London 1881
Es war ein verregneter Dienstagmorgen, die Straßenbeleuchtung glitzerte auf den überströmten Straßen und der Himmel hob sich weiß-bläulich von den dunklen Gebäuden des House of Parliament ab.
An der Saint Margaret Street trappelten hunderte von schwarzen Lederschuhen über die Pflastersteine. Abgeordnete und Beamte strömten in Massen über die Straßen und verschwanden zwischen den Toren zur St. Stephens Porch.
Ein Mädchen drängelte sich durch die Menge. Sie hastete an Nebeln von Rasierwasser vorbei und wich Regenschirmen und Aktenkoffern geschickt aus. Sie hatte grüne Mandelaugen und eine lang geschwungene Nase, die zielstrebig nach oben gerichtet war. Ihre Haare waren leicht nass von dem Regen und ihre Haut schimmerte feucht.
Als sie aus der Menschenmenge herauskam spannte sie ihren Schirm auf, hinter ihr kam eine mollige Frau mit blonden Haaren, die ihr zerzaust in alle Richtungen standen.
"Nächstes Mal nehmen wir die Kutsche, bei allem Respekt Miss." ächzte Mrs. Dotts.
Das Mädchen seufzte. Manche Leute hatten einfach kein Verständnis für morgendliche Spaziergänge.
"Nein werden wir nicht." sagte sie bestimmt und setzte ihren Weg fort.
Mrs. Dotts folgte ihr mürrisch.
Brianna hatte die Haushälterin in aller Frühe aufgescheucht, um sich neue Bücher zu holen. Für eine Dame ihres Ranges war es nämlich nicht üblich unbegleitet durch die Stadt zu spazieren.
"Wenn du nicht mitkommen willst, dann gehe ich eben allein.", hatte Brianna gegen Mrs. Dotts Tür gerufen und Anstalten gemacht sich lautstark zu entfernen. Das Mädchen hat es durchaus ernst gemeint, was Mrs. Dotts auch bewusst war.
"'Eee by gum!"ertönte ein Yorkshire Dialekt. Sofort war die Matrone auf den Beinen und riss die Tür ihrer Dienstbotenunterkunft auf. In blütenweißem Nachthemd und nackten, haarigen Füßen stand sie im Türrahmen. Brianna konnte sich ein Lachen kaum verkneifen. Und so musste die Haushälterin wohl oder übel mitkommen.
"Stubborn morngy brat.", schimpfte Mrs. Dotts, was soviel wie "sture Göre" bedeutet. An diesem schlecht gelaunten Morgen verfluchte sie Briannas Vorliebe für Bücher, die sie so früh aus ihrem warmen Bett, auf die Straßen befördert hatte. Aber es gab eine Sache, für die sie dankbar war, dachte Mrs. Dotts brummig. Sie war nur die Haushälterin - nicht die Gouvernante. Miss Bath erregte ihr tiefstes Mitleid. Einem Mädchen beizubringen still zu sitzen, dass früher Rugby mit seinen Cousins gespielt hatte. Kopfschüttelnd ging Mrs. Dotts hinter Briannas Mantel her.
'Wie oft habe ich Mr. Gilberts angeschrieben und wie oft hat es nichts gebracht!', klagte sie in Richtung des grauen Himmels.
Als Brianna ein kleines elternloses Baby gewesen ist, hätte sie nicht von Mr. Gilberts aufgenommen werden sollen! Dieser Mann war Gift für die Erziehung jeder Lady! Er setzte ihr nur Flausen in den Kopf mit seinen Weltkarten und Abenteuergeschichten.Im Übrigen hatte diese Familie hatte etwas Eigenartiges an sich. Von den Hausmädchen bis zu den alteingesessenen Haushälterinnen und Verkäufern in ihren Geschäften - die ganze Nachbarschaft zerriss sich die Mäuler. Grund dafür waren bestimmte Gerüchte die kursierten. Gefüttert wurden diese noch durch das Heraushalten der Gilberts aus der englischen Gesellschaft obwohl Mr. Gilberts aus einem alten englischen Adelgeschlecht stammte. Das Desinteresse an sämtlichen Tätigkeiten der Oberklasse und die Nichteinhaltung der bestehenden Klassengesetze heimste ihm den Ruf ein, ein Geheimniskrämer und Schnösel zu sein, zu gut um sich an die Regeln der Londoner zu halten. Es machte es nicht besser, dass Briannas Ururgroßmutter, Romilda Battenberg, vor 200 Jahren als Hexe verurteilt worden ist, weil sie den Großen Brand von London heraufbeschworen haben soll.
Am Abend des 15. Septembers 1666 brannte sie mit drei anderen Frauen in den letzten Feuern, angekettet an ihrem eigenen Haus. Der Pöbel beobachtete die Szene von Hempstead Heath aus, lachte und rief ihr wüste Beschimpfungen nach. Manche Leute waren noch heute der Meinung, dass alle Gilberts-Frauen Hexen waren und auf den Scheiterhaufen gehörten.
Das Verhältnis der Städter zu den Gilberts war eine auf und ab Beziehung. Mr. Gilberts war im Allgemeinen kein schlechter Mann. Er zeigte sich stets freundlich und großzügig aber da war irgendetwas an ihm... Magie?
Wenn jemand Mrs. Dotts darauf ansprach, um irgendetwas aus ihr herauszuquetschen, tat sie diesen Vorbehalt immer mit jener Einstellung ab: "Die Leute reden viel, vor allem wenn sie hungrig sind."
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Die Abenteuer der Brianna Brown
Historical FictionBrianna lebt im düsteren London des 19. Jahrhunderts. Ihr Leben verlief bisher in geordneten Bahnen, bis sie sich eines Tages wiederfindet, auf den Straßen Londons, verfolgt von einem schauerlichen Fremden. Dieses Ereignis bringt Dinge ans Licht, vo...