Sie betrat nach einer gefühlten Ewigkeit den spärlich erleuchteten Raum. Alle Blicke richteten sich auf sie, schließlich war sie die letzte, auf die alle warteten. Aus den meisten Gesichtern konnte sie pure Verachtung lesen. Aus den anderen war es Gleichgültigkeit. Das würde sich ändern, so hatte man es ihr gesagt. Ihre Finger zitterten, ihr Atem ging flach. Sie war die jüngste, die neueste, das Mädchen. Die anderen Anwesenden waren mindestens drei Jahre älter, fünf Jahre erfahrener und weiser als sie. „Setzten", ertönte die Stimme. Mit raschen Schritten ging sie auf den ihr zugewiesenen Platz. Jede Berührung des Bodens hallte und das Unwohlsein wuchs. Als sie sich niedergelassen hatte, schlug auch schon der kleine Hammer auf den Tisch- die Sitzung war eröffnet. Die Worte wurden gesprochen. „Melagon at Abacum". Eine absolute, vollkommene Stille kehrte ein bis der Hall des zweiten Hammerschlages verklungen war. Der Älteste hob den Kopf an. Sie musste sich zusammenreißen. „Neuigkeiten?", fragte er in die Runde, aber alle schienen zu wissen, dass die Frage an sie gerichtet war. Zögernd erhob sie sich und der Stuhl auf dem sie gesessen hatte, schob sich mit einem schabenden Geräusch zurück. Sie brauchte zwei Anläufe bis sie ihre Stimme wiedergefunden hatte und anfangen konnte zu sprechen, eine kleine Tatsache, die ihr erneut abfällige Blicke einbrachte. „Neuigkeiten. Unerfreuliche. Ich denke der Regen ist keinem von uns entgangen. Es wird schlimmer werden, viel schlimmer." Sie machte eine Pause. „Das spüre ich. Wir sind die ersten, die davon betroffen sein werden, aber andere Städte werden folgen. Ich fühle es." Sie schloss die Augen. Nach einer erneuten Pause nickte sie und setzte sich wieder. „Du fühlst das also. Allerdings ist uns allen der vermeintliche Regen nicht entgangen. Die Vorbereitungen laufen schon. Aber, sei ehrlich, da ist noch etwas. Etwas von Bedeutung für unseren Orden. Habe ich Recht?", der Spott war unüberhörbar. Sie atmete tief durch. Einmal, zweimal, dreimal. „Ja. Ich habe ihn gefunden. Er wird kommen." Diese wenigen Worte kosteten sie so eine Mühe. Allgemeine Belustigung breitete sich im Raum aus. Mit jedem höhnischen Lachen, das durch den Raum waberte, schrumpfte ihr weniges Selbstbewusstsein. „Genug." Es wurde wieder still. „Danke", die Blicke lösten sich von ihr und richteten sich wieder auf den ältesten, „sonst noch irgendwelche Mitteilungen, oder muss ich jeden von euch einzeln auffordern mit mir zu sprechen?" Jeder Satz den er sprach, schlug ihr in den Bauch. Sie kniff die Lippen zusammen und versuchte erneut alles um sich auszublenden. Nicht einfach bei den Blicken die Menschen töten konnten, wenn sie nur wirklich wollten. Für einen Moment herrschte Stille, wahrscheinlich nur Sekundenbruchteile, aber für sie waren es Jahre. Ihre Hände verkrampften sich, so dass ihre Knöchel unter der weißen Haut deutlich hervortraten. Plötzlich erloschen alle Fackeln, die bisher den Raum erleuchtet hatten. Und mit einem Mal war es stockdunkel. Totenstille, ein einzelnes Röcheln. Eine ihrer ersten Lektionen war gewesen sich in solchen Situationen nicht zu verspannen. Also atmete sie aus. Ganz tief und ruhig. Ihre Fäuste entspannten sich ebenfalls. Fünf weitere Sekunden vergingen. Und genauso plötzlich wie das Tanzen der Flammen verschwunden war, tauchte es wieder auf. Sorgenvoll betrachtete sie die anderen Mitglieder. Der Atem ging schnell und ein paar von ihnen husteten stark. Der Älteste rieb sich seinen Hals. Ein unbehagliches Schweigen erfüllte den Raum. „Die Sitzung ist beendet. Ich werde mich mit den weisesten über diesen Vorfall beraten. Sobald ich herausgefunden habe um was es sich hier handelt, werde ich euch erneut zusammen kommen lassen. Melagon at Abacum." Hektisch schlug er auf den Tisch, man sprach die Worte und der Raum wurde geräumt. Sie überkam ein seltsames Gefühl. Als ob die anderen noch etwas anderes als das Erlöschen der Flammen gespürt hatten. „Worauf wartest du noch?", unterbrach eine barsche Stimme ihren Gedankengang. Sie öffnete den Mund, als ob sie etwas sagen wollte, beließ es aber doch bei einem knappen Schütteln des Kopfes. Mit schnellen, federnden Schritten folgte sie denen, die den Raum schon verlassen hatten.