ALICE

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Mein Digitalwecker klingelt. Ich ziehe meine Schlafmaske aus und blinzle ins Sonnenlicht. Es ist Freitag, Ende Juni, der Himmel ist meerblau und die Sonne steht schon hoch. Ich öffne mein Fenster und sehe auf unseren großen Garten, indem das Wasser des Pools glitzert. Ich schlüpfe in meinen blassrosa Morgenmantel und gehe die offene Treppe hinunter in den Salon. Eine Schüssel mit Obstsalat und Ahornsirup steht schon bereit. Während ich mir ein Milchshake mixe, gehe ich meinen Tagesablauf durch. Als erstes steht Schule bis um 1 Uhr an. Anschließend bin ich zu Hause und nachmittags kommen Jana, Vivian und Zoé zum Übernachten.

„Hiiii!“, begrüße ich Betty, unsere Haushälterin, nach der Schule. Papa und  Mama sind noch nicht da und ich helfe Betty beim Pesto zubereiten. Ich mag Betty. Sie ist wie meine Ersatzmutter: Oft lieb, aber sie kann auch böse werden. Naja also weiter: Nach dem Essen setze ich mich an den Schreibtisch und mache erstmal Hausaufgaben. Boa! Deutsch ist echt der dümmste Kack auf Erden. Sorry, dass ich das mal sagen muss. Gedichte sag ich nur… Mein Handy vibriert. Whatsapp! Vielleicht ist es ja Marius. Marius ist mein Freund. Ich bin seit einem Jahr, zwölf Tagen und sieben Stunden mit ihm zusammen. Er geht in die Neunte, hat braune kurze Haare und schlanke muskulöse Beine <3. Ja! Eine neue Nachricht von Marius. Ich lächle. „Hast du heute Abend Zeit? Ich würde gerne mal wieder mit dir ins Kino oder zur Kerwe gehen.“ Mist! Jetzt muss ich ihn schon wieder versetzen. Genau die gleiche Frage hat er mir vor drei Wochen gestellt, aber da hatte ich ein Tennisturnier. „Sorry! Hab mich mit Jana, Vivi und Soso verabredet. Wie sieht es aus mit Frühstück im Café Barack am Sonntag um zehn???“, schreibe ich ihm zurück. Bitte, bitte, bitte! Nach knapp drei Minuten, klingt eine neue Nachricht auf. „Ja das passt. Freu mich schon auf dich Schatz. Hast du schon was in den Ferien vor?“ Stimmt! Ferien. So kurz vor Notenschluss habe ich mir darüber gar keine Gedanken mehr gemacht. Nach Brasilien will ich nicht wieder. Da waren wir vor einem Jahr schon und auf den Touristentrubel in Mallorca habe ich auch keine Lust. Vielleicht Paris??? Ich werde heute Abend mal Mama und Papa fragen. Vielleicht haben die ja schon was geplant. Undvielleicht kann Marius ja auch mitkommen?

