Peter

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Olivias p.o.v.

"Liv!", suchend blickte ich mich nach der Person um, die gerade meinen Namen gerufen hatte.
Irgendwie hatte ich die sechs Stunden überstanden, ohne Alessandro über den Weg zu laufen und wollte gerade zur Mensa, wie all die anderen Schüler.

"Liv!", rief die Stimme noch einmal und endlich konnte ich die dazu gehörige Person entdecken. Schnell bahnte ich mir einen Weg durch die Schülermassen auf Peter zu, den jedoch alle nur Pete nannten.

"Hey.", freudig umarmte ich ihn kurz. Wir hatten uns heute noch nicht gesehen.

"Wie geht's dir?", fragte Pete interessiert und auch ein wenig besorgt.
Ich runzelte die Stirn. Was war denn mit ihm los?

"Gut, wieso fragst du?"

"Na ja, Lisa hat mir das mit deinem.....mit Alessandro erzählt."

Aha. Natürlich. Lisa hatte es wohl nicht für sich behalten können. Aber das sollte mir Recht sein. Ich wollte es vor Pete sowieso nicht verheimlichen.

"Lass uns erst Mal zur Mensa gehen.", sagte ich ihm.
Er nickte zustimmend.

Auf dem Hinweg erzählte ich ihm schnell alles über Rudel-Telepathie.
Wie ich Alessandro das erste Mal getroffen hatte, und wie ich mich von ihm losgesagt hatte. Und natürlich, warum.

Als ich fertig war, waren wir schon in der Mensa in der Schlange vor der Essensausgabe angekommen.

Ich schnupperte leicht. Hmm. Spaghetti Bolognese. Lecker.

"Ich kann das einfach nicht fassen.", sagte Peter ungläubig.

Er hatte mich die ganze Zeit nicht unterbrochen. Das war das Tolle an Peter: er war ein sehr guter Zuhörer.

"Ich meine, wie viele Leute wünschen sich so was? Und du...du bekommst dieses Geschenk und wirfst es einfach weg."
Da wir nicht wussten, wer alles zuhörte, sprach Peter die Worte 'Mate' und 'Lossagung' nicht aus.
Von klein auf wurde uns diese Achtsamkeit antrainiert.

"Du weißt, warum ich es tun musste.", erwiderte ich nur.
Meine Gründe hatte ich ihm schließlich auch erklärt.

Doch er schnaubte nur.
"Ich weiß, warum du glaubst, dass du es tun musstest. Aber willst du meine ehrliche Meinung wissen?"

Abwartend sah er mich an. Wenn Pete so fragte, dann war er drauf und dran, mir schonungslos seine Meinung zu geigen.
Manche konnten das nicht ertragen. Mir gefiel es auch nicht immer.

Ich erinnerte mich noch zu gut, wie ich früher völlig begeistert ein Lied gesungen hatte. Ich war noch klein gewesen und wollte unbedingt Sängerin werden.
Und Pete? Er hatte mir gesagt, dass man keine Sänger wollte, die grottenhaft sangen.
Das hatte mich ziemlich verletzt.

Aber so war Pete eben: er sagte seine Meinung klipp und klar, ohne Beschönigungen. Nicht, weil er gemein sein wollte. Er wollte einfach nur ehrlich sein. Und heute war ich froh darum.
So war er nun einmal. Und wenigstens wusste man so, woran man bei ihm war.

Zögerlich nickte ich und machte mich auf seine Meinung gefasst.

"Ich finde, du verwehrst dir dein Glück, wegen etwas, was du nicht ändern kannst. Und schlimmer noch, du verwehrst auch noch deinem... Alessandro sein Glück. Du gibst einfach auf, lässt dich von dieser Sache bezwingen. Und tust dir damit selber weh."

Au. Peters Kritik anzunehmen war noch nie einfach gewesen. Aber so wie er es jetzt ausdrückte...irgendwo hatte er ja Recht. Aber was sollte ich schon tun?
Ich konnte gegen die Krankheit nicht ankämpfen. Und ich hatte es versucht. In den ersten Monaten hatte ich mich bei jedem Vollmond gewehrt, um nicht die Wolfsgestalt anzunehmen.
Ich hatte es so weit getrieben, dass ich bewusstlos wurde.
Ich weiß nicht, ob ich es geschafft hatte, in Menschengestalt zu bleiben. Am nächsten Tag bin ich jedenfalls in dieser Form aufgewacht. Aber trotzdem hatte ich mich schwächer gefühlt.
Wie immer nach einer Vollmondnacht. Kraftloser. Zwar gewöhnte ich mich mit der Zeit an meinen geschwächten Zustand und doch war es nicht einfach.
Denn natürlich konnte ich mich noch daran erinnern, wie schnell und stark ich am Anfang war. Vor meiner ersten Verwandlung. Und jedes neue Auskundschaften meiner Grenzen zeigte mir, wie viel näher ich dem Tod gekommen bin. Bis ich schließlich so schwach sein würde, dass mein Herz einfach aufhören würde zu schlagen.

Niemand hatte mir bei meinen Verwandlungen oder der Zeit danach helfen können. Niemand konnte mir jetzt helfen. Ich hatte jeden verdammten Tag den Schmerz in Mamas Augen gesehen, die Trauer in Papas Blick, die Wut in Stefans Körpersprache.
Es war ihnen wegen mir nicht gut gegangen. Es ging ihnen jetzt auch nicht viel besser. Nur hatten sie gelernt, ihre Gefühle vor mir zu verstecken, um es mir zu erleichtern.

Doch ich wollte nicht, konnte einfach nicht zulassen, dass mein Mate das aushalten musste. Diesen Schmerz.

Warum verstand das nur keiner?
Aber ich ahnte die Antwort bereits.
Man konnte es nicht verstehen, wenn man nicht in meiner Haut steckte.

Ich stieß einen tiefen, traurigen Seufzer aus.
"Ach, Pete. Wenn es doch nur so einfach wäre. Aber gegen manche Dinge kann man nicht ankämpfen."

Nicht gegen diese Krankheit., übermittelte ich ihm.
Versteh doch. Wenn ich schon sterben muss, dann nicht in dem Wissen, dass ich meinen Mate mit mir ins Verderben gestürzt habe. Das könnte ich nicht ertragen.

Ich sah, wie er die Zähne zusammen biss. Dann seufzte auch er.

"Ich kann dich ja irgendwo verstehen, aber versteh du auch mich. Ich wünsche mir eben, dass du glücklich bist."

Solange es noch möglich ist.
Er sprach es nicht aus, aber die Worte hingen in der Luft.

Bevor ich darauf etwas erwidern konnte, waren wir schon an der Essensausgabe an der Reihe.
Wir ließen uns einen Teller füllen und suchten uns dann einen Tisch.

Auf dem Weg dorthin spürte ich, wie mich jemand ansah. Daraufhin schaute ich mich unauffällig um.
Dort, an dem Tisch ziemlich weit vorne - die Blondine und ihr Mate schauten mich an. Aber nicht freundlich, sondern das glatte Gegenteil.

Besonders die Blondine funkelte mich aus wütend zusammengekniffenen Augen an. Die Gabel hielt sie fest in der Faust umklammert.
Oha, was war denn mit der los? Was hatte ich ihr diesmal getan?
Ihr Mate dagegen schaute mich zwar auch wütend, aber auch neugierig an.

"Pete,", flüsterte ich ihm zu, als wir uns setzten "die zwei da vorne. Die gucken mich voll komisch an."

Er folgte meinem Blick und drehte sich zu ihnen um. Dann sah er mich wieder an.

"Kein Wunder.", meinte er, als wäre es klar, warum sie mich so anblickten.

"Schließlich hast du einen der Ihren abserviert."

Oh. Stimmt, jetzt wo er es sagte. Das machte Sinn. Wieso war ich nicht selbst darauf gekommen?
Aber irgendwie hatte ich nicht erwartet, dass Alessandro das gleich allen erzählen würde.

Jetzt fühlte ich mich ziemlich schuldbewusst. Dabei hatte ich die richtige Entscheidung getroffen. Auch wenn es kaum jemand verstand.
Aber wenn ich die Wut in den Augen des anderen Rudels sah...ich fragte mich unwillkürlich, ob Alessandro auch wütend war.
Und bei dem Gedanken schmerzte es mich. Ich wollte nicht, dass er mich hasste. Aber wenn das der Preis für sein Glück war...dann würde ich ihn zahlen.
Egal, wie sehr es mich schmerzte.

I'm sorry, MateWo Geschichten leben. Entdecke jetzt