Auf ein Wort

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Es war früher Mittag als Lilien keuchend durch das altbekannte Gartentor schritt. Der vertraute Duft nach Kindheit begrüßte sie, fand sich in jeder Ecke wieder. Linda öffnete ihr mit einem erstaunten Gesicht die Haustüre.
"Lilien? Was machst du denn hier?" Lilien lächelte schwach, ließ sich hereinhelfen und setzte sich erschöpft auf die Couch im Wohnzimmer.
"Ist mein Vater da?" Linda nickte.
"Ja, er sollte gerade seinen Unterricht mit Niena beendet haben. Ich werde ihn holen" Doch bevor sie auch schon wieder verschwinden konnte, hielt Lilien sie am Arm auf.
"Verstehen sie sich gut? Fühlt Niena sich hier wohl?" Linda zwang sich zu einem Lächeln. Das sie Niena nicht mögen würde, wusste Lilien von Anfang an. Linda tendierte zu der Ansicht 'Nur die Starken überleben'. Da passten stille, schüchterne und introvertierte einfach nicht rein. Und auch, wenn sie da sehr stur sein konnte, so war sie doch kein schlechter Mensch. Lilien hatte schon oft beobachtet, wie Linda ihre Mutter tröstete, falls diese mal wieder zusammenbrach und von einer Last sprach, die Lilien nun nur allzu gut nachvollziehen konnte. Traurig lächelnd sandte sie Rayna ihren Dank. Es war sicherlich nicht einfach gewesen als Arzt und Mutter zusehen zu müssen, wie die eigene Tochter auf keine Behandlung ansprang, wie der eigene Sohn in ihren Armen starb...
"Es gab ein paar Startschwierigkeiten, aber mittlerweile hocken sie bloß noch gemeinsam in Kenros Büro, wollen meistens gar nicht zum Essen runterkommen" Lilien zog die Augenbrauen hoch. Das es so gut lief hätte sie nicht erwartet. Sie wusste wie schwierig Kenro sein konnte, aber das Niena ihn so einfach von sich überzeugen konnte war ihr neu.
"Das... Sie darf in sein heiliges Büro?" fragte sie erstaunter, als sie wollte. Sein Büro war Kenros Heiligtum. Sein allerletzter Rückzugsort. Früher durften weder Rayna noch Lilien es betreten. Das änderte sich allerdings, als Kira die Türen mit ihrem Volleyball einriss und ihm stolz ihren ersten, ausgefallenen Milchzahn repräsentierte. Danach wurden wenige, gute Freunde dorthin eingeladen. Es war eine Ehre dort zu sitzen, mal ganz abgesehen von dem Vertrauen das Kenro ihnen damit entgegenbrachte wenn er sie inmitten seiner wichtigen Unterlagen begrüßte.
Linda nickte zur Antwort.
"Das läuft ja besser, als geplant" gab Lilien zu, ehe Linda verschwand um Kenro von seiner neuen Enkelin loszureißen. Leise schmunzelnd musste Lilien zugeben, das sie Kenro doch irgendwie verstehen konnte. Er war ein sehr ruhiger Mann, liebte die Ruhe sogar. Aber als er Rayna heiratete, die Verkörperung von Chaos und Spontanität, könnte Lilien schwören, das er zumindest auf ruhige Kinder hoffte. Weder Lilien noch Kira hatten diesen Wunsch erfüllt, deshalb war Niena sicherlich eine nette Abwechslung. Leise kichernd dachte Lilien an Kiras Reaktion, sobald sie erfahren würde, das sie nicht mehr Opas Liebling war. Wahrscheinlich würde sie ihm den Kampf um ihren Teddy ansagen.
Den Gedanken hatte Lilien noch nicht ganz zu Ende gedacht, da betrat Kenro auch schon das riesige Wohnzimmer. In seinen Augen stand die pure Überraschung.
"Lilie, bist du ganz allein hergekommen?"
"Freust du dich etwa nicht mich zu sehen?"
