Spoiler! Kapitel 59. Jus Sicht

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Sie hat geweint, da bin ich mir fast zu 100% sicher. Das sagt mir nicht nur ihr Verhalten, sondern auch das von Darean. Irgendwie kam mir seine Abschiedsumarmung mit Rey gestern deutlich intensiver vor und der nasse Fleck an seiner Schulter war auch nicht zu übersehen.

Aber warum weiß er etwas, was ich nicht weiß? Reika sollte sich an meiner Schulter ausheulen und nicht an seiner. Klar Darean ist ein guter Freund für sie, aber ich bin doch ihr fester Freund. Oder zumindest so etwas in der Art. Definiert haben wir beide das irgendwie noch nie. Vielleicht sollte ich Mal mit Darean reden, er scheint momentan Reys Ansprechpartner zu sein.

Oder vielleicht weiß Kimi ja mehr, die beiden erzählen sich doch sonst auch immer alles. Also verlasse ich mein Bett, auf dem ich die letzte halbe Stunde grübelnd herum gelegen habe und mache mich auf den Weg nach unten. Rey ist noch bei der Arbeit, so treffe ich unten nur auf Kimi, da Nolan oben in seinem Zimmer ist.

„Kimi können wir mal reden?", spreche ich meine Schwester an, die gerade irgendetwas zu kochen scheint.

„Klar", meint Kimi und dreht sich zu mir um, wobei ihr Lächeln gleich ein wenig schrumpft. „Meine Güte Julien, du siehst aus, als würdest du mir gleich von einem Todesfall berichten."

„Nein, so schlimm ist es nicht", beschwichtige ich sie. „Es geht um Reika, irgendwas beschäftigt sie. Aber immer wenn ich versuche mit ihr darüber zu reden blockt sich mich total ab."

„Könnte es die Tatsache sein, dass Nolan noch nichts von euch beiden weiß?", fragt Kimi, nachdem sie sich mit einem Blick vergewissert hat, dass Nolan nicht im Wohnzimmer sitzt.

„Nein, ich glaube das ist es nicht", antworte ich nachdenklich. „Darüber spricht sie mit mir. Vielleicht kommst du ja an sie ran. Könntest du mal mit ihr reden?"

„Ich kann es ja mal versuchen", verspricht Kimi mir, aber in ihren Augen kann ich jetzt schon die Zweifel erkennen. Na toll, das sind ja mal super Voraussetzungen.

Aus dem Flur sind Stimmen zu hören. Verwundert drehe ich mich zu Kimi. Rey ist schon zu Hause? Schritte sind auf der Treppe zu hören, die eindeutig nicht zu Nolan passen.

„Versuch es noch mal", drängt Kimi und schubst mich Richtung Flur.

„Jetzt?", frage ich verunsichert mit einem Blick über die Schulter nach.

„Ja verdammt!", schreit Kimi mich schon fast an, was mich dazu bringt an einem verwirrten Nolan vorbei nach oben zu laufen.

„Was hab ich jetzt schon wieder nicht mitbekommen?", kann ich Nolan unten fragen hören, als ich vor Rey zum stehen komme.

„Können wir reden?", frage ich zögerlich nach, weil ihre ganze Körperhaltung mir deutlich signalisiert, dass sie allein sein möchte.

Ich bekomme nur ein knappes Nicken und Reikas Körpersprache zeigt mir nun noch deutlicher, dass ich eigentlich unerwünscht bin. Aber jetzt habe ich es schon angefangen, dann werde ich es auch beenden.

„Rey, bitte antworte mir", setze ich an und versuche dabei die richtigen Worte zu finden. „Ich merke doch, dass dich irgendwas beschäftigt. Man sieht dir sogar an dass es dich regelrecht fertig macht. Also bitte erzähl es mir. Hat es etwa mit mir zu tun?"

„Jetzt redest du also mit mir", werde ich regelrecht angefaucht und in Reys Augen kann ich deutlich die Wut auflodern sehen. „Wegen der Essstörung bist du zuerst zu Nolan gegangen, anstatt direkt mit mir zu reden. Heute hast mit Kimi geredet und wolltest sie vorschicken."

„Weil du ja nicht mit mir redest", entgegne ich aufgebracht und kann meine Stimme nicht mehr wirklich unter Kontrolle halten. Das ist doch nicht meine Hübsche vor mir. So hab ich sie noch nie erlebt. Irgendetwas stimmt hier doch ganz und gar nicht. „Du blockst mich regelrecht ab, so als ob du mich nicht mehr in deinem Leben haben möchtest. Was ist es? Warum verhältst du dich gerade so? Das bist doch nicht du. Ist es wirklich nur wegen der Sache mit Nolan?"

„Lass mich bitte allein", ist das Einzige was ich als Antwort bekomme und dabei klingt Reys Stimme unendlich müde. Doch ich kann nicht aufgeben. Nicht jetzt.

„Nein, das werde ich ganz sicher nicht", widersetzte ich mich ihrer Bitte und halte die Tür fest, durch die sie gerade verschwinden wollte. „Wir klären das jetzt!"

„Bitte Julien, ich kann nicht...", flüstert sie mir schwach entgegen, was mir einen wahnsinnig schmerzhaften Stich ins Herz versetzt.

„Siehst du? Du tust es schon wieder", versuche ich wieder zu ihr vor zu dringen. „Du blockst mich ab und dann wunderst du dich, dass ich mit anderen darüber rede. Ich versteh es nicht Reika. Was ist dein verdammtes Problem?!"

„Was mein Problem ist?", plötzlich scheint wieder Energie durch Reys Körper zu fließen. Denn nun steht sie direkt vor mir und brüllt mir ins Gesicht. „Mein Problem ist, dass ich schwanger bin und zwar von dir!"

Nach diesen Worten sackt Rey förmlich in sich zusammen, rutscht an dem Türrahmen nach unten und beginnt zu weinen. Und ich kann nicht anders als sie einfach nur entgeistert an zu starren. Plötzlich ist Nolan neben mir, doch alles was ich gerade wahrnehme ist Rey.

„Ich bin schwanger", spricht sie mit tränenerstickter Stimme. „Das macht mich momentan so fertig. Deshalb bin ich so ... distanziert, weil ich nicht weiß wie ich damit umgehen soll. Weil ich verdammt nochmal Angst habe! Jetzt sag doch endlich was Julien!"

Doch ich kann nicht. Mein Körper scheint mir nicht mehr zu gehorchen. Immer noch ist mein Blick auf Rey fokussiert, die nun noch bitterlicher weint. Ich möchte zu ihr laufen. Ich möchte sie in den Arm nehmen. Ich möchte ihr die Tränen abwichen und sagen, dass wir es schon irgendwie schaffen. Doch mein Körper regt sich nicht.

Nur am Rand nehme ich war, wie Nolan mich wütend anbrüllt, doch das ist mir egal. Plötzlich windet Reika sich aus Kimis Armen und verschwindet im Bad, was mich meinen Fokus verlieren lässt. Und so starre ich einfach auf die Stelle, an der sie gerade noch saß.

„Das ist alles deine verdammte Schuld", ein Faustschlag trifft mich in die Magengrube.

„Allein wegen dir geht es meiner kleinen Schwester so verdammt mies", ein weiterer Schlag und langsam beginnt mein Körper sich vor Schmerzen zu krümmen.

„Du elender Drecksack, so etwas ist echt unter aller Würde", nun breitet sich der Schmerz von meinem Rücken aus.

„Und dann hat du noch nicht einmal den Mut etwas zu sagen, du feiger Hund", dieses Mal bekomme ich einen Kinnhacken verpasst, der mein Gesicht zur Seite schleudert.

„Nolan es reicht!", nur verschwommen nehm ich wahr, wie Kimi Nolan von mir weg zerrt und ihn in sein Zimmer bugsiert. Aber eigentlich hat er ja recht. Ich bin schuld daran, dass es Rey momentan so dreckig geht. Bestimmt will sie mich nicht sehen, wenn sie wieder aus dem Bad kommt.

Also richte ich mich mühsam auf und laufe los. Wohin weiß ich nicht. Doch als ich meine Umgebung wieder wahr nehme befinde ich mich in der Uniturnhalle. Eigentlich keine schlechte Idee, vielleicht hilft mir ja etwas Sport dabei meine Gedanken zu sortieren.

Irgendwie... *Leseprobe*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt