»And love is not a victory march, it's a cold and it's a broken Hallelujah«

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Zwei Monate später hatte Sebastian es zur Angewohnheit werden lassen, nachts immer öfter länger draußen zu bleiben. Es war ziemlich unverständlich für Jim, denn obwohl es beinahe April war, war es gerade in den Abendstunden immer kalt und es regnete quasi durchgehend. Doch Sebastian schien das nicht zu kümmern. Und Jim begann wirklich, misstrauisch zu werden.

Auch am Freitag um beinahe halb zwei Uhr morgens öffnete sich die Zimmertür leise und Sebastian huschte herein. Er legte seine Lederjacke ab, streckte sich kurz und seufzte leise. Dann drehte er sich in Richtung ihrer zusammengeschobenen Betten und zuckte heftig zusammen, als er sah, dass Jim dort saß und jede seiner Bewegungen angespannt verfolgte.

„Oh." Sebastian fing sich wieder und fuhr sich durch die Haare, die seit dem Wochenende und nach einem Friseurbesuch wieder eine annehmbare Länge hatten. Jim schaltete unterdessen die Nachtlampe auf dem Schreibtisch an und Sebastian blinzelte ins Licht, als wäre er bei etwas ertappt worden. „Ich hätte nicht gedacht, dass du noch wach bist."

„Und ich hätte nicht gedacht, dass du überhaupt noch kommst", erwiderte Jim kühl, versuchte nicht einmal, seinen Unmut zu verbergen. „Du hast doch sicher große Lust mir zu erzählen, was du so getrieben hast, richtig?" Jim lächelte und Sebastians Blick flackerte unsicher von ihm zur Tür und wieder zurück.

„Ich... Ich habe mit Willard telefoniert. Und dann habe ich noch etwas geraucht und nachgedacht und-" Sebastian holte tief Luft. „Tut mir leid, Jim, ich habe einfach die Zeit vergessen."

Er wandte sich von Jim ab und zog auch seinen Pullover über den Kopf. Jim ließ ihn nicht aus den Augen. „Du machst es dir sehr einfach, Sebastian."

Sebastian hielt inne. „Ich finde nicht, dass ich mich vor dir rechtfertigen muss." Etwas schwang in seinem Ton mit und als er sich umdrehte, erkannte Jim, dass Sebastian seinen Kiefer fest zusammenpresste und dass in seinen Augen etwas lag, das er nur selten an Sebastian sah. Wut.

„Da bin ich anderer Meinung", knurrte Jim, der nicht recht wusste, was er nun tun sollte, ob er etwas anders machen musste. Aber er wusste, dass ihm Sebastians Verhalten gegen den Strich ging und dass sein Zorn sich in ihm aufstaute. Er versuchte die Dämme vom Brechen abzuhalten, aber Sebastian machte es ihm nicht leicht. „Ich habe mir Sorgen gemacht, Sebastian. Immerhin ist es ja nicht das erste Mal, dass du erst so spät wiederkommst. Und du sagst mir nie, wo du bist." Jim blickte ihn ruhig an, doch Sebastian wandte sich ungerührt ab und stopfte sowohl seine Jacke als auch seinen Pullover zurück in den Schrank.

„Du musst dir keine Sorgen machen. Ich passe auf mich auf."

„Darum geht es nicht."

Plötzlich wirbelte Sebastian zu ihm herum und die Wut in seinem Blick schien zu einem Inferno zu wachsen und wäre Jim nicht gewohnt, mit Feuer umzugehen, hätte er sich sicher verbrennen können. „Ich weiß, dass es darum nicht geht, Jim!", fauchte Sebastian. Jim bemühte sich, keine Miene zu verziehen, als Sebastian auf ihn zutrat und auf ihn hinunter blickte, wie, um ihn einzuschüchtern. „Es geht darum, dass du mich kontrollieren willst, aber das kannst du vergessen! Ich bin keine deiner Spielfiguren, die du hin und her schieben kannst, wie es dir passt. Denn das sind andere Menschen ja für dich, nicht wahr? Spielfiguren, die nach deiner Pfeife tanzen sollen!"

Jim wusste einen Moment nicht, was er darauf antworten sollte. Dieser Ausbruch kam unerwartet und vielleicht war es die späte Stunde oder vielleicht hatte sich diese Wut genauso in Sebastian angestaut wie bei Jim. Aber Sebastian konnte nicht so mit ihm reden. Er konnte nicht, weil Jim es nicht erlauben wollte und weil Sebastian doch bisher immer anders und eine Ausnahme gewesen war.

„Und wie genau", sprach Jim langsam und erwiderte Sebastians feurigen Blick, „kommst du zu dieser Annahme?"

Sebastian schnaubte. „Es ist keine Annahme, sondern eine belegbare Tatsache. Schon allein wie du jeden behandelst - als wärst du etwas Besseres. Und vielleicht habe ich am Anfang nicht gesehen, dass deine Welt sich nur um dich dreht. Vielleicht habe ich es einfach ignoriert. Aber jetzt kann ich das nicht mehr, weil du erwartest, dass auch in meinem Leben alles nur um dich geht! Aber soll ich dir was sagen? Das tut es nicht. Ich habe andere Probleme, als dich zu bespaßen. Denn langsam habe ich wirklich das Gefühl, dass ich nur das für dich bin; etwas zur Bespaßung, ein Witz. Ein Zeitvertreib. Und das will ich nicht. Und weißt du, was das Schlimmste ist? Ich kann mich nicht dazu bringen, dich dafür zu verabscheuen, was du anderen Leuten antust, und deshalb kann ich dich auch nicht hassen, weil du mich nur benutzt. Aber ich kann dir wenigstens die Wahrheit sagen, auch, wenn ich weiß, dass ich die nie von dir zu hören bekommen werde."

How To: Stay AliveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt