09. Bruce Lee

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„Worauf wartest du?"

Ich stand ihm zwar jetzt mit drei Metern Abstand gegenüber, doch irgendwie hatte ich Angst. Wie Christa mir erzählt hatte, war er früher sogar angeblich mal in einer Gang gewesen.

„Greif an!", befahl er jetzt genervt.

„Warum soll ich angreifen?", widersprach ich aus Versehen, was ich dann auch schnell bereute.
„Tch. Wie du willst..."
Schon kam er flink auf mich zu, gleichzeitig lief ich schleunigst rückwärts. Er hielt an.
„Dir ist schon klar, dass der Sinn im Nahkampf nicht darin liegt zu fliehen. Oder?"

„J-Ja... i-"

„Nochmal. Greif mich jetzt einfach an!"

Wir stellten uns erneut auf und ich riss mich diesmal zusammen. Ich versuchte an Annie's Tipps zu denken, erinnerte mich aber nur noch wage.
Im Zickzack schnellte ich los, um meinen Gegner zu verwirren.

Ich hob meinen Ellenbogen für einen Schlag, brach ihn aber mittendrin ab, setzte den Schwung in mein anderes Bein und zog es auf Augenhöhe durch die Luft. Er ließ sich von der Täuschung nicht beirren und wich aus. Ich nutzte den Schwung meines Beines für eine flinke Umdrehung und ließ anschließend meinen Handrücken auf ihn zu schnellen.

Er griff aber mein Handgelenk, war plötzlich neben mir und zog meinen Arm nach hinten. Gleichzeitig packte er mich im Nacken, drückte meinen Kopf nach unten und verpasste mir mit seinem Knie einen schmerzvollen Tritt in den Bauch, weshalb ich anschließend durch die Luft flog.

Wer hätte es gedacht, aber auf dem harten Boden zu landen tat noch mehr Weh, als auf irgendwelchen Matten. Wegen des Tritts konnte ich für ein paar Sekunden nicht mehr atmen.

„Ist das alles, was du draufhast?", fragte er unbeeindruckt, während er auf mich herab sah.
„Tja, ich hab ja auch nicht damit gerechnet, dass wir versuchen UNS GEGENSEITIG UMZUBRINGEN!", hustete ich wütend.

„Tch. Steh auf. Nochmal."
Ich stand wacklig auf und versuchte den Schmerz zu vergessen. ,So ein Arschloch...', dachte ich nur. Ich würde ganz sicherlich nicht den Boxsack für diesen selbsteingenommenen Teletubby spielen. Dieser Vollidiot machte mich gerade so rasend, am liebsten hätte ich ihn k.o. geschlagen.

„Hmm, was ist?", provozierte er mich auch noch, „Heulst du schon?" Bei seinem eingebildeten Schmunzeln wollte ich nur noch kotzen.
„Schnauze!", rutschte es aus mir. Ich rannte erneut auf ihn zu.

Egal was ich vorhatte, es musste schnell sein! Ansonsten würde er genug Zeit zum Reagieren haben. Ich ließ viele kleine Schläge auf ihn losgehen, jeden davon blockte er ab. Aus dem Augenwinkel heraus sah ich, wie seine Hand aus dem Nichts auf mich zujagte. Um Haaresbreite wich ich dem Schlag nach hinten aus, verlor aber das Gleichgewicht. ‚Shit!...'

‚Nutze das Gewicht deines Gegners!', erinnerte ich mich an Annie's Anweisung. Blitzschnell löste ich einen Fuß vom Boden und verhakte ihn unerwartet in seiner Kniekehle. Mit einem Ruck zog ich mich wieder nach vorn und ließ ihn leicht einknicken.
Während er nun eine Sekunde mit der Wiedererlangung des Gleichgewichts beschäftigt war, preschte ich geduckt unter seiner Deckung nach vorn, legte meinen Arm um seinen Hals und riss ihn rückwärts zu Boden.

OMG, ICH HATTE MEINEN HAUPTGEFREITEN GERADE IM SCHWITZKASTEN! Ich war so erstaunt, dass er sich mit Leichtigkeit aus meinem Griff befreite, mich überwältigte und unter ihm auf dem Boden festmachte. Das alles war mir aber sowas von egal, denn ich hatte ihn tatsächlich für einen Moment fertiggemacht.

„Was grinst du so?", fragte er sauer, „Du hast verloren."

„Für mich... war das ein Sieg. HAST DU GESEHEN WIE SCHNELL ICH WAR?!", rief ich freudig. Ich konnte es immer noch nicht fassen.„ICH WAR SO KRASS WIE JACKIE CHAN ODER BRUCE LEE!"

„B-Bruce Lee?", fragte er verwirrt.

„AH, nicht so wichtig!", erwiderte ich hastig.

Er wollte gerade etwas sagen, da wurden wir irgendwie abgelenkt. Der ganze Platz schimmerte nämlich auf einmal. Wir drehten unsere Köpfe und sahen am Horizont einen ungewöhnlichen Sonnenaufgang. Fasziniert beobachtete ich die riesige Sonne, denn so groß hatte ich sie in meinem Leben noch nie gesehen. Es sah total schön aus, als wäre sie zum greifen nah.

Nach einigen Momenten schauten wir uns wieder an. In diesem Licht konnte man die wahre Farbe seiner Augen erkennen, himmelblau...
Ich fragte mich, weshalb ich eigentlich so Angst vor ihm gehabt hatte, denn gerade sah er so freundlich aus.

Kurz darauf bemerkten wir, dass wir immer noch so komisch und unangenehm dalagen. Er kletterte also zügig von mir runter.
„Nicht schlecht.", kommentierte er kurz die letzte Runde und wendete sich dann ab.
„D-Danke."

Ich setzte mich peinlich berührt auf. Er wollte wahrscheinlich mit Training oder so weitermachen, zögerte aber und ließ es dann bleiben. Tatsächlich setzte er sich einfach wieder, um den Horizont anzuschauen. Ja, irgendwie witzig...

...aber so saßen wir in aller Stille und beobachteten den goldenen Sonnenaufgang mit seinen orange-rosa Wolken.

Kennen wir uns? [Levi x Reader]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt