Erinnerungen...

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...an ferne Kindheitstage

Sie waren fünf Jungs, drei Mädchen und - zwei Aussenseiter. Denn Fandral und Hogun gehörten definitiv nicht zu ihnen. Doch da keinem der magischen Kinder eine gute Ausrede einfiel, um die zwei wegzuschicken, mussten sie ihnen wohl oder übel gestatten, zuzuhören. Nicht einmal Loki konnte heute mit einer seiner üblichen genialen Ideen aufwarten: er schien sowieso irgendwie nicht ganz anwesend zu sein.

Seine Freunde wunderten sich schon gar nicht mehr gross darüber: so zerstreut wirkte Loki immer, wenn er mal wieder bei dem Alten gewesen war.

Lyceanus, wie der Greis hiess (er musste schon weit über achttausend Jahre alt sein) war ein seltsamer Genosse und ihnen allen eigentlich ziemlich unheimlich. Nur Loki schien in letzter Zeit geradezu fasziniert von ihm zu sein.

Was vermutlich daran lag, dass der Alte ihn in magische Geheimnisse einweihte, die kaum ein anderer kannte. Vielleicht nicht mal Odin selbst.

Wie jenes, über das er vorhin ansatzweise zu sprechen begonnen hatte – und wären nicht Fandral und Hogun aufgetaucht, hätte Loki sicher noch weitere Einzelheiten enthüllt. So aber war er augenblicklich still geworden.

«Was wollt ihr denn hier?» hatte er nur mit hochgezogener Braue gefragt und die beiden um zwei Jahre älteren Jungs spöttisch gemustert. «Gibt's keine Schlägerei mehr heute, bei der ihr mitmachen könnt?»

Lokis Freunde hatten gelacht. Bis ein finsterer Blick aus Hoguns dunklen Augen sie verstummen liess. Sie mochten Hogun nicht: er war finster und meistens schlecht gelaunt. Oder zumindest nahmen sie das an. Es war ein wenig schwer zu bestimmen, da er nur selten sprach.

Fandral nahm Lokis Spott hingegen gelassen hin. Er hatte nicht nur vor dem Prinzen wegen seiner magischen Tricks ziemlich grossen Respekt, sondern vor allem auch vor dessen älterem Bruder Thor. Ausserdem wusste er selbst, dass sie mitten in eine offenbar intensive Unterhaltung geplatzt waren.

Fandral interessierte sich allerdings nicht wirklich für Magie, er zog es einfach vor, sich nicht ernsthaft mit jemandem anzulegen, der sie beherrschte. Bei Hogun dagegen sah es ganz anders aus: Magie war seine heimliche Leidenschaft. Auch wenn er das nie im Leben zugegeben hätte, weil er selber leider keinerlei Talent dafür besass. Als er noch sehr klein gewesen war, hatte seine Mutter, selbst eine begabte Magierin, ihn unterrichten wollen. Doch sie hatte innert kürzester Zeit entnervt aufgegeben und ihren Sprössling stattdessen zu Thor und seinen kampfeslustigen Freunden ins Training geschickt. Mochte er lernen, wie man perfekt eine Waffe schwang – wie man einen Zauber wirkte, würde er nie begreifen!

Trotzdem war Hogun nach wie vor extrem fasziniert von Magie. Und er beneidete Loki insgeheim heiss um dessen immer deutlicher zutage tretendes Talent. Warum der Prinz und nicht er? Klar, auch Lokis Mutter war eine Magierin... Aber dennoch! Es war einfach nicht fair. Der andere hatte doch auch so schon alles, was man sich nur wünschen konnte. Warum musste er auch noch jene Fähigkeiten besitzen, die Hogun sich so sehnlichst für sich selbst wünschte?

Immerhin, das war wohl das erste Mal, dass Loki sich gründlich vertan haben musste, wie Hogun nicht ohne Schadenfreude feststellte. Denn was er und Fandral da eben aufgeschnappt hatten, konnte ja wohl nur eines sein: völliger Quatsch!

«Eine dunkle Ebene, die unter der eigentlichen Welt liegt?» spottete Hogun und merkte zunächst gar nicht, wie ihn alle anstarrten. Dass er sprach – noch dazu auf solche höhnische Weise – war derart ungewohnt, dass sich die umstehenden Kinder fragten, ob das wirklich 'der Grimmige' war, wie er von den meisten längst genannt wurde. «Diesen Blödsinn hat dir wohl Lyceanus erzält?»

Lokis Braue hob sich lediglich noch ein wenig mehr und sein Mund verzog sich noch ein kleines bischen spöttischer. Ansonsten reagierte er nicht.

Fandral bemühte sich um einen ernsthaften Ton, obschon er Hoguns Meinung insgeheim teilte: diesmal hatte sich Loki gründlich vergriffen! Oder dieses alte Knochengestell namens Lyceanus, mit dem er seit Neuestem ständig zusammensteckte. «Ernsthaft, Loki, der Alte erzählt doch sicher einfach nur Schauermärchen. Es mag andere Dimensionen geben, das will ich nicht bestreiten...» Er ignorierte Hoguns verächtlichen und unwilligen Blick, «...aber unter unserer Welt? Und dann soll es noch dazu ein Ort voller Dämonen und Bestien sein, in dem die gefangenen Opfer nur überleben können, wenn sie nicht stehen bleiben? Weil sie von Monstern gefressen werden, sobald sie nicht mehr weitergehen können? Entschuldige, aber das tönt wirklich total abstrus!»

Lokis Punishment - Lokis StrafeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt