Zoey
Wo zur Hölle ist Nico?! Im Flur tummeln sich betrunkene Paare; wild knutschend und fummelnd. Ich kenne diese Menschen nicht. Offensichtlich sind in der Zwischenzeit weitere Gäste dazugekommen.
Mein Kopf dröhnt, mir ist nach wie vor schlecht. Die Infos, die ich von Helens Bruder erhalten habe, haben meine Übelkeit verstärkt. Ich kann nicht näher darüber nachdenken, sonst übergebe ich mich. Mir ist das alles zu viel. Ich muss Nico finden und dann will ich sofort nach Hause!
Morgen schaue ich, wie es weitergeht ... Auf jeden Fall werde ich ihn zur Rede stellen, sosehr ich solche Gespräche auch verabscheue.
Ich finde ihn zugedröhnt in dem Sessel, in dem ich am Anfang des Abends saß. Dass er kifft, ist mir neu. Helens Bruder hat seine Aufsichtspflicht definitiv vernachlässigt.
Warum hat er sich überhaupt um mich gekümmert? Okay, er ist dazwischen gegangen. Das war richtig. Aber die Sache mit der heimlichen Aufnahme hätte er nicht regeln müssen und ebenso wenig musste er ein Auge auf mich werfen, während ich weggetreten war. Seine Aufgabe war es, die Party im Zaum zu halten. Was das angeht, hat er total versagt. Wie gut, dass wir alle volljährig sind. Deshalb sieht er das mit der Aufsichtspflicht wohl nicht so eng ... Vielleicht sorgen sich Helens Eltern auch nur um die teure Einrichtung. Soll mir gleich sein. Meine Sorge ist, wie ich Nico von hier wegbekomme.
»Ey, ich will nach Hause!« Ich rüttle an seiner Schulter. Langsam hebt er den Kopf und sieht mich an.
»Heeey! Liebling! Was geht?« Das fehlt mir jetzt noch! Ich drehe mit den Augen und massiere mir die Schläfen. Vielleicht sollte ich einfach alleine nach Hause fahren. Aber mein Verantwortungsbewusstsein sagt mir, dass ich ihn in diesem Zustand nicht alleine lassen kann. Wer weiß ... Am Ende landet er noch mit Helen im Bett. Dann war's das mit meiner romantischen Vorstellung von einem »Nur-wir-für-alle-Zeit«. Alles wäre ruiniert. Und das wäre ganz allein meine Schuld.
»Komm, hoch mit dir«, fordere ich ihn auf sich zu bewegen und zupfe dabei am kurzen Stück Ärmel seines T-Shirts.
»Ach, wieso denn? Ist doch gerade so gemütlich!« Eine Welle der Verzweiflung überflutet mich, mir ist nach Weinen zumute. Wie peinlich wäre das, wenn ich losheule, weil mein Freund nicht mitkommen will? Das ist nicht mein Stil. Ich weine nie. Ich verdränge die negativen Gefühle, die mich schwächen, indem ich sie mit hartnäckiger Wut deckle.
»Nico! Mir geht's nicht gut! Wir fahren jetzt!«
»Okay, Liebling. Nächstes Mal lasse ich dich besser direkt zu Hause.« Das tut weh, aber immerhin gibt er nach und erhebt sich.
Es dauert gefühlte Stunden, bis Nico sich von allen verabschiedet hat. In der Zwischenzeit habe ich ein Taxi geordert, das bald weiterfährt, wenn er sich nicht beeilt.
Helens Bruder ist mir nicht mehr über den Weg gelaufen. Offenbar hält er sich lieber in dem Gästezimmer auf, als sich unter die Leute zu mischen. Irgendwo ist es ja nett von ihm, dass er seiner Schwester den Spaß nicht verdirbt, indem er die Party nicht auflöst ... Aber wäre ich er, hätte ich schon längst alle heimgeschickt.
»So. Wir können.« Nico wirkt plötzlich wesentlich klarer. Viel scheint er nicht konsumiert zu haben, wenn die Wirkung bereits nachlässt.
Nachdem wir zu Hause angekommen sind, falle ich erschöpft ins Bett und schlafe sofort ein.
Irgendwann wache ich mitten in der Nacht auf. Ein schweres Keuchen neben mir ist für die Unterbrechung meines Schlafes verantwortlich. Ohne mich zu bewegen, schiele ich auf die andere Bettseite. Nico ist wach. Und er onaniert. Sofort schließe ich die Augen und tue so, als würde ich nach wie vor schlafen. Das Rascheln der Bettdecke wird lauter; er muss vor einem Orgasmus stehen. Kurz darauf stöhnt er erleichtert auf. Ich kann hören, wie er ein Taschentuch aus der Packung, die auf dem Nachttisch liegt, zieht. Er wischt sich sauber, wirft das benutzte Tuch auf den Boden, dreht sich um und schnarcht wenig später.
Ich brauche eine Ewigkeit, bis ich erneut einschlafe. Meine Gedanken kreisen darum, wie ich diese Beziehung retten kann. Es scheint nicht gut um uns zu stehen, wenn sich mein Freund nachts heimlich im Bett selbst befriedigt. Gewiss plagte ihn die Geilheit, weil er nicht zum Schuss kam, als er mich in der Küche gefickt hat. Daran ist Helens Bruder Schuld! Er hätte sich besser nicht einmischen sollen! Hätte Nico sich an mir befriedigt, hätte er nicht heimlich Hand anlegen müssen und ich würde mich jetzt nicht betrogen fühlen ... Ich weiß, dass das bescheuert ist. Mit wem soll Nico mich betrogen haben? Etwa mit seiner Hand? Nichtsdestotrotz fühlt es sich irgendwie so an. Ich muss eine Lösung für die Misere unseres Sexlebens finden!
»Guten Morgen, Liebling.« Der Duft von frisch gekochtem Kaffee steigt mir in die Nase. Ich öffne die schweren Augenlider. Die Nacht war kurz.
Nico reicht mir einen Becher Kaffee und lächelt mich zuckersüß an. Kaffee kann ich jetzt wirklich gut gebrauchen!
»Danke, lieb von dir.«
»Für meine Freundin nur das Beste.« Es ist lange her, dass er mich mit Kaffee am Bett geweckt hat. Hat er ein schlechtes Gewissen?
»Du bist ein Schatz«, entgegne ich. Ich schließe die Augen, nehme einen tiefen Atemzug durch die Nase und genieße das heiße Gebräu. Langsam erwacht mein System zum Leben. Einen günstigeren Zeitpunkt über den gestrigen Abend zu sprechen, wird es bestimmt nicht geben. Daher stelle ich Nico zur Rede; trotz seiner lieben Geste mit dem Kaffee.
»Was war das gestern für eine Aktion?« Seine Miene wirkt schlagartig genervt. Von dem gut gelaunten Freund ist nichts mehr zu spüren. Und schon bereue ich es, das Problem angesprochen zu haben ...
»Hatte Lust auf dich. Ist das verboten?«
»Und warum wurden wir gefilmt?«
»Ich wusste nicht, dass Fred uns heimlich gefilmt hat.« Er lügt. Da ich es aber nicht beweisen kann, kann ich dem nichts entgegenbringen. Mir bleibt also nichts anderes übrig, als ihm zu glauben.
»Ich möchte nicht noch einmal in so eine Situation gebracht werden.«
»In was für eine Situation? Dass ich Lust auf dich habe?«
»Das meine ich nicht. Ich habe mich überrumpelt gefühlt.«
»Andere hätten sich darüber gefreut, von ihrem Freund begierig genommen zu werden ...«, sagt er vorwurfsvoll, sich keiner Schuld bewusst.
»Vielleicht können wir uns darauf einigen, nur nüchtern miteinander zu schlafen«, versuche ich das Gespräch zu entschärfen.
»Zoey, du bist echt langweilig.« Wieder mal treffen mich seine Worte wie ein Stich mit einem scharfen Messer in meine Eingeweide.
»Stehst du darauf, vor anderen Sex mit mir zu haben?«, frage ich bitterernst. Ich weiß ehrlich gesagt rein gar nichts über Nicos Vorlieben, obwohl wir schon so lange zusammen sind.
»Keine Ahnung. Auf jeden Fall stehe ich darauf, Sex mit dir zu haben, wenn mich die Lust überkommt ... Dieser geplante Sex im Bett läuft immer gleich ab. Es reizt mich einfach nicht mehr.«
»Okay ...«, gebe ich nach. Mir geht es ja nicht anders, aber das sage ich ihm nicht. Ich werde mir etwas überlegen und den Reiz zu neuem Leben erwecken.
Damit ist die Unterhaltung beendet. Am Frühstückstisch schweigen wir uns an und gehen unseren Gedanken nach. Ich hoffe nicht, dass Nico in Erwägung zieht, die Beziehung zu beenden oder fremdzugehen.
Letztlich liegt der öde Sex auch an mir. Ich darf nicht von ihm erwarten, alleine für neuen Schwung zu sorgen; es liegt ebenso in meiner Verantwortung. Daher beschließe ich, morgen nach der Arbeit im Café ein Erotikgeschäft aufzusuchen. Ich möchte Nico mit Dessous überraschen, auch wenn das total klischeehaft ist. Aber vielleicht regt das seine Fantasie an und inspiriert ihn, den Sex mal anders anzugehen. Mit mehr Leidenschaft, mit mehr Geduld.
Die sexy Wäsche reißt er hoffentlich nicht sofort von meinem Körper, wie es sonst der Fall ist. Neue Zuversicht packt mich und verschafft mir gute Laune.
Ich schlage Nico vor, den Sonntag kuschelnd mit einem Serienmarathon auf dem Sofa zu verbringen, statt wie gewohnt gemeinsam in die Therme zu gehen.
»Gute Idee«, sagt er, froh darüber, dass das Thema nun erst einmal vom Tisch ist. Die morgige Überraschung muss ein Erfolg werden.
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His Weakness Is Her Attraction - Zoey & Vincent
Short StoryDie Romantikerin in mir klammert sich an ein Für-immer-und-Ewig und deshalb gebe ich mein Bestes, damit die Beziehung mit Nico, meiner ersten großen Liebe, hält. Doch die Begegnung mit Vincent verändert alles ... Ich habe Zoey deutlich zu verstehen...