Weil ich dich liebe

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"Du hast Besuch" Cynthia streckt ihren Kopf zur Tür herein und lächelt mich an. Ich erkenne in ihren Augen, dass es ihr nicht wirklich besser geht, als mir. Aber im Gegensatz zu mir versucht sie immerhin stark zu sein. 

"Sag Annabelle, sie soll mich in Ruhe lassen. Ich rufe sie an, wenn ich jemanden zum Reden brauche.", erwidere ich und lasse mein Kopf wieder aufs Kissen fallen. Die Bettdecke fest um mich geschlungen warte ich, bis meine Schwester die Tür wieder schließt. Was aber leider nicht geschieht.

"Es ist nicht Annabelle.", sagt Cynthia leise. 

Würde ich nicht versuchen, mich so weit wie möglich von meinen Gefühlen abzuschotten, würde ich vor Neugier platzen, wer außer meiner besten Freundin plötzlich das dringende Bedürfnis verspürt mich zu besuchen. Als ich nichts erwidere, seufzt Cynthia. "Ich fahre jetzt einkaufen. Dad hängt genauso wie du nur in seinem Bett herum und starrt an die Wand." Sie lacht einmal heiser auf. "Immerhin säufst du nicht, Rose. Ich bin stolz auf dich." Dann höre ich ihre Schritte, die sich über den Flur entfernen. Sie spricht mit jemandem, aber anstatt zu lauschen, verliere ich mich wieder in meiner Trauer.

Schritte, die mein Zimmer betreten und eine Person, die die Tür hinter sich schließt, reißen mich aus meinen Gedanken. "Hallo Rose!"

Ich zucke bei dem Klang der Stimme zusammen. Was zum Teufel will Ashton hier? Ich antworte nicht, vergrabe mein Gesicht im Kissen und versuche ihn zu ignorieren. Gott, wieso muss er ausgerechnet dann beschließen Notiz von mir zu nehmen, wenn es mir beschissen geht?

"Das mit deiner Mutter tut mir leid."

Die Matratze senkt sich ein wenig, als er sich auf meine Bettkante setzt. Ich spüre die Wärme seines Körpers neben mir, reagiere aber nicht. Vielleicht haut er ja wieder ab, wenn ich ihn lang genug ignoriere.

"Meine Mum ist auch gestorben.", sagt Ashton nach einer Weile der Stille. "Vor zwei Jahren."

Das bringt mich dazu, mein Gesicht aus dem Kissen zu heben. Zögernd drehe ich mich auf den Rücken. "Das tut  mir leid." Ich habe bis jetzt absolut keine Ahnung gehabt, dass Ashtons Mutter gestorben ist. In der Schule hatte ich kein einziges Mal den Eindruck, dass etwas an ihm anders wäre, als sonst.

"Mir auch." Er lächelt bitter. "Ich kann verstehen, dass du auf gar nichts mehr Lust hast."

"Das ist die Untertreibung des Jahrhunderts.", erwidere ich leise. "Ich habe nicht schlichtweg keine Lust, ich kann einfach nicht. Egal was ich tue, ich sehe ständig ihr Gesicht vor mir." Ich versuche den Kloß in meiner Kehle hinunterzuschlucken, aber es funktioniert nicht.

"Meine Mutter hatte Krebs.", fängt Ashton an. "Sie hat bis zum bitteren Ende gekämpft um bei uns zu bleiben. Elf Monate hat sie jegliche Therapie anstandslos gemacht, obwohl sie ganz genau wusste, dass sie ihren Tod damit nur herauszögert. Für uns hat sie trotzdem versucht weiterzukämpfen. Aber schlussendlich hat sie den Kampf verloren."

"Was willst du damit sagen?", frage ich misstrauisch. "Dass ich glücklich sein sollte, dass ich meiner Mutter nicht beim Sterben zusehen musste? Dass ich mich freuen sollte, dass sie nur einen Autounfall hatte?"

"Gott nein!" Ashton sieht ernsthaft erschrocken aus. "Das wollte ich damit definitiv nicht sagen. Wenn du mich fragst: Ich habe keine Ahnung was schlimmer ist. Ja, ich habe meiner Mum beim Sterben zugesehen und das elf Monate lang, aber immerhin konnte ich mich von ihr verabschieden. Ihr sagen, wie viel sie mir bedeutet. Ich war darauf vorbereitet. Na ja, so vorbereitet wie man eben sein kann." Seine Stimme wird immer leiser. Ich spüre wie mir Tränen in die Augen treten und wende hastig den Blick von ihm ab.

"Ich hab ihr im ganzen letzten Jahr nicht ein einziges Mal gesagt, wie sehr ich sie liebe, weißt du?", flüstere ich schließlich.

Seine Finger schließen sich vorsichtig um meine und drücken sanft zu. "Das weiß sie ganz bestimmt."

One ShotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt