Kapitel 7

276 8 0
                                    

Zoey

Ich stehe im Badezimmer vor der langen horizontalen Spiegelfront und starre mich seit ungefähr zehn Minuten an. Nico liegt bereits im Bett und chattet wie üblich mit seinen Jungs.

Heute Vormittag gewann seine Mannschaft ein Fußballspiel; das wollte ich als Vorwand nehmen ihn zu verführen. Nun stehe ich verunsichert im Bad und weiß nicht, wie ich das anstellen soll, ohne mich total zu blamieren. Mein Anblick ist befremdlich, das fand ich schon vor ein paar Wochen in der Umkleide ... Nur hat Helens Bruder mich mit seiner Anwesenheit von meinen Selbstzweifeln abgelenkt, die mich nunmehr erfolgreich eingeholt haben.

Ich sehe eine hübsche Frau Mitte zwanzig. Mein inneres Gefühl harmoniert überhaupt nicht mit meinem äußeren Erscheinungsbild. Ich fühle mich nicht wie eine Frau, ein Vamp, eine Femme fatale. Ich fühle mich wie Zoey, ein Mädchen, das Vampirgeschichten mag, in einem schönen Café arbeitet und davon träumt, ewig mit ihrer Jugendliebe zusammenzubleiben. Ich habe mich seit meinem 18. Lebensjahr nicht weiterentwickelt.

Ich bin optisch zu einer Frau herangereift, aber in meinem Inneren versuche ich krampfhaft an dieser Unschuld, dem Kindlichen festzuhalten. Ich vermisse meine Freunde, mit denen ich mich über Intellektuelles unterhalten, stundenlang nerdig über Fantasy quatschen und herumalbern kann.

Bei den Mädels aus Nicos Clique geht es nur darum, noch attraktiver auszusehen und schlecht über andere zu reden, um sich selbst aufzuwerten. Und die Jungs haben nur Fußball und Sex im Kopf. Vielleicht liegt es auch an Nico, dass ich mich nicht weiterentwickelt habe. Vielleicht ist es sein nach wie vor pubertierendes Verhalten, das mich negativ beeinflusst ...

In seiner Nähe fühle ich mich ganz anders. Auch nicht gerade selbstsicher, aber anders. Gesehen. Ja, er sieht mich. Und er hat mich nicht ausgelacht, als ich ihm von meiner Vampirfantasie erzählt habe.

Ich denke an sein Kompliment, an seinen Blick und plötzlich durchflutet mich eine innere Stärke. Ich gehe da jetzt raus und zeige Nico, was in mir steckt, und dass er mich gefälligst nicht für frigide zu halten hat!

Ich gebe der Schlafzimmertür einen sanften Stoß, leise schwingt sie auf. Nico blickt nicht hoch. Ich trete ans Bettende heran und setze mich sexy in Szene, um ihm mein neues Dessous zu präsentieren. Noch immer schenkt er mir keine Aufmerksamkeit und schaut konzentriert auf sein Smartphone. Wut gepaart mit Enttäuschung schäumt in mir auf! Ich halte meine Pose nicht länger, schreite direkt an seine Bettseite und reiße ihm das Handy aus der Hand.

»Ey!«, entfährt es ihm. Ich schaue aufs Display und sehe, dass der WhatsApp Chat mit seinen Fußballjungs geöffnet ist. Ohne zu überlegen, aktiviere ich die Handykamera, schieße ein Selfie von mir in Unterwäsche und sende es ab. Bevor Nico reagieren kann, schicke ich noch ein »Nico ist beschäftigt« hinterher.

Ich gebe ihm sein Handy zurück. Er starrt mit großen Augen auf das Bild, das jetzt alle sehen können.

»Bist du irre?! Was ist denn in dich gefahren?«

Ich sehe, wie er es aus dem Chat löscht. Die ersten Reaktionen gehen ein: Viele Flammen Emojis.

»Plötzlich so unlocker? Letztens war es doch noch in Ordnung, mich mitten auf einer Party zu vögeln und dabei filmen zu lassen.«

»Das war etwas völlig anderes! Jetzt denken die Jungs, du bist ein Flittchen! Die werden sich mit anzüglichen Sprüchen nicht mehr zurückhalten, wenn du zu den Spielen kommst!«

»Ah, erst bin ich zu prüde und frigide und soll mich aufreizender anziehen und jetzt bin ich ein Flittchen?!«

»Du hast es übertrieben!«

»Ich sehe also für dich wie ein Flittchen aus? Das hier war verdammt teuer!« Ich deute auf das dunkellilane Dessous an meinem Körper. Er sagt nichts, straft mich mit Ignoranz ab. Er wendet sich wieder seinem Smartphone zu. Ich stratze zur anderen Bettseite, klemme mir Kissen und Decke unter die Arme und verschwinde im Wohnzimmer.

Nico folgt mir nicht.

Im Badezimmer eingeschlossen, schlüpfe ich in meine herkömmliche Unterwäsche, ziehe mein Schlafhemd über, schminke mich ab, putze Zähne und lege mich bettfertig aufs Sofa.

Erst jetzt realisiere ich, was da eben passiert ist. Die Oberkatastrophe! Natürlich kommt Nico nicht zu mir, um sich zu entschuldigen und die Wogen zu glätten.

Um mich von meinen unzähligen Gedanken abzulenken, setze ich meine Kopfhörer auf, stöpsle sie in mein Handy und fahre mit meiner üblichen Playlist fort. Der Song Leiser von Lea ertönt. Ich liebe diesen Song! Ja, warum wohl?!, wirft meine innere Stimme ein. Ich muss weinen. Langsam kann ich mir nichts mehr vormachen: Ich bin unglücklich.

Auch am nächsten Tag werde ich ignoriert und somit geht es nicht wie gewohnt in die Therme.

Erst als ich am Montag von der Arbeit zurückkomme, redet Nico wieder normal mit mir. Als wäre nichts gewesen ... 

His Weakness Is Her Attraction - Zoey & VincentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt