und warum bittest du mich dann immer wieder darum?"
Ich drehte mich zu ihr um, ein leichtes Lächeln auf den Lippen.
Sie seufzte. ,,Ach, ich... du weißt ja, wo dein Vater doch so wenig Zeit hat...
Wie war es eigentlich in der Bibliothek?"
Dieser Themenwechsel war mir nur recht.
,,Ganz gut", antwortete ich.
,,Und hast du dir auch ein Buch ausgeliehen?"
Ich schüttelte den Kopf, hielt dann jedoch in der Bewegung inne.
Schnell rannte ich aus der Küche und rief über die Schulter zurück: ,,Bin gleich wieder da!"

Meine Tasche stand noch im Flur, ich kramte darin und zog das Buch heraus.
Das Buch, das ich aus dem Regal genommen und eingesteckt hatte, aber vergessen hatte auszuleihen.
,,Scheiße!"
,,Alles gut?", kam es sogleich von meiner Mutter.
,,Ja", rief ich in Richtung Küche, während ich immer noch das Buch in meiner Hand anstarrte.
Wie hatte ich das nur vergessen können?
Ich hatte noch daran gedacht, dann war Elias gekommen und hatte sein Buch ausgeliehen... ich meins aber nicht.

Ich seufzte und wollte es gerade wieder einpacken, um es zurück zur Bibliothek zu bringen - und zu hoffen, dass sie mich dort nicht für einen Dieb halten würden - , als mir etwas auffiel: Der typische Streifen am Buchrücken, auf dem unter anderem der Autor stand, fehlte. Genauso wie der Stichcode zum Scannen.
Genau genommen wies nichts an diesem Buch darauf hin, dass es aus der Bibliothek stammte.
Würde es also Sinn machen, es zurückzubringen? Eigentlich schon, aber aus einem unerklärlichen Grund entschied ich, das Buch zu behalten. Und sei es nur wegen dieser seltsamen Anziehungskraft, die es vorher auf mich gehabt hatte, als ich es aus dem Regal nahm.
Nachdenklich blätterte ich darin herum - immer noch nichts Besonderes -, und brachte es dann zusammen mit meiner Tasche in mein Zimmer.

Als ich zurück in die Küche ging, war ich zu dem Schluss gekommen, das ich mir alles Unnatürliche an diesem Buch nur eingebildet hatte.

◇◇◇

In dieser Nacht hatte ich einen seltsamen Traum: Ich lag in meinem Bett, alles schien normal, und doch wusste ich, dass etwas anders war.
Es war ein Traum, das konnte ich spüren - diese gewisse Benommenheit, Unklarheit, dieses Gefühl, als könne ich mit einer Handbewegung ganze Welten erschaffen oder auch zerstören.
Aber noch etwas anderes war nicht wie sonst, und nach kurzen Nachdenken kam ich auch darauf, was es war: Irgendetwas in meinem Zimmer leuchtete blau.

Ich stand auf, um nach dem Ursprung des Lichts zu suchen. Dabei taumelte ich ein bisschen, hatte Mühe, mich an diese andere Dimension zu gewöhnen. Anscheinend funktionierten die Gesetze der Physik hier etwas anders.
Langsam lief ich auf meinen Schreibtisch zu, wobei das Licht, das von einem Gegenstand darauf zu kommen schien, noch etwas heller wurde. Was zum Fick war das?

Als ich noch näher heranging, sah ich es: Es war das Buch aus der Bibliothek.
Wieso bitte leuchtete dieses Buch blau?
Ich war es ja nicht einmal gewohnt, das Bücher überhaupt leuchteten...
Genauer gesagt waren es drei Diamanten, die auf dem Umschlag abgebildet waren. Aber vorher war dieser doch noch komplett leer gewesen...
Schließlich schlug ich es auf.
Die Schrift darin verschwamm vor meinen Augen und schien von seltsamen Zeichen zu lateinischen Buchstaben und wieder zurück zu wechseln. Angestrengt versuchte ich den Titel zu entziffern: ,,Ahn Doth-Farrolah nit..."

Plötzlich wurde das Licht gleißend hell, eine gewaltige Druckwelle riss mich von den Füßen und ließ die Fensterscheiben zerspringen. Ich hatte das Gefühl, als würde eine fremde Macht in mich eindringen und sich mit mir verbinden...

◇◇◇

...um dann aus dem Schlaf zu schrecken. Natürlich lag ich in meinem Bett, die Fenster waren ganz und kein Leuchten weit und breit.
Oh Mann, was ging in letzter Zeit mit meinen Träumen ab?

Ella - Welt des LichtsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt