Erstes Kapitel: 1.

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Der erste Blickkontakt, kam an einem frischen Frühlingstag zustande. Es hatte gerade aufgehört zu regnen und die Pflastersteine hatten noch den nassen Geruch auf sich. Langsam aber sicher, trauten sich die ersten Passanten wieder auf die Straße. Sobald sie unter den tropfenden Markisen und überdachten Passagen hervor traten und einen letzten kritischen Blick in den bedeckten Himmel über sich geworfen hatte, machte sich auch die allgemeine Unruhe der Stadt wieder breit. Kinder quengelten nach allerlei Leckereien, die es hier schließlich an jeder Ecke gab. Erwachsene Paare stritten sich über das verbliebene Geld nach dem großzügigen Einkauf an diesem Samstag. Aufgedrehte Gruppen von Teenagern stürzten sich in die nächsten Geschäfte, voller Begeisterung über das wenige Taschengeld das sie jetzt noch ausgeben konnten. Die ersten Obdachlosen zogen wieder ihre billigen Instrumente hervor und nach kurzer Zeit war der plötzliche und starke Regenschauer, der alle Straßen, Plätze und Wiesen in eine Geisterstadt verwandelt hatte, wieder von der Menschenmasse verschluckt. Als hätte es ihn nie gegeben. Der Duft der Currywürstchen, Crêpes und auch der, von Zigaretten und Abgasen, vertrieb den wunderbaren Duft des Regens. Es war vorbei.

Sie stürmte durch die, nun wieder vollen, Straßen. Der Regen hatte ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht und jetzt musste sie sich beeilen. Mehrmals rempelte sie ein paar Menschen an, die zu langsam waren, um ihr auszuweichen. Sie schimpften vor sich hin und der ein oder andere, hielt ihr sogar seine Faust unter die Nase. Aber das durfte sie heute nicht stören. Es war wichtig und als sie hastig einen Blick auf die Uhr des Rathauses warf, machte sich eine leichte Panik in ihr breit, weil sie zu spät kommen würde. Schon wieder. Weiterhin hatte sie den Blick auf die Uhr gerichtet und hoffte, natürlich vergeblich, dass die goldenen Uhrenzeiger sich nicht nach vorne, sondern nach hinten bewegen würden. Da rannte sie in eine Gruppe von Jungs herein. Nicht viel älter als sie, aber ein wenig. Eine Salve aus übelsten Schimpfwörtern regnete auf sie herab. Sie versuchte sich mit einem „'tschuldigung" zu retten, aber es waren Jungs. Sie schaute jetzt gezwungenermaßen in das Gesicht, einer der Jungs. Es war ein Bruchteil einer Sekunde, aber das reichte. Sie riss sich los und nahm ihren Sprint wieder auf. Sie hatte das Gefühl, die Menschen stellten sich ihr extra in den Weg, denn sie kam einfach nicht voran. Sie wurde von den Massen mitgezogen und an irgendeiner Stelle wieder ausgespuckt, als ob sie ein Stück Treibholz in einer reißenden Strömung wäre. Sie fluchte vor sich hin, bog ein eine Seitenstraße ab, die sich wieder und wieder verzweigte. Sie kletterte über verrostete Zäune, über Garagendächer, rannte durch verwahrloste Gärten und zwang sich zwischen Mülltonnen hindurch. Als sie vollkommen erschöpft an ihrem Ziel zusammen sank, spürte sie eine Sehnsucht. Sie hatte gewusst, dass es passieren würde, aber trotzdem hatte sie diesen Moment solange wie möglich herauszögern wollen. Sie verdrängte das stechende Gefühl in ihrem Herzen und versuchte an etwas anderes zu denken. Heute war definitiv nicht ihr Glückstag, aber sie wurde erwartet und jetzt gab es keine Ausreden mehr. Sie legte die letzten Schritte vorsichtig zurück, denn sie hatte Angst ihre Schritte würden wiederhallen. Behutsam stemmte sie die angelaufene Metallplatte vor ihren Füßen in die Höhe und ließ sich lautlos in das Loch gleiten, das sich darunter aufgetan hatte. Als sie darauf genauso lautlos die Platte über sich schloss, verschluckte sie die Dunkelheit komplett. Sie streckte die Arme zu beiden Seiten aus, so wie man es ihr beigebracht hatte. Ihre Fingerspitzen berührten jetzt auf beiden Seiten den kalten, glatten Stein und sie ging mit geschlossenen Augen den scheinbar endlos langen Gang entlang. Doch eins konnte sie nicht ignorieren. Das Gefühl. Sie sehnte sich nach etwas. Es waren dunkelbraune Augen mit vereinzelten helleren Sprenkeln. *

Das Gefühl von Donner (on hold)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt