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Das erste, was ich sah, war Finns besorgtes Gesicht über mir. Als er bemerkte, das ich aufgewacht war, entspannte er sich sichtlich.
,,Hey, alles gut?", fragte er. ,,Schwindel ist eine ganz normale Nebenwirkung, wenn man zum ersten Mal rübergeht, aber dass du gleich ohnmächtig wirst..."
Er sprach davon, als hätte er mir einfach Kopfschmerztabletten verabreicht, und mich nicht durch irgendeinen Illusionstunnel... wohin eigentlich gebracht?
Unsicher hob ich den Kopf.
Ich lag auf dem Boden von etwas, das aussah wie eine kleine Holzhütte. Der Raum hatte keine Fenster, nur eine Tür aus dem gleichen hellen Holz, aus dem auch Wände, Boden und Decke gemacht waren.
Ich setzte mich hin, und als die Übelkeit ausblieb, stand ich auf. Dann sah ich wieder Finn an. ,,Okay, und wo sind wir hier?"
,,Auf der anderen Seite des Vorhangs, habe ich doch gesagt."
Ich stöhnte. Er musste doch wissen, dass ich damit rein gar nichts anfangen konnte!
,,Na gut, wir sind in der Strahlenden Welt. Herzlich willkommen!"
Aha. Meinte er das ernst?
,,Und was war das eben?", fragte ich, während ich auf die Tür zuging und sie öffnete. ,,Ich meine, alles hat sich gedreht und... Aaah!"
Draußen war blendenden Licht. Es war überall, gleißend, drang selbst durch meine reflexartig geschlossenen Augenlider. So schnell wie möglich schloss ich die Tür wieder.

Dann blinzelte ich mehrmals. Warum kam mir das gerade bekannt vor?
Als ich mich zu Finn umdrehte, sah er genauso irritiert aus wie ich selbst. ,,Seltsam", murmelte er. ,,Das ist nicht richtig. Wir sind nicht richtig hier. Sieht aus, als gäbe es einen Fehler im Weltengefüge. Seltsam. Das hier ist eine ganz andere Welt. Aber welche..."
Dann lachte er plötzlich auf. ,,Ach so! So hast du dir die Licht- und Schattenwelt vorgestellt?"
,,Was?" Verwirrt sah ich ihn an.
,,Naja... Ich weiß nicht, wie das passieren konnte, aber wir sind in der Wandlerwelt gelandet.
Diese Welt hat keine festen Strukturen, sondern besteht aus Bruchstücken von verschiedenen Orten. Und sie verändert sich immer weiter: Immer, wenn jemand in diese Welt kommt und sich etwas vorstellt. Oder etwas erwartet."

Langsam fiel auch bei mir der Groschen. ,,Das heißt, dort draußen sind diese Scheinwerfer - oder was auch immer -, weil ich es erwartet habe? Weil ich dachte, so sieht deine komische Licht- und Sonstwas-Welt aus?"
,,Genau." Finn nickte.
Aber ich konnte das nicht glauben.
,,Das ist doch verrückt!"
,,Überzeuge dich selbst! Wir werden eine Weile warten müssen, bis sich diese Störung von alleine behebt. Da können wir genauso gut einen Spaziergang durch die wunderbare Wandlerwelt machen."
Nach seinem Grinsen zu urteilen wusste er genau, wie mir die Vorstellung gefiel, nochmal da rauszugehen.
Aber er kümmerte sich nicht darum, marschierte auf die Tür zu und riss sie auf.
Ich schloss schnell die Augen in der Erwartung, wieder von grellem Licht geblendet zu werden, aber als ich sie vorsichtig wieder öffnete, war da nichts. Langsam trat ich zu Finn an die Tür - und was ich dort sah, zerstörte meine Überzeugungen endgültig.
Wir waren in der Wüste.

◇◇◇

,,Kommst du?" Finn stand ein paar Meter vor mir zwischen den Dünen und sah mich an.
Ich folgte ihm ohne zu protestieren nach draußen. Ausnshmsweise war ich froh, dass mir jemand sagte, wo es langging. Ohne fremde Anweisung wäre ich jetzt wahrscheinlich einfach zusammengebrochen.

Während wir schweigend nebeneinander herstapften, starrte ich in die endlose Landschaft aus Sandbergen, vollkommen in meine Gedanken versunken.
Ich fühlte mich auf seltsame Weise leer, als wäre eine Mauer, die mich lange Zeit über geschützt hatte, plötzlich zusammengebrochen.
Ich konnte es nicht mehr leugnen: All das war real, ich war in ein Abenteuer verstrickt, aus dem ich so schnell nicht mehr wieder herauskommen würde. Gleichzeitig wurde mir klar, dass ich es tief in mir schon von Anfang an gewusst hatte. Jetzt gab ich es auf, dagegen anzukämpfen, und blickte mit unbeteiligter Neugier auf diese neue Welt.

Und bald bemerkte ich eine Veränderung in der Landschaft: Wir kamen auf eine grasbewachsene Ebene, auf der hier und da exotische Bäume standen. Und das seltsame daran war: Sie waren weder am Horizont aufgetaucht, noch waren wir darauf zugelaufen. Wir waren einfach plötzlich an einem anderen Ort, als wären wir durch einen unsichtbaren Schleier getreten.
Und das war noch nicht alles, vor uns tauchten jetzt immer wieder Gegenstände und ganze Häusergruppen auf und verschwanden wieder, alles war in Bewegung.
Ich begriff, dass wir aus Finns Vorstellung herausgetreten waren und uns nun praktisch auf dem ,,freien Spielfeld" befanden, wo die Gedanken und Erwartungen aller Besucher aufeinandertrafen und sich vermischten.
Es war ein überwältigendes Schauspiel, das eine solche Vielzahl von Dingen und Orten zeigte, dass ich bald nicht mehr mitkam. Irgendwann drehte ich mich nur noch im Kreis, um alles zu sehen und mich über alles zu freuen.
Aus den Augenwinkeln sah ich Finn, der mich leise lächelnd beobachtete. Belustigung lag in seinem Blick, aber auch ein gewisses Verständnis.
Plötzlich hatte ich Lust, ihn zu beeindrucken, und begann, selbst Gegenstände zu erschaffen. Ich begann mit einem einfachen Stuhl und dachte mir dann immer kompliziertere Dinge aus. Schließlich schaffte ich es sogar, einen funktionierenden Fernseher zu erschaffen! Eigentlich war es ganz leicht: Ich musste mir nur genau vorstellen, wie ein Gegenstand vor mir aussehen würde und wie er sich bewegen oder benutzen ließe.

Meine Kreationen wurden immer ausgefallener, und ich war seit Tagen das erste Mal einfach nur glücklich.
Mehr als das: Die Magie dieses Ortes brachte etwas in mir zum Schwingen, von dem ich nicht einmal gewusst hatte, dass es noch da war.
Ich freute mich wie ein kleines Kind, während ich meine Umgebung immer wieder veränderte.
Nicht einen Moment lang dachte ich an zu Hause.

Ella - Welt des LichtsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt