Sie machte ihn nervös. Einerseits, weil sie ihm einfach nicht aus dem Kopf ging und er ihr Bild ohne Unterbrechung vor seinen Augen hatte, andererseits, weil sie ihm mit ununterdrückter Freude klar machte, wie viel Spaß sie dabei hatte ihn zu quälen. Er war so viel Schwächer als sie und das regte ich auf. Vielleicht würde er sie aus rein körperlicher Kraft noch übertrumpfen, aber in einem geistigen Duell, würde er verlieren. Ohne Zweifel. Dass sie ihn beobachten konnte, beruhigte ihn auch nicht wirklich, aber wenigstens konnte er es spüren wenn sie ihre wachsamen Augen auf ihn gelegt hatte.
Er richtete seinen Blick auf das vor ihm liegende Blatt Papier. Er las sich erneut die unordentlich hingekrizelten Wörter durch. Auf nichts hatte er eine Antwort bekommen. Wütend drehte er das Blatt herum. Die Linien, die ihr schönes Gesicht wiedergaben, waren klar und deutlich zu sehen. Er könnte sie mit geschlossenen Augen zeichnen, ihr Abbild immer präsent, als würde sie vor ihm stehen. Er geriet in Versuchung ihr Bild zu verfeinern und fertig zu stellen, doch die Erinnerung an den unglaublich stechenden Schmerz in seinem Kopf, hielt ihn davon ab. Er fuhr mit den Fingerspitzen über das Bild und ohne sein Zutun fing er an zu lächeln. Er war nicht in sie verliebt, keinesfalls. Sie war schön. Das ebenmäßige Gesicht, das von den dunkelbraunen, dicken, welligen Haaren umrahmt war; die fast schwarzen Augen, die einem das Lieben und fürchten gleichzeitig lehrten; die leicht blässlich schimmernde Haut und das ironische Lächeln auf den ebenfalls blassen Lippen. All das machte sie schön, aber auf eine ungewöhnliche Weise. Eigentlich fand er eine andere Art von Mädchen attraktiv: blond, blauäugig und eine gebräunte Haut. Doch diese hier, verzauberte ihn auf eine ganz andere Weise. Sie schien gefährlich, doch steckte diese Bösartigkeit in diesem zierlichen Körper. Außerdem zog sie ihn nicht auf eine verliebte und begierige Weise an, sondern es war eher ein Zwang für ihn, an ihrer Seite zu sein. Als würde ein unsichtbares Gummiband sie verbinden, eine nicht zerstörbare Bindung, die sie zusammenhielt. Gedankenversunken fuhr er mit den Fingerspitzen die Umrandung ihres Gesichts nach. Plötzlich zog er die Finger zurück, als hätte er etwas Heißes angefasst. Er zog die Augenbrauen zusammen und ballte die Hände zu Fäusten. Etwas wollte in sein Bewusstsein eindrängen. Dieser Gedanke schoss ihm durch den Kopf, ohne das er wusste warum. Es war ihm klar, dass niemand in andere Bewusstsein eindringen konnte, das war Quatsch, aber trotzdem folgte er diesem Reflex und verbarrikadierte sich. Dass sie es nicht war, hatte er auch genauso Impulsartig gespürt. Es war…anders. Eine weitere Kraft drängte auf ihn ein, doch dieses Mal öffnete er den Spalt. Für sie. „WEITER SO! Du darfst sie nicht reinlassen! Mach genau weiter so. Lass sie nicht rein!“ Er verstärkte die Mauer, ließ sie dicker und dicker bauen. „Gut so. Immer weiter. Bis sie nachlassen. Weiter. Ich verspreche dir, wir werden uns bald sehen, aber mach weiter. Hör nicht auf“, faselte sie immer dieselbe Leier. Das ‚ich verspreche dir, wir werden uns bald sehen‘, ließ ihn für einen Moment aufhorchen und mit neuem Elan führte er die Arbeit in seinem Kopf weiter. Irgendwann spürte er wie sich der Druck langsam, aber sicher abschwächte. Nach einer geraumen Zeit war das Gefühl verschwunden. Nur sie war noch da. „Lässt du mich noch raus oder muss ich wieder Schmerzen verursachen?“, vernahm er in seinem Kopf. Interessant. Wenn niemand rein kam, kam sie auch nicht raus. Ein amüsiertes Lächeln stahl sich in sein Gesicht. „Wie witzig. Los jetzt. Du weißt, dass das sonst nicht besonders angenehm für dich ist.“ Zum zweiten Mal an diesem Tag, griff er nach Papier und Stift und schrieb hektisch ein paar Worte: ‚Wann sehen wir uns? Genaue Angabe.‘ „Zauberwort?“ ‚Bitte‘, fügte er hinzu. „Wieso redest du nicht einfach? Ich kann dich dann auch hören und deine Schrift ist unordentlich, also bitte.“ ‚Erstens: Ich schreibe wie ich will und du bist weder meine Mutter, geschweige denn meine Lehrerin und zweitens: wie sieht es denn bitte aus, wenn ich rede und dabei niemand anderes im Raum ist?‘ „Okay Trottel, morgen, 17.30 Uhr, großer Platz unter der Uhr. Außerdem, wenn du nicht aufpasst, werde ich noch viel schlimmer als deine Mutter und deine Lehrerin zusammen sein. Und jetzt LASS MICH RAUS!“ Damit versetzte sie ihm einen Stich und er ließ Ruckartig seine Mauer zusammenfallen. Er war zufrieden. Er hatte ein Treffen für morgen, in dem er hoffentlich Antworten bekommen würde. Eine Vorfreude machte sich in ihm breit. Er würde sie sehen. Und mit ihr sprechen. Grinsend erhob er sich von seinem Stuhl um sich etwas zu essen zu machen, als sein Handy klingelte.
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Kommentare mal erwünscht, wenn's jemand ließt! ;))
~M~