4. Das Grab meines Bruders

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Victims

,, Das Grab meines Bruders."

Why I am feeling so guilty?

Why I am holding my breath?

I'm worried 'bout everyone but me

And I just keep losing myself

Tell me it's nothing

Try to convince me

Der große Park ist nur zwei Straßen vom Krankenhaus entfernt und ich komme innerhalb von zehn Minuten an. Einen Fuß setzte ich vor den anderen, die Hände in den Taschen meines Parkas vergraben. Der Wind lässt die bunten Blätter um mich herum tanzen. Unter normalen Umständen würde ich das harmonische Zusammenspiel der Natur genießen, aber wer kann jetzt schon von normalen Umständen sprechen.

Wüsste ich nur ansatzweise was mich erwartet, wäre ich vielleicht nicht so angespannt. Am liebsten würde ich jetzt einfach nur umdrehen und wegrennen. Irgendwohin, wo ich einfach so tun kann, als wäre alles noch in Ordnung. Aber ich kann es nicht. Nicht wenn das Leben meiner Mutter auf dem Spiel ist. Vor einer Woche hätte ich nicht einmal gedacht, dass ich mir jemals Sorgen um das Leben meiner Mutter machen müsste. Sie war- ist immer so stark, dass sie einen vergessen lässt, wie nahe uns der Tod eigentlich ist.

Diesmal weht ein noch stärkerer Wind mir um die Ohren und meine Kapuze rutscht an meinem Kopf herunter. Es wird heute wahrscheinlich noch stürmen, denke ich mir, seufze einmal laut und halte schließlich an. Ich bin an dem See angekommen-das Zentrum von diesem Park- und schaue mich nach einer Menschenseele um. Es ist im Kontrast zum Sommer so verlassen und ruhig.

Außer einer alten Dame auf einer Bank ist niemand zu sehen. Lange sehe ich mich um. Meine Augen wandern ständig zwischen den drei Wegen zum See hin und her. Um mir die Zeit zu vertreiben und auf wen oder was auch immer mich erwartet zu warten setze ich mich schließlich neben die alte Dame, aber halte eine bestimmte Distanz ein. Um mich etwas aufzuwärmen reibe ich meine nervös zitternden Hände gegeneinander.

Die alte Dame legt ihr Strickzeug in ihre Tasche und lächelt mich von der Seite an, sodass ich mich auch umdrehen muss. Aus Höflichkeit wende ich mich ihr zu und lächle sie ebenfalls an, aber drehe mich zügig wieder weg. ,,Wieso bist du denn so nervös, Liebes?" Ich weiß nicht was ich darauf antworten soll. Alte Menschen sind immer freundlich und offen und das liebe ich auch an ihnen, aber das ist ein sehr schlechtes Timing. Also zucke ich nur leicht mit den Schultern und hoffe, dass sie mich in Ruhe lässt. Doch sie bleibt hartnäckig.

,,Du bist doch, ach wie hieß sie denn gleich? Annabel! Du musst Annabel sein", spricht sie unaufhaltsam. Damit schafft sie es, meine ganze Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Plötzlich will ich alles über diese alte Frau mit den weißen Haaren, die aus ihrer Strickmütze rausragen, wissen. Verwirrt starre ich sie an, doch sie lächelt weiter herzlich, als hätte sie das Selbstverständlichste auf der ganzen Welt gesagt. Ich mustere sie nur, versuche sie zu erkennen, denn ich will mich nicht fragen müssen, woher sie mich kennt.

Erst hält sie meinem Blick stand und dann bricht sie in ein kleines Lachen aus. ,,Was schaust du denn so? Noch bin ich kein Geist", ihre Worte ziehen mich aus meiner kurzen Trance und ich versuche meine Gedanken zu sammeln. Langsam schüttle ich meinen Kopf.

,,Wo-woher kennen Sie meinen Namen? Ich kenne Sie nicht." Erneut lacht sie und langsam hege ich den Gedanken sie sei verrückt. Das würde erklären, wieso sie an einem kalten Herbsttag in einem verlassenen Park sitzt und nicht anwesende Tauben füttert. Und das würde auch erklären, wieso sie keine Emotionen außer Lebensfreude zeigt. Aber das erklärt keinesfalls woher sie meinen Namen kennt.

Ganz plötzlich legt sie ihre Hand auf mein Knie und mein Körper versteift sich. Diese Situation ist mir alles andere als geheuer. ,,Ich kenne dich aber besser als du denkst. Eigentlich soll ich dir nur dieses Gerät überreichen und verschwinden, aber lass' dir eines sagen Liebes. Das darf ich nicht laut aussprechen, aber was soll schon passieren. Bald bin ich sowieso tot unter dieser Erde vergraben", sie beugt sich leicht vor bevor sie in einem Flüsterton weiterspricht. Die Tatsache, dass sie so locker über ihren eigenen Tod redet, bestätigt nur meine Vermutungen.

,,Diese Männer befolgen ein bestimmtes Ziel. Sie wollen dich nicht töten, könnten es nicht einmal, wenn sie wollten. Aber für deine Geliebten kann ich leider nicht dasselbe sagen. Du musst die also beschützen, Liebes. Vertrau mir." Sie drückt mir ein Handy in die Hand und steht. Ein letztes Mal lächelt sie mich an, diesmal aber traurig und voller Mitgefühl, und lässt mich dann mit diesen Worten stehen.

In was wurde ich da nur hineingeritten? Verzweifelt halte ich meinen Kopf in meinen Händen. Ihre Worte haben eine tieferw Bedeutung, asl ich es mir erahnen kann. Kann ich ihr vertrauen, wenn ich nicht einmal weiß, wer sie ist?

Ich springe von der Bank auf und rufe ihr hinterher: ,,Warten Sie! Woher wissen Sie das alles?" Doch sie dreht sich kein einziges Mal um und verschwindet bald ganz. Meine Gedanken schwirren wie verrückt durch meinen Kopf. Ich werde mit Fragen konfrontiert, die allein sie hätte beantworten können, und muss jetzt die Antwort alleine suchen. Erneut bin ich auf mich allein gestellt. Vonwegen Vertrauen.

Aber viel Zeit zum Überlegen bleibt mir nicht, denn in diesem Moment klingelt schon das Handy in meiner Hand und lässt mich erstarren.

,, Annabel Winchester?", sagt die Stimme eines jungen Mannes mit einer viel zu amüsierten Stimme. Ich bin wie erstarrt und klammere mich nur an mein Handy. Jetzt, wo das Grauen eine Stimme hat, trifft mich die Erkenntnis mit seiner vollen Wucht. Es gibt kein zurück. ,,Hu-hu", sagt die Stimme erneut und fällt in ein leichtes lachen. Endlich finde ich meine Stimme wieder und antworte, selbst überrascht von meiner festen und gepressten Stimme: ,,Was wollt ihr?"

Erneut höre ich ein Lachen und es macht mich wütend, wie sehr er sich amüsiert. ,,Das ist doch schonmal was, richtig Jungs? Sie ist garnicht so dumm. Immerhin hat sie verstanden, dass wir hier die Befehle geben." Seine Worte und die Art wie er immer ernster und kaltblütiger wird jagt einen Schauer meinen Rücken herunter. Das kleine bisschen Selbstbewusst, das ich gerade noch hatte, verschwindet jetzt ganz. Panik krabbelt von meinem Magen aus in meinen ganzen Körper.

,,Also, Süße. Du bekomnst gleich eine Adresse. In 30 Minuten bist du da oder deine Mutter ersetzt unseren Weihnachtsbaum diesen Winter." Ich will protestieren, Fragen stellen, doch er legt sofort auf. Weihnachtsbaum?

Während ich nervös im Park hin und her laufe, signalisiert mir ein Piepsen eine SMS. Ich öffne die Nachricht sofort. Es ist eine Addresse, die ich sofort erkenne und mir bleibt die Luft zum Atmen weg. Tränen schießen in meine Augen bevor ich es bemerke. Trauer und Wut vermischen sich als ich das angehängte Foto anschaue.

Der Treffpunkt ist das Grab meines verstorbenen Bruders. Von allen Orten ist es der, der mich in meine Träume verfolgt, der meine ganze  Verletzlichkeit sammelt und dort lagert. Alle Wunden, die über die Jahre hinweg langsam heilten, werden in dem Moment aufgekratzt jnd mit Salz überstreut.

Und der Weihnachtsbaum soll meine Mutter persönlich darstellen. Denn sie sitzt auf einem Stuhl, mit Kabeln an eine Maschine angeschlossen. Sobald ich zu spät auftauche, wird die Maschine eingeschaltet und meine Mum hunderten von Stromschlägen ausgesetzt.

Bevor ich es selbst wahrnehme rennen meine Füße los. Während ich renne blinkt auf meinem Bildschirm plötzlich eine Zahl auf und zählt von 30 herunter. Countdown. Ich renne noch schneller, wenn das möglich ist, und kann nur hoffen, dass iche s schaffe.

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Ein großes Dankeschön und Danke, dass es dich gibt, an die wundervolle Ebru, ily bae!!♥

Vergisst nicht eure Votes und Kommentare da zu lassen, wenn es euch gefällt:)! Uii jetzt wirds spannend. Wie schon gesagt fängt die Geschichte jetzt so richtig an.

mysoulmatee xx

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