Die Abenteuer der Brianna Brown

- Kapitel 6 -

Gegen Mitternacht hatten sie halb London durchquert und hielten schließlich am menschenleeren King's Cross Bahnhof.
Die Stahlkonstruktion seines Daches erhob sich schemenhaft über ihnen, als sie die Halle durchquerten. Neben ihren Schritten war nur das dumpfe Prasseln des Regens zu hören. Der Strom war während ihrer Kutschenfahrt ausgegangen und die ganze Stadt lag jetzt da, in rabenschwarze Dunkelheit gehüllt. Auf dem Glasdach rann das Wasser herunter und ließ das Licht des hervorgekommenen Mondes verschwommen hindurch. Es waren einige provisorische Lampen in den Ecken angebracht worden, deren gelbes Licht zu dem kalten Zusammenspiel von Stahl und Mondlicht nicht dazupassten wollte.

Brianna hielt Ticket und Koffer fest der Hand. Sie waren gerade noch rechtzeitig eingetroffen.
Das Tuckern des ankommenden Zuges durchbrach die ohrenbetäubende Stille. Seine Räder blieben mit einem lauten Quietschen stehen und er stieß Dampf aus. Brianna war einen Augenblick von dem weißem Nebel umhüllt, dann spürte sie eine sanfte Brise in ihrem Gesicht und der Geruch von Teer und Kohle verflüchtigte sich.
Brianna war nervös, die Nachtluft belebte ihren Geist und sie sog sie zitternd ein.

"Was auch immer die Zukunft bringen mag...", dachte sie aufgeregt und folgte Alexander in den Zug.

Im Waggon war es stickig und ein Nebelstreifen aus Zigarettenrauch lag über den verlassenen Sitzen. Die reich verzierten Lampenschirme, die rot-samtene Sitze und das Goldgeschirr der ersten Klasse beengten Brianna, sie fühlte sich wie in einem vollgestopften Puppenzimmer.

Um sich zu beruhigen atmete sie zweimal tief ein und aus. Onkel Alexander verstaute währenddessen schweigend die Koffer.

Mit einem Ruck fuhr der Zug ab. Sie schaute aus dem Fenster und erblickte ihr eigenes Gesicht. Es war so dunkel, dass man nur ahnen konnte woran sie vorbeifuhren. Das einzig Sichtbare waren die Regentropfen, die seitlich das Fenster hinunterliefen.

"Wolltest du mir nicht etwas erzählen?", wandte sie sich an ihren Onkel.

Er seufzte. "Ja, ich habe es dir versprochen." Dann blickte er hinaus und schien nach den richtigen Worten zu suchen.

"Wir sind entferntere Verwandte der Ellesmeres aus Schottland.", begann er.

Brianna nickte, der Name kam ihr vage bekannt vor. Doch ihr war nicht klar in welchen Zusammenhang das wichtig war.

Er fuhr fort: "Es geschah ungefähr zu der Zeit, als König Arthur England regierte, jedoch weiter im Norden, in einem geheimnisvollen Land, dessen Moore und bodenlose Seen dunkle Geheimnisse verbargen."

Brianna war überrascht, dass er mit einer Geschichte begann, doch sie nickte - Hauptsache er redete. Früher hatte er ihr oft Geschichten von König Arthur und den Rittern der Tafelrunde erzählt, von Lancelot und Guinevere und dem Schloss Camelot. Brianna stützte sich auf dem Tisch ab und war gespannt was jetzt kommen würde. Onkel Gilberts war schon immer ein guter Geschichtenerzähler gewesen. Leider hatte er nie eine veröffentlicht.

"An der Küste von Oakland, im rauen Nordosten des Landes, lebten vier Clans, darunter auch die Ellesmeres. Eines Tages fand man einen Stein, angespült aus der Nordsee. Er war sehr alt.
Die Druiden brachten den Stein in einen Steinkreis um ihn ihren Göttern darzubringen. Doch als am nächsten Tag die Morgensonne über die Küste schien war nichts mehr so wie es einst war. Die Menschen besaßen Gaben, man redete von einem Geschenk der Götter.", er sah sie vielsagend an.

Brianna verstand nicht was er ihr mit dieser Geschichte andeuten wollte und blinzelte ihn verständnislos an. Diese Geschichte war ja schön und gut aber langsam sollte er zum Punkt kommen.

Er fuhr fort: "Die einen hatten Kontrolle über die Elemente, die anderen konnten plötzlich Hinkelsteine auf einem Arm balanzieren, manche sprachen mit den Geistern ihrer Vorväter und andere wiederum hatten Macht über die Schatten.
Das ist eine von vielen Geschichten die man sich erzählt.", meinte er wegwerfend. "Das was sich jedoch überschneidet sind immer der Stein, die vier Clans und die Gaben." Erwartungsvoll blickte er ihr in die Augen.