"Doch doch, ich wollte nur... Gib mir zuvor Bescheid, dann schicke ich ein Taxi" Lilien schloss Kenro zu Begrüßung in die Arme. Sie spürte wie zögerlich er war. Wie vorsichtig, als wüsste er nicht, ob sie bei Druck zerbrechen würde. Doch sobald sie ihren Griff verstärkte, schwand die Angst. Als kleines Kind hatte sie es geliebt ihn einfach nur bei der Arbeit zu beobachten. Wie scharf seine Züge werden konnten, wenn er außerhalb der Familie mit Leuten sprach und wie sie sich automatisch beruhigten, wenn er sich an sie wandte. Lilien liebte es noch heute. Dieses Privileg ihn Lächeln zu sehen. Sie lösten sich aus der Umarmung und setzten sich gegenüber voneinander hin.
"Ist es wichtig?" fragte er so direkt wie eh und je. Lilien nickte.
"Ja. Ich habe eine Bitte an dich, die ich nicht telefonisch klären wollte" Er nickte. Ein Zeichen das er ihr zuhören würde ohne sie zu unterbrechen. Lilien schmunzelte. Das musste sie zugeben, hatte sie ein bisschen bei Kiras Vater vermisst. Er war immer so voreilig gewesen. Schloss sein Urteil immer viel zu früh. Hastig schüttelte sie diesen Gedanken ab. Um Hiroto ging es jetzt nicht. Lilien atmete noch einmal tief durch. Verbannte all die schlimmen Gedanken an mögliche Zukunften.
"Ich weiß du hast an diesem Tag vor 8 Jahren ein Versprechen an Kira gegeben. Du wirst ihr kein Geld leihen, keine Hilfe bereitstellen, soweit sie dich nicht darum bittet und es dir zurückzahlen kann" Kenro nickte bestätigend.
"Deshalb bin ich an ihrer Stelle hier. Wir haben kein solches Versprechen. Ich brauche Geld, Papa. Mein Erspartes reicht gerade mal für die Schulden... Kira läuft bereits seit 4 Jahren mit denselben Klamotten rum, hat die meisten extra 3 Nummern größer gekauft um sie so lang wie möglich zu behalten. Wir haben gespart wo wir nur konnten. Aber für eine Operation reicht es dennoch nicht. Deswegen..." Lilien rutschte langsam von der Couch, platzierte ihre Stirn am Boden. Verbeugte sich auf die tiefstmögliche Art.
"Ich bitte dich. Schenke mir die Ressourcen, um meine Tochter zu retten!" Kenro hatte seine Tochter noch nie so demütig gesehen. Sonst war sie immer so stur, würde nicht einmal nachgeben, wenn es ihr Überleben erforderte... Aber, wenn es um ihre Familie ging war Lilien schon immer sensibler gewesen. Auch das schien eine seltsame Angewohnheit der Shinayakas zu sein. Sie alle hatten ein Thema, ob Familie oder Sportart, das ihnen mehr am Herzen lag als alles andere. Etwas wofür sie die Welt opfern würden.
"Lilie..." Seine Stimme wurde weicher, beinahe schon sanft. Kenro nahm Liliens Hände und half ihr so wieder auf die Füße. Ein Ausdruck von Wärme lag in seinen Augen.
"Du sprichst hier von meiner Enkelin. Wie könnte ich da 'Nein' sagen?" Lilien lächelte ein tröstliches Lächeln.
"Was, wenn es mehr ist, als wir dachten? Was, wenn es Komplikationen gibt und du für-" Kenro unterbrach sie mit dem sanftesten Ton, den Lilien bisher nur einmal gehört hat. An dem Tag als er Rayna tröstete. Am Todestag ihres kleinen Bruders.
"Kein Betrag wäre zu hoch. Kira liegt mir am Herzen. Wenn nötig bezahle ich sogar die Pflegekosten bei einem Koma. Verstanden?" Lilien nickte, unfähig etwas anderes zu tun.
"Danke, Papa..." flüsterte sie mit Tränen in den Augen.

(Haikyuu FF) Volleyball ist ihr Leben!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt