3. Kapitel

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„Danke, dass du mich nach Baltimore fährst, aber hast du überhaupt Zeit dafür?"

Es hatte Sammy gewundert, dass ihr Bruder Tom am anderen Tag vor ihrer Schlafzimmertür stand und so lange klopfte, bis sie endlich schlaftrunken die Tür geöffnet hatte. Hartnäckig hatte er sich an den Türrahmen gelehnt, bis sie endlich im Badezimmer verschwunden war und danach hatte er sie wie ein Rind in die Küche getrieben, wo sie für beide Kaffee machen musste. Wie früher, als er noch hier gewohnt hatte, hatten sie sich die ganze Zeit bestritten, bis ihr Vater ein Machtwort gesprochen hatte. 

Die Verabschiedung war Sullivan-typisch gewesen, denn eine Menge Sullivans hatten sich vor dem Haus versammelt und jeder von ihnen hatte Sammy mindestens einmal umarmt und ihr Ratschläge gegeben, die Sammy so unnötig fand. Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis sie mit Tom im Wagen saß und davon fahren konnte.

Bisher hatte Tom geschwiegen, doch nun schnaubte er.

„Ich habe Zeit. Deswegen bin ich hier. Außerdem hat Mum mich gebeten, dass ich dich fahre. Granny wollte zwar, dass du mit dem Bus fährst, aber wir haben alle kein gutes Gefühl, dass du alleine in einem Motel übernachten willst. So ganz alleine!"

Sie unterdrückte ein Seufzen.

Irgendwie war es ihr klar, dass Tom nur deswegen von Texas nach Missouri gekommen war.

„Dir gehen die Preisgelder flöten.", warf sie ein.

Er sah sie kurz an.

„Willst du mit mir streiten? Cord reitet für mich. Sogar Angus und Kian haben sich angeboten. Um mich musst du dir keine Sorgen machen. Wir Sullivans halten zusammen."

Sammy hörte den anklagenden Unterton ihres Bruders und auch die Erwähnung ihrer Vetter, die mit Tom immer von einem Rodeo zum anderen reisten, war von ihm eine Anspielung.

„Mum hat mit dir geredet, nicht wahr?"

Tom brummte nur. Sammy ließ ihren Kopf zurückfallen und schloss die Augen. Wieso wurde sie immer noch wie ein kleines Kind behandelt?

„Mum ist in Sorge, Sammy. Sie hat den seltsamen Gedanken, dass du in Deutschland bleiben willst. Kannst du mir sagen, wie sie auf diesen dummen Gedanken kommt, mh?"

Sie seufzte.

„Ich habe gesagt, dass ich anders bin als ihr."

Tom verdrehte genervt die Augen.

„Natürlich bist du anders als Scott oder ich. Du bist ein Mädchen, Sammy."

Nun schnaubte sie. Ihren älteren Bruder jetzt noch zu erwähnen, war unfair. Sammy liebte ihre beiden Brüder, aber auch die beiden passten auf Sammy auf, als ob sie nicht fähig wäre, einen Schritt alleine zu tun.

„Das hat nichts damit zu tun, Tom."

Er lachte.

„Wenn du damit andeuten willst, dass ich dumm bin, weil ich nicht auf der Uni bin, dann muss ich dich leider enttäuschen. Ich studiere. Allerdings online. Zwischen einer Herde hochnäsiger Städter herum zu lungern ist nicht so meines."

Sie riss ihre Augen auf.

„Was? Seit wann?"

Er zuckte mit den Schultern.

„Seit meiner letzten Verletzung. Mir war langweilig, also surfte ich etwas im Internet und fand ein Studiengang für Tiermedizin. Wenn du wieder von deinem Trip kommst, habe ich meine Prüfung abgelegt und werde die Tierarztpraxis vom alten Morris übernehmen! Natürlich habe ich mich auf Rinder spezialisiert, aber ich kann auch notfalls einen Hamster heilen!"

Helenas ErbeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt