Kapitel 6

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A/N Weil ich nicht anders konnte.

Ayla

Die Kufen kratzen über das Eis, verzieren es mit meinen Spuren. Linien die sich berühren und sich überschneiden. Alles geschieht am selben Ort, nur zu verschiedenen Zeiten. Ein Moment der unendlichen Freiheit, als ich an Schnelligkeit zunehme und es sich anfühlt, als würde ich fliegen. Mein Herz pumpt im Einklang mit der Klaviermusik, die aus den Boxen dröhnt und die Halle erfüllt.

Eine Hand greift nach meiner; wirbelt mich herum. Breit lächelnd sieht Jane mich an. Ihre Unbeschwertheit auf dem Eis ist bewundernswert. Dies hier ist ihre Leidenschaft, so wie das Klavierspielen meine ist. Ihre Wangen schimmern in einem lieblichen Rotton, während ihr Atem unregelmäßig geht.
„Auf drei", flüstert sie und zählt mit ihren Fingern von drei runter. Dann laufen wir los. Kurz übertönt das Geräusch der Kufen auf dem Eis die Musik. Ein wunderschöner Klang, wie ich finde.
Wir denken nicht nach, sondern lassen uns fallen. Geben uns der Musik und dem Eis hin. Genießen den Moment, in dem alles andere so unwichtig erscheint. Wie sehr ich es liebe, mit meiner besten Freundin auf dem Eis zu stehen, der wunderbaren Melodie zu lauschen und ihr zuzusehen, wie sich ihre angespannten Gesichtszüge bei der ersten Berührung mit dem Eis sofort lösen und Freude den Platz einnimmt. Hier gehört sie hin. Das sieht und spürt man. Sie strahlt eine Energie aus, die sich nicht beschreiben lässt, die aber auch ich tief in mir spüre, wenn ich mit ihr zusammen hier bin.

Als ich noch klein war, waren meine Eltern und ich oft ganz traditionell Schlittschuhlaufen. Nichts im Vergleich zu Jane, die wie eine Prinzessin über das Eis gleitet und sich mit einer solchen Eleganz und Leidenschaft bewegt, wie man es aus dem Fernsehen kennt. Es war unser Ding, jedes Jahr, sobald es kalt wurde Schlittschuhlaufen zu gehen und Spaß zu haben. Ich erinnere mich, wie ich jedes Mal Seitenstiche vom Lachen bekam, wenn Mom oder Dad umgefallen sind oder ich selbst Bekanntschaft mit dem Eis gemacht habe. Irgendwann ließen die Besuche der Eishalle mit meinen Eltern nach und ich war selbst nicht mehr dorthin gegangen. Erst als ich Jane kennenlernte und von ihrer Leidenschaft erfuhr, betrat ich wieder eine Eishalle. Sie hat mir die Grundlagen beigebracht und seitdem gehen wir häufig zusammen Schlittschuhlaufen. Es ist ein Art Entspannung für mich; Ein Ausgleich zum Alltagsstress. Jedoch versuche ich mich heute auch etwas abzulenken und zu beruhigen. Meine Gedanken schwirren die ganze Zeit um das Date mit Luc heute Abend und die Nervosität kriecht beinahe sichtlich meinen Hals hinauf.

„Du denkst schon wieder nach." Jane legt ihre Hand an meinen unteren Rücken und schiebt mich über das Eis. „Und zu viel, wenn du mich fragst. Lass es doch einfach auf dich zukommen." langsam läuft sie neben mir her und betrachtet mich. „Ich hab ständig eine kleine Stimme im Hinterkopf, die mich fragt, ob es nicht zu früh wäre", gebe ich zu und sehe auf meine Schlittschuhe.
„Hör nicht auf sie. Du weißt, dass er genau das wollte. Wenn wir nachher bei dir sind, päppeln wir dich einwenig auf und dann hast du verdammt nochmal einen hervorragenden Abend." sie ergreift wieder meine Hand und legt an Geschwindigkeit zu. „Du kannst dir deinen Kopf nachher weiter zerbrechen. Das hier ist der falsche Ort dafür."
Und damit gebe ich mich geschlagen und schalte meine Gedanken vorerst aus.

Völlig außer Atem stehe ich vor Jane, während ich ihr ein weiteres Kleid präsentiere. Nach dem dritten habe ich aufgehört, mitzuzählen. „Schalt' einen Gang runter. Der Schweiß versaut dein Makeup." Sie hält mich eine Armlänge von sich entfernt und blickt mich intensiv an.
„Du siehst fabelhaft aus. Wunderschön. Ehrlich." Einen schiefes Grinsen umspielt ihre Lippen.
„Wäre ich ein Kerl, würde ich dich auch daten."
Lachend sehen wir uns an, bevor sie mich auf den Stuhl vor meinem Schminktisch manövriert und mein chaotisches Haar bändigt. Wenig später fällt es in sanften Wellen über meine Schultern und umspielt mein Gesicht.
Ich sehe mich im Spiegel an, erkenne mich kaum wieder. Heute ist ein guter Tag. So fühlt es sich jedenfalls an und es beängstigt mich. Wann hatte ich das letzte Mal einen wirklich guten Tag? Innerlich bete ich, dass mich mein Gefühl nicht enttäuscht.

„Du hast heute ein Date!", trällert Jane plötzlich drauflos und springt durch mein Schlafzimmer.
„Ja. Ja, das hab ich." Mein Herz klopft bei dem Gedanken.
„Und dann auch noch mit so einem Sahneschnittchen."
Ein Räuspern lässt uns beide erschrocken zusammenzucken.
„Ich bin immer noch der heißeste von allen." Tony. Ganz vergessen, dass er auch noch im Raum ist. Er hatte es sich auf meinem Bett gemütlich gemacht und uns beide beobachtet. „Aber ich muss ihr Recht geben. Er sieht wirklich gut aus."
Ich nicke nur. Abstreiten kann ich es definitiv nicht, doch ich vertraue meiner Stimme gerade nicht. Mit jeder Minute nimmt die Nervosität zu, die Gedanken kreisen und ich bin innerlich total aufgewühlt, obwohl ich mich selbst ermahne, damit aufzuhören.
Tief atme ich ein. Tief atme ich aus.
Es wird alles gut werden, denke ich mir.
Der Abend wird wunderbar, hoffe ich.
Zu viele Gedanken bringen nichts, rede ich mir ein.
„Wehe du klappst vor Aufregung zusammen." Jane lacht, sieht mich aber ernst an. Beruhigend streicht sie über meine Schulter. „Ich verspreche dir hoch und heilig, dass alles gut wird und du gar keinen Grund zur Sorge hast."

„Und wenn doch etwas sein sollte, weißt du, wie man uns erreicht", schmunzelte Tony, setze sich rechts neben mich und legte seinen Arm um mich. „Aber wir hoffen, dass dieser Fall nicht eintritt. Genieß den Abend, Ayls."

In diesem Moment klingelt es und ich reiße meine Augen auf, bevor ich sie schließe. „Ich komme!", rufe ich und schlüpfe in meine Schuhe, die nur einen leichten Absatz besitzen und auf denen ich gescheit laufen kann. Jane zieht mich in ihre Arme und wünscht mir viel Spaß. Tony tut es ihr gleich.

„Vergiss die Details nicht. Wir wollen alles wissen", grinst Jane unschuldig und wirft mir einen Luftkuss zu. Ich schüttle nur schmunzelnd den Kopf und gehe die Wohnungstür öffnen.

Vergiss nicht zu atmen, erinnert mich meine innere Stimme und ich ziehe scharf die Luft ein. Er sieht umwerfend aus.
Peinlich berührt räuspere ich mich und streiche eine Strähne hinter mein Ohr. „Hey", sagen wir beide gleichzeitig und lachen dann leise. Seine Augen mustern mich, doch ich fühle mich nicht unwohl. Auf irgendeine Art und Weise gefällt es mir. Dieser Blick sagt mehr, als Worte es je könnten und ich fühle mich schön.
„Bereit?" Luc hält mir seine große Hand hin, in die ich meine lege. „Bereit."

PetrichorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt