Nach seinem Ausbruch, den er sich nicht erklären konnte, war er kaum noch in der Lage sich auf den Beinen zu halten. Es hatte ihm so viel Kraft gekostet. Trotzdem war von einem Glücksgefühl belegt, dass ihn alle Nebenwirkungen vergessen ließ. Er streift die Jacke von seinem muskulösen Körper und betrachte sich kurz und zufrieden im Spiegel. Er fuhr sich mit den Fingern durch das dunkle, volle Haar, sehr darauf bedacht seine Frisur nicht zu ruinieren. Mit den Fingerspitzen zeichnete er die Konturen seines Gesichtes nach. Ein Lächeln huschte über seine Lippen. Mit einem Ruck dreht er sich Richtung Treppe, um in sein Zimmer zu verschwinden. Mittlerweile war das Treppensteigen die reinste Tortur für ihn, seine letzten Kräfte schwanden dahin. Als er seine Zimmertür geöffnet und ohne sich umzuziehen auf sein Bett gefallen war, entfuhr ihm ein Stöhnen. Er schloss die Augen und wartete darauf in einen tiefen Schlaf zu fallen. Der Wunsch wurde ihm erfüllt. Nach wenigen Sekunden war er abgetaucht und in seine eigene Parallelwelt verschwunden.
„Na endlich. Schön dass du auch mal endlich schläfst." Die Person war alt, graue Haare, ebenso silberner Vollbart, unzählige Falten im Gesicht. Eine tiefe, einschüchternde Stimme, die perfekt in seinen Albtraum passte. Wie abgöttisch er die Albträume liebte die ihn manchmal heimsuchten. „Jetzt hör auf über deine Träume nachzudenken du Volltrottel. Liebst du mich?" Hätte er nicht geschlafen hätte er gelacht. Die Situation war skurril. Ein unendlich alter Mann fragte ihn doch tatsächlich, ob er ihn lieben würde. Träume waren schon seltsam. Wenn er genauer darüber nachdachte... „HÖR AUF ZU DENKEN!", befahl ihm der Mann. Seine Gedanken verstummten und konzentrierten sich allein auf sein Gegenüber. „Und da du dich nun endlich im Griff hast, antworte mir", wurde er barsch angefahren. „Ha! Nein natürlich nicht! Du bist mein Albtraum und außerdem um die eine Million Jahre alt!", lachte er in Gedanken. Das war so absurd. Dieser Traum war wirklich sehr seltsam. Er war wieder abgeschweift, doch die nächste Stimme die ihn ansprach war eine andere. „Und jetzt? Liebst du mich jetzt?" Er wandte den Blick wieder auf seine Gesprächsperson. Es war ein Mädchen. Nein, es war DAS Mädchen. Ihre klaren Augen durchdrangen ihn. Ein unwiderstehliches Lächeln umspielte ihre geschwungenen Lippen. „Hast du mich vermisst?", fragte sie leise. Er rang mit sich. „Geh nicht weg!", rief er in Gedanken aus, „wer bist du, wie heißt du, wo kann ich dich wieder finden?" Er bekam nur einen nicht deutbaren Blick zugeworfen. „Du hast mich vermisst", sie seufzte, „ich dich auch leider. Denn du gehörst zu mir. Mistkerl!" Er war verwirrt. Wieder war ihre Überlegenheit deutlich in seinen Gefühlen spürbar. Das regte in auf. Er wollte nicht schwächer als dieses zierliche Mädchen sein. Er war der stärkere. „Träum weiter. Ich kann dich töten, indem ich dich nur angucke. Also lass das." Ihre Stimme triefte von Ironie. Der Albtraum begann also wieder. Er genoss die präsente Gefahr die von ihr ausging. „Du hast mir noch nicht geantwortet", drängte er. „Werde ich auch nicht", lachte sie. Und damit verwandelte sich ihr Gesicht wieder in das, des alten Mannes. „Liebst du mich?", fragte er erneut. „Das kommt ganz darauf an in welcher Gestalt du bist!", brüllte er verzweifelt. Das war sein Fehler. Denn das was er gebrüllt hatte, war nicht nur in seinem Kopf gewesen. Er wachte auf, geweckt von seiner eigenen Stimme.
Er keuchte. Schweiß lief über seine Stirn. Jedes Detail seines Albtraumes brannte noch immer auf seiner Netzhaut. Er ließ sich zurück in sein Kissen fallen und dachte nach. Wie oft er schon Albträume gehabt hatte. Doch noch nie, wirklich niemals war er von seiner eigenen Stimme geweckt worden. Seine Gedanken kreisten um SIE. Warum hatte er von ihr geträumt, wieso hatte sie zwei Gestalten? Er wünschte sich zu ihr, aber gleichzeitig konnte er sich auch nichts Schlimmeres als ihre Nähe vorstellen. Seine Meinung spaltete sich genau in der Hälfte. Noch nie hatte er ein solches Mädchen gesehen. Nie hatte er sich so hingezogen gefühlt. Nie hatte er ein Mädchen so verabscheut. Er zog das verschwitzte T-Shirt über den Kopf und warf es, genau wie seine Jeans, auf den Boden. Danach drehte er sich auf den Bauch, in der Hoffnung erneut einzuschlafen und zu träumen. Von ihr. Doch der Schlaf wollte sich seiner einfach nicht erbarmen und so wälzte er sich hin und her. Nach einer halben Ewigkeit schlief er dann doch ein. Der Himmel vor seinen zugezogenen Gardinen verfärbte sich bereits rosa und es würde nur wenige Minuten dauern bis der Schlaf ihm erneut entrissen werden würde.
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