Schlechte Neuigkeiten

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Der nächste Morgen begrüßte Kira mit Luftmangel. Sie riss die Augen auf und schob Niena hastig aus ihren Armen, bevor sie im Bad verschwand und den Schleim in ihrem Hals aushustete. Mit einem kräftigen Schniefen ins Taschentuch betrachtete sie ihr Spiegelbild. Seufzend wandte sie sich wieder von dem Grauen ab.
"Bei dem Morgen kann der Rest des Tages ja nur toll werden..." murmelte sie mit kränklicher Stimme und einsetzenden Kopfschmerzen, die sie in die Knie zwangen. Gerade noch rechtzeitig konnte Kira sich am Waschbecken auffangen. Erschöpft taumelte sie in die Küche, um sich ein Brot für die Schule zu schmieren. Niena weckte sie extra nicht, da diese eine Pause von der Schule gut gebrauchen würde. Das Kira ebenfalls eine Pause gut tun würde, war ihr allerdings nicht in den Sinn gekommen. Bevor sie jedoch auch nur daran denken konnte das Buttermesser hervorzuholen, zog Lilien sie zurück in ihr Zimmer. Bei Nienas schlafendem Anblick hielt sie kurz inne, warf Kira einen Blick zu, der Bände sprach und zwang sie dann dazu sich wieder hinzulegen.
"Mir geht es gut... Ich kann immer noch zur Schule gehen!" Kira setzte ihren Welpenblick auf, doch im Gegensatz zu ihren Kindertagen schien er nun seinen Effekt verloren zu haben. Lilien machte sich nicht einmal die Mühe darauf zu antworten, sondern schnipste ihrer Tochter stattdessen gegen die Stirn, was Kira vor Kopfschmerzen zusammenkauern ließ.
"Du ruhst dich heute aus. Keine Diskussion" Die 16 Jährige wagte einen kurzen Blick in Liliens Augen, die sie beinahe ans Bett fesseln wollten. Seufzend gab sie nach.
"Aber nur heute..." murmelte sie leise, was von ihrer Mutter mit einem 'Jaja' abgetan wurde. Damit wollte Kira sich nach dem Telefon strecken, um der Schule und ihrem Volleyballteam bescheid zu geben, doch Lilien kam ihr zuvor.
"Ich mach das schon" beruhigte sie ihre übermütige Tochter, legte ihr eine Hand auf die Stirn und zog sie hastig wieder zurück, als hätte sie sich verbrannt. Die Sorge stand Lilien deutlich ins Gesicht geschrieben. Kiras Fieber war seit ihrer Operation nicht mehr so hoch gewesen. Wie verzweifelt hatte Kira damals gewimmert. Hastig schob Lilien diesen Gedanken beiseite. Sie wollte gar nicht erst daran denken, wie diese Krankheit Kiras Zukunft beeinflussen würde, so wie es ihre beeinflusst hatte. Niena, die von all dem Trubel langsam wach wurde, öffnete zögerlich ihre verweinten Augen. Die Wangen noch immer von ihren Tränen verklebt.
"Sekretariat Karasuno, was kann ich für Sie tun?" Für einen Augenaufschlag sah man die Missgunst in Liliens Augen aufleuchten, doch sie verschwand sofort wieder und Lilien senkte ergeben den Kopf. Sie wusste zwar, das Kira sich als Junge ausgab, hatte es jedoch nie gut geheißen. Denn, wenn sie einmal mit dem Lügen anfing, würde sie nicht mehr aufhören können, bis sie sich schließlich in diesem Netz aus Lügen verlieren würde. Das war das Letzte, was Lilien für ihre Tochter wollte.
"Mein Sohn, Kira Shinayaka, wird heute aus gesundheitlichen Gründen nicht am Unterricht teilnehmen können" Lilien hörte, wie die Sekretärin auf ihrer Tastatur tippte.
"Hmm... Ah da, Kira Shinayaka aus der 1-1. Ich werde es weitergeben. Gute Besserung" Lilien bedankte sie, legte auf und gab dann dem Volleyballclub bescheid. Deutlich erleichtert mummelte Kira sich in die Bettdecke ein. Sie schloss genüsslich ihre Augen, als Lilien ihr über die heiße Stirn strich. Sie hatte es nicht zugeben wollen, aber insgeheim hatte sie sich nach einem langen erholsamen Schlaf gesehnt.
"Du hast Fieber" stellte Lilien fest. Kira gab ein wohliges Geräusch von sich.
"Ich werde sehen, was wir noch an Medizin haben. Niena?" Die 14 Jährige zuckte zusammen.
Ihre himmelblauen Augen sahen Lilien schuldbewusst an.
"J-Ja...?" fragte sie voller Furcht auf die erwartete wütende Reaktion. Doch die kam nicht. Stattdessen lächelte Lilien eines ihrer sanften Lächeln, die Niena an gestern Abend erinnerten.
"Könntest du mir ein bisschen helfen? Leider schaffe ich solche Dinge allein nicht mehr... du wärst mir eine große Hilfe" Überrascht blickte Niena von Lilien zu Kira, die bestätigend nickte, woraufhin Niena sich ein wenig gequält aus der warmen Decke schälte. Unbeholfen tasteten ihre Finger nach ihrer Brille, die man ihr schlussendlich zuschob. Mit einem dankenden Nicken stand sie auf.
"Sie sollten in dem kleinen Schrank im Bad über dem dem Waschbecken sein" Die 14 Jährige murmelte etwas Unverständliches, bevor sie im Flur verschwand. Lilien wartete bis sie außer Hörweite war und zwickte Kira dann in die Wange. Diese gab ein quiekendes Geräusch von sich.
"Du bist wirklich unverschämt! Du kannst Niena doch nicht einfach so hier schlafen lassen. Hast du schon mal darüber nachgedacht, was ihr das für Signale gibt?" Kira wich den braunen Augen ihrer Mutter schuldbewusst aus, vergrub sich unter der Bettdecke.
"Aber sie war gestern so aufgelöst... ich wollte sie nicht schon wieder allein lassen" Lilien seufzte.
"Wenn sie aus freiwilligen Stücken zu dir gekommen ist, war es richtig was du getan hast. Trotzdem solltest du im Hinterkopf behalten, das sie dich mit solchen Aktionen nicht als große Schwester wahrnehmen wird. Auch, wenn du deine neue kleine Schwester verhätscheln willst" Die großen, grünen Augen blickten neugierig aus der Bettdecke hervor. Neue kleine Schwester? Hatte Kira richtig gehört?
"Heißt das wir können sie behalten?" Ein Lächeln zierte Liliens Lippen, was ihren ernsten Gesichtsausdruck wegwischte.
"Ich würde sie ungern wieder abgeben, aber schlussendlich muss Niena das selbst entscheiden und das Jugendamt hat da auch noch ein Wörtchen mitzureden" Bei dem Wort 'Jugendamt' zuckte Kira zusammen. Sie hatten es nur mit Mühe geschafft seinem Radar zu entkommen. Wenn sie sich jetzt dort melden würden, wäre das so als würden sie sich freiwillig ausliefern. Lilien wusste ganz genau was Kira gerade im Kopf rumging. Wahrscheinlich spielte sie gerade alle Szenarien durch in denen sie Niena zwar halfen, aber selbst untergehen würden.
"Kira..." Ihre Stimme war wie der Hauch von einem Frühlingswind und doch schaffte dieser Wind es immer wieder Kira zur Vernunft zu bringen.
"Eins nach dem anderen, ok? Zuerst musst du gesund werden und dann sehen wir weiter"
"Ok..." murmelte sie.
"Kann ich noch irgendwas für dich tun, bevor du mir wegdöst?" Ein Kopfschütteln, das Kira sofort wieder bereute, war ihre Antwort.
"Gut, dann wecke ich dich heute Nachmittag wieder, damit wir zum Arzt können" Kira, die von ihrer vorigen Aktion gelernt hatte, gab ein zustimmendes Gemurmel von sich. Nur wenige Sekunden danach betrat Niena ein wenig ungeschickt den Raum. In der Hand eine Packung Tabletten, die sie verzweifelt versuchte mit ihrer morgendlichen verschwommenen Sicht zu entziffern. Lilien schmunzelte beim Anblick des Maulwurfes.
"Sind das die Richtigen?"
"Hast du denn noch andere gesehen?" stellte Lilien die Gegenfrage, was Niena hochrot anlaufen ließ.
"...Nein..." murmelte sie dann. Kira bekam die Tabletten nur mit viel Mühe runter. Sie war kurz davor einzuschlafen, beobachtete mit halboffenen Augen, wie Lilien taumelnd den Raum verließ und konnte Niena gerade noch daran hindern dasselbe zu tun. Überrascht sah die 14 Jährige sie an, was Kira ein schwaches Lächeln abrang.
"Lilien wird dich für heute bei deiner Schule abmelden. Sie wird dich nicht verurteilen, ist eine gute Zuhörerin und gibt tolle Ratschläge. Im Gegensatz zu mir ist sie also der perfekte Ansprechpartner... was nicht heißt das du sie ansprechen musst..."
"O-Ok" antwortete Niena verunsichert. Kira zog sie ein wenig näher. Ihre Stimme war ein bloßes Krächzen. Rau und dennoch voller Sänfte.
"Weißt du noch wo der Supermarkt ist, in dem ich arbeite?" Niena nickte.
"Irgendwann heute Mittag sollte dort eine junge Frau einkaufen. Sie ist ziemlich auffällig, du kannst sie also gar nicht übersehen. Könntest du ihr ausrichten, das ich heute Abend einen Schutzengel brauche?" Vorsichtig legte Niena eine Hand auf Kiras. Sie war kalt und schwach. Ein Lächeln huschte über Nienas Lippen. Genau so, wie sie sich fühlte, wie sie war. Kalt und Schwach.
"Ich versuche es" Kira lächelte sanft.
"Danke..." flüsterte sie, bevor ihre Augen wie von selbst zufielen. Behutsam legte Niena ihre Hand unter die Bettdecke. Für einen Moment betrachtete sie das friedliche Bild der schlafenden Kira.
"Ich danke dir... für alles" flüsterte sie, bevor sie mit bewölktem Kopf ging um Lilien zu helfen. Zu gern wollte Niena ihre Maske zurücklassen und nicht den Erwachsenen spielen. Doch die Ereignisse des letzten Abends waren einfach noch zu frisch. Die Furcht saß zu tief, weshalb Niena es einfacher fand bei ihrer gewohnten Routine zu bleiben.

(Haikyuu FF) Volleyball ist ihr Leben!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt