„Du siehst uuumwerfend aus!", schrie mir Emmanuel zur Begrüßung ins Ohr. Von ihm hatte ich schon sehr viel gehört. Er war Lucies schwuler bester Freund. Auf den ersten Blick wirkte er sehr sympathisch. Da konnte der Abend ja nur noch gut werden. Zur Party waren vor allem Mädchen geladen. Mein Single-Dasein würde ich in vollen Zügen genießen können.
In diesem Moment ertönte aus den Lautsprechern: „All the single ladies!"
„Kommt!" Mit der einen Hand schnappte ich mir Lucie, mit der anderen Emmanuel. „Dazu müssen wir Singles tanzen!"
Der Weg zur Tanzfläche war schnell bestritten. Wie gut es sich anfühlte wieder mal ausgelassen mit seiner besten Freundin zu feiern. Ganz so wie früher als wir noch in der Schule waren und heimlich am Wochenende zu den Partys unserer Freunde gegangen waren, anstatt zu lernen, wie wir unseren Eltern immer versprochen hatten. Schön, dass die guten, alten Zeiten zurückgekehrt waren. Das beste Silvester seit Jahren, so viel stand fest!
Nach drei Tänzen war ich allerdings schon völlig aus der Puste. Meine Güte, war das früher auch schon so anstrengend gewesen?
„Du bist nicht mehr so gut in Form wie früher!", scherzte Lucie, die anscheinend noch kein bisschen Seitenstechen verspürte wie ich.
„Ich geh nur schnell, was zu trinken holen.", japste ich, während ich mich nach vorne beugte, um den Seitenstechen ein wenig entgegenzuwirken.
„Mach das!" Lucie schlug mir aufmunternd auf die Schulter. „Und iss vielleicht noch ne Kleinigkeit bevor du mit dem Alkohol beginnst. Nicht, dass du..."
„Lucie, ich kann selbst auf mich aufpassen. Aber trotzdem danke." Leicht gequält lächelte ich sie an. Sie war ganz die Alte geblieben. Eine echte Mami.
Sich den Weg zur Bar zu bahnen, war deutlich anstrengender als der zur Tanzfläche gewesen war. Was tut man nicht alles, um sich kurz eine Verschnaufpause zu gönnen.
„Einen Tequila, bitte.", war das Letzte, was ich mit meinem letzten bisschen Atem aus mir herausgequält bekam. Erstmal hinsetzen. Ich beobachtete den Barkeeper, wie er meinen Tequila vorbereitete. Dann sah ich mich um. Wie viele Menschen gekommen waren! Lucies Silvesterfeier war wahrlich die Party des Jahrhunderts! Direkt vor mir lief eine relativ große Person vorbei, die mir für einen kurze Augenblick die Sicht versperrte. Na nu, was war das denn? Hatte ich mich etwa verguckt oder hatte diese Person gerade ernsthaft genau vor meinen Füβen ihren Papiermüll auf den Boden geworfen?! Unglaublich! Was fiel diesem Menschen ein? So ein Umweltverschmutzer! Und das auch noch in Lucies Wohnung. Was für ein Schwein! Trotz meiner Erschöpfung erhob ich mich, um das Papier aufzuheben. Schließlich sollte Lucie morgen nicht alles alleine aufräumen müssen. Erst als ich das Papier in der Hand hielt, erkannte ich, um was es sich dabei in Wirklichkeit handelte.
Wie von der Tarantel gestochen sprang ich von meinem Barhocker auf. Der Tequila konnte warten.
„Hallo! Hallo!", schrie ich aus Leibeskräften. „Sie haben da was verloren!"
Keine Reaktion. Sollte das ein Witz sein? So etwas verliert man doch nicht einfach so!
„Hallo!" Ich spürte, wie mir langsam die Luft ausging. Der neue Vorsatz fürs nächste Jahr: mehr Sport treiben. Gleichzeitig jemandem hinterherrennen und schreien war einfach zu viel verlangt. Wieso musste dieser Mann, der einen schwarzen Anzug trug, auch noch im Stechschritt vor mir her spurten?
„HEY!", schrie ich aus voller Inbrunst. Endlich reagierte der Mann und drehte sich in Zeitlupe zu mir um. Weshalb sich nicht die gesamte Wohnung zu mir wandte, blieb mir ein Rätsel.
„Wolltest du mit mir sprechen?" Seine Stimme klang angenehm tief. Das Schwarz seines Anzuges glitzerte leicht durch die Lichter der Diskokugel. Seine Haare hatten dieselbe Farbe wie sein Anzug. Mit einer geschmeidigen Handbewegung strich er sich eine Strähne aus dem Gesicht, wodurch seine wunderschönen blauen Augen zur Geltung kamen. Was für ein Mann! Aber ich war ja nicht zum Flirten gekommen.
„Ähm, also ich habe hier etwas aufgehoben, das dir gerade aus der Tasche gefallen ist."
Zugegeben, es war nicht die beste Formulierung, die man hätte wählen können. Doch wie hätte ich es ausdrücken sollen, ohne mich zu blamieren? Entschuldigung, aber dir sind gerade mindestens fünf Scheine aus der Tasche gefallen, bei denen es sich, wenn ich es so schnell richtig überblickt habe, ausschließlich um Fünfziger und Zwanziger handelt. Hier, ich gebe sie dir wieder. Gut, zum Flirten bin ich sowieso nicht geschaffen.
Erst leuchtete in seinen Augen ein kurzer Blick der Erschütterung auf, doch sofort wurde dieser durch ein Lächeln ersetzt.
„Oh mein Gott! Vielen Dank!" Ich spürte, wie er mit seinen starken Armen mich umschlossen. Seine Umarmung war so warm. All seine Muskeln spürte ich auf meiner Haut. Ich fühlte, wie sich die Wärme von ihm auf meinen gesamten Körper übertrug. Mit ihr wanderte auch sein unwiderstehliches Lächeln in mein Gesicht.
„Hier!" Er streckte mir seine Hand mit mindestens der Hälfte des Geldes hin.
„Nein, danke!" Heftig schüttelte ich den Kopf. Dergleichen konnte ich unmöglich annehmen.
„Darf ich dich wenigstensauf einen Drink einladen?", fragte er fast flehend.
„Nein!"
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Froher Neuanfang!
Short StoryWie froh Natalie ist, endlich ihren Ex und die alte, lästige Arbeitsstelle hinter sich gelassen zu haben. Endlich steht die langersehnte Silvesterparty ihrer besten Freundin Lucie vor der Tür. Noch ahnt sie nicht, dass sie dort jemandem begegnen wir...