Fahles Licht schien durch die Eingangstür. Der Raum leuchtete hell in der morgendlichen Sonne, das weiße Holz schimmerte leicht. Nackte Füße tapsten über den Holzboden. Die Gestalt blieb stehen und sah in den Spiegel. Dunkle, in alle Richtungen abstehende Haare bedeckten ihre Augen. Mit einem tiefen Seufzer blies sie sie aus dem Gesicht. Schlurfend ging sie weiter auf der Suche nach der Küche. Im nächsten Raum befanden sich grüne Couchsessel und die Wand war rosig tapeziert. "Nicht die Küche.", erkannte die Gestalt. Sie ging durch die Staubkörnchen die vor ihr im Licht glitzerten. Außer dem Ticken einer Uhr irgendwo und dem Trampeln der Gestalt war es mucksmäuschenstill. Noch schliefen alle.
Am Ende des Raumes befand sich eine weitere Türöffnung und dahinter die Küche. Sie goss sich etwas Wasser ein. Auf einem der Küchensessel ließ sie sich nieder. Die kühle Flüssigkeit rann ihr den trockenen Hals herunter. Gierig machte sie größere Schlucke. Dann schenkte sie sich nach.
Sie nippte an dem Glas, ihre Gedanken schweiften ab. Während sie einen Baum im Garten beobachtete resümierte sie über den gestrigen Tag.
Ein Fremder fiel ihr schlagartig ein... sie verzog die Brauen und verwarf diese unangenehme Erinnerung.
Sie wollte unbedingt wissen wieso das alles passiert war. Aber sie musste es anders angehen.
Sie würde sich sich selbstbewusst und erwachsen geben, als würde sie das alles verstehen und den Erwachsenen blind vertrauen. Dann würde sie Alice die Geschichte nochmal vortragen und vor Mitleid würde sie ihr etwas erzählen.
Selbstzufrieden lächelte sie. Außerdem würde es keiner in den nächsten drei Tagen schaffen sie weiter als zur Haustüre zu bringen.
Während sie so Pläne schmiedete ertönten Schritte irgendwo im Haus.
Schwerfällig stand sie auf, wusch das Glas und trocknet es ab.Aus dem Türrahmen kreischt Alice "Brianna, um Himmels willen zieh dir etwas richtiges an!" Die morgendliche Stille war dahin. Manchmal fragte sich Brianna ob sie auch was anderes als "um Himmels willen" sagen konnte.
"Guten Morgen Alice.", antwortete Brianna ihrer Tante. In ihrem Unterkleid ging sie betont langsam Alice vorbei, zurück in ihr Schlafquartier.Sie schnappte sich ihr Kleid von gestern, ein Handtuch und verschwand im Badezimmer. Sie hatte vor sich ein heißes Bad zu machen um ihr seelisches Wohlbefinden wiederherzustellen. Danach kämmte sie sich das nasse Haar und ließ es lufttrocknen. Währenddessen probierte sie Alices Parfüms aus.
Nach dem Anziehen ging sie duftend, erfrischt und halbwegs zufrieden die Treppe hinunter.
In der Küche bereitete Alice das Essen vor, da sie noch keine Magd hatte.
Brianna setzte sich an den Tisch und beobachtete Alice.
"Wo sind die anderen?", fragte sie.
"In der Stadt."
Als Brianna merkte wie unbeholfen Alice war ging sie ihr zur Hilfe.
Brianna half manchmal Mrs Dotts mit verschiedenen Arbeiten aus, deswegen wusste sie einiges über das Kochen.
Teils fand Brianna es wichtig praktische Kenntnisse zu besitzen, teils war ihr einfach langweilig zu Hause.
"Was willst du kochen?"
"Nun ja eigentlich wollte ich ein paar gekochte Eier machen."
"Jetzt machen wir Omeletts." Brianna schwenkte eine Pfanne in der Luft.
"Gut", Alice hob sarkastisch die Hände.
Als sie kurz darauf erkannten, dass nicht genügend Vorräte da waren wollte Alice zum Bäcker gehen.
"Ist das auch sicher?", fragte Brianna skeptisch.
"Es ist gleich um die Ecke.", meinte Alice, die sichtlich kein besonders gutes Gefühl dabei hatte.
Aber irgendetwas überwog ihre Angst.
"Ich will mich als Hausfrau nicht blamieren.", fügte sie hinzu. Da war es also.
Brianna schnaubte.
Alice sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. Anscheinend gefiel ihr Briannas Reaktion darauf nicht. Dann drehte sie sich einfach um und ging in den Flur um sich anzuziehen.
"Kommst du?"
Brianna rang mit ihrem Gewissen. Sie konnte Alice nicht alleine gehen lassen. Zwar mochte sie sie nicht besonders aber es wäre absolut unehrenhaft von ihr gewesen sie alleine gehen zu lassen. Zögernd warf sie ihren Vorsatz von heute morgen über Bord.
"Na gut." Sie seufzte.
Draußen auf der Straße war der alltägliche Trubel vorzufinden.
Brianna zupfte an ihre Mantel und blickte um sich herum. Sie versuchte die umstehenden Leute genau im Auge zu behalten. Sie und Alice gingen schnellen Schrittes voran. Es war tatsächlich nicht weit. 30 Meter vor ihnen war schon die Bäckerei zu sehen.
Als sie den freundlich erleuchteten Laden erreichten fiel die Anspannung förmlich von Brianna ab. Sie drängten sich in die Reihe und schöpften Atem. Wer hätte gedacht, dass der Weg zum Bäcker mal so nervenaufreibend sein würde?
Als sie an die Reihe kamen bestellte Alice mit angespannter Stimme: "Ähm, sechs Brotlaibe, fünf Pasteten und drei Karrottenkuchen bitte."
Der Bäcker packte die Waren ein.
"Sie wollen wohl eine Gesellschaft geben, wie?", kommentierte der er ihren Einkauf als er die eingepackten Waren über den Tresen reichte. Er schenkte ihnen ein zahnloses Lächeln.
"Ja", lachte Alice ein unechtes, nervöses Lachen - man merkte, dass sie normalerweise nicht selber einkaufen ging. Sie drückte Brianna einen Kuchen und einen Brotlaib in die Hände, dann gingen sie hinaus.Als die Haustür von weitem zu sehen fühlte sich Brianna sicherer. Beide beschleunigten ihre Schritte.
Plötzlich rief jemand hinter ihnen: "Hey! Alice?!" Langsam drehten sich die beiden um. Als sie Gilberts sahen atmete Brianna laut aus und warf erleichtert den Kopf in den Nacken.
Doch sein Blick war alles andere als erfreut.
"Wo seid ihr gewesen?" fragte er scharf.
"Einkäufe machen.", entgegnete Alice.
"Alice du weißt was wir ausgemacht haben.", redete er eindringlich auf sie ein. "Und dann nimmst du auch noch Brianna mit.", er hörte sich fassungslos an.
Sie streckte das Kinn hervor. "Denkst du es kocht sich so von alleine? Ich brauche Lebensmittel um fünf Personen durchfüttern zu können."
"Alice..." er klang gereizt.
"Wer weiß wie lange wir hier noch festsitzen?! Wir brauchen Vorräte. Außerdem ist es helligter Tag und draußen sind noch andere Menschen!" entgegnete sie.
Gilberts bemerkte, dass die Passanten sie schon neugierig ansahen und zischte "Kommt."
Eilig stolperte Brianna ihm nach, hinein ins sichere Haus.
Kaum, dass sie drinnen waren schrie er schon "Du hättest deinen Butler schicken können!"
"Der war zufälligerweise außer Haus."
"Warten war noch nie deine Stärke!"
Langsam verloren die Erwachsenen also die Nerven, dachte sich Brianna.
"Ihr wisst anscheinend immer noch nicht wie gefährlich das ist!", er wandte sich auch an Brianna und rüttelte sie an den Schultern. "Das ist kein Abenteuer, wie in deinen Büchern! Das ist bitterer Ernst! Es könnte um unser Leben gehen - ist dir das eigentlich klar?"
"Aber wieso denn?", hätte Brianna am liebsten geschrien aber sie brachte keinen Ton heraus.
Er sah an ihr vorbei und befahl mit plötzlich härtere Stimme :"Ich will, dass du das Haus nicht mehr verlässt.", er wandte sich auch an Alice, die ihn mit kalten Augen anstarrte.
"Niemand von euch!"
Brianna sah benommen geradeaus und dachte, dass sie das ja sowieso nicht wollte aber es kam ihr überflüssig vor.
"Ich gehe jetzt wieder." Er klang ein wenig ruhiger. Eilig öffnete er die Tür und ging hinaus.
Alice starrt mit kaltem Blick vor sich hin. Dann hob sie den Kopf und begann sich über ihn zu beschweren, als suchte sie Briannas Zustimmung.
Diese fühlte sich unbehaglich und verließ mit einer Ausrede das Zimmer.
So wie heute hatte Brianna ihren Onkel noch nie erlebt. Er wirkte ernsthaft besorgt, wenn sie es nicht besser gewusst hätte sogar panisch.
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Die Abenteuer der Brianna Brown
Historical FictionBrianna lebt im düsteren London des 19. Jahrhunderts. Ihr Leben verlief bisher in geordneten Bahnen, bis sie sich eines Tages wiederfindet, auf den Straßen Londons, verfolgt von einem schauerlichen Fremden. Dieses Ereignis bringt Dinge ans Licht, vo...