Nach den Hausaufgaben ziehe ich mir eine Sporthose und ein T-Shirt an und nehme Baloo, meinen Dalmatiner, an die Leine. „Ciao Betty! Ich geh mal eine kleine Runde mit Baloo joggen. Bin in vielleicht einer halben Stunde zurück.“ „Ja ist okay. Viel Spaß.“ „Danke!“ Ich schlage die Tür hinter mir zu und laufe den langen Kiesweg hinab auf die Straße. Nach zwei Gehminuten erreiche ich den Wald und falle in einen langsamen Einlauftrab. Manchmal brauche ich einfach Zeit zum Abschalten. Einfach niemanden um einen herumhaben, der einen nervt und jeden Tratsch erzählt. In dieser Zeit habe ich mal Zeit nachzudenken, ruhig zu werden und den ganzen Schulstress hinter mir zu lassen. Nach etwa einem Kilometer, mache ich Halt an einem Bach. Baloo springt gerne ins Wasser und ich kann mich dehnen. Unter der Woche mache ich Tennis, Schwimmen und Tanzen, doch an den Tagen, an denen ich keinen Sport mache, brauche ich noch etwas um mich auszupowern. Unter der Woche bin ich eher die hippe Alice, die den neuesten Modetrends folgt und alles kann. Aber wenn ich alleine bin, liebe ich es einfach mal alleine in der Natur zu sein. Diese Momente genieße ich. Deshalb ist Soso auch meine beste Freundin. Sie wohnt auf einem Bauernhof und ihr ist es egal, mit was für Klamotten sie herumläuft. Hauptsache ihr gefällt es. Vivi und Jana sind eher die Stadtmädels. Sie wohnen beide mitten in der Stadt und verbringen ihre Freizeit mit Frisörterminen, shoppen und quatschen. Vivian wohnt mit ihrer Familie in einer alten Stadtvilla. Richtig gemütlich. Auf ihrer Dachterrasse ist ein Pool, von dem man über die ganze Stadt sehen kann. Ihre Eltern leiten einen Drogeriemarkt und verdienen sehr gut. Okay, ich muss nichts sagen, meine Eltern verdienen auch sehr gut, aber ich gebe mein Taschengeld meistens gar nicht aus. Ich bin eher eine Sparmaus. Außerdem sind Vivians Eltern trotz ihres anstrengenden Berufes mittags und abends zuhause und haben Zeit  für ihre Tochter. Meine Eltern sind superlieb, aber am Tag sehe ich sie höchstens dreißig Minuten. Darüber bin ich sehr traurig. Zumindest sind Baloo und Betty da. Die beiden habe ich richtig lieb. Ich sehe Baloo beim Planschen zu. „Komm Baloo! Ich will noch zum großen Felsen. Komm!“ Ich mache mich auf den Weg und jogge den Berg hoch bis ich neben einem Felsen lande. Das ist mein allerliebster Lieblingspunkt. Man hat einen Blick auf unser ganzes Wohnviertel: Die ganzen Villen mit den Pools und den riesigen Gärten. Rundherum kreist der Wald die Anwesen ein. Man sieht den Alltag unter einem, riecht die frische Waldluft und möchte am liebsten den ganzen Tag da oben bleiben. Ab und zu fahre ich hier auch mit meinem Mountainbike hoch. Dann habe ich etwas Kleines zu essen dabei und mache hier oben meine Hausaufgaben. Eine andere Person habe ich hier noch nie mit hin gebracht, denn ein richtiger Wanderweg führt hier nicht entlang. Ich habe den Felsen entdeckt, als Baloo abgehauen ist und ich ihn suchen musste. Der Felsen ist nicht sonderlich groß, und man kann auch nicht wirklich auf ihn raufklettern, aber die Aussicht ist bombastisch. Ich denke an heute Abend. Mädchenabend! Ich muss noch Cocktails machen, mein Zimmer aufräumen, die Luftmatratzen vom Dachboden holen und meine Haare glätten. Aber ich habe ja noch ein bisschen Zeit. Meine Haare sind immer so ein Mix aus lockig, strähnig und abstehend!?! Morgens brauche ich immer Stunden, um die zu glätten. Deshalb mache ich eigentlich immer einen Dutt oder Pferdeschwanz. Ich mache mich wieder auf den Weg nach Hause. Vor unserer Garage steht ein BMW. Das ist das Auto meiner Eltern. Ich renne zur Haustür und klingle Sturm. „Mama! Du bist ja schon da!“ „Ja mein Schatz. Patrick und ich haben eine große Überraschung für dich.“ „Cool. Also, was?“ „Wir müssen noch auf deine Freundinnen warten.“ „Hä?“ „Alice. Gedulde dich einfach. Du kannst Papa begrüßen. Er ist oben.“ Ich check gerade Garnichts Was haben denn meine Freundinnen mit meinen Eltern zu tun? Also Mama und Papa mögen Jana, Vivi und Soso, aber eine Überraschung, die mit ihnen zu tun hat ist eigenartig. Naja. Jetzt brauche ich erstmal eine kalte Dusche. Ich laufe ins Bad und stelle mich unter die Regenwalddusche. Das kalte, nach Zitronenminze riechende, Wasser ist erfrischend. Das Shampoo schäumt auf und ich spüle es mit dem Jetstrahl aus. Ich steige aus der Dusche aus und schnappe mir ein flauschiges, großes Handtuch. Soll ich noch eine Haarpflege nehmen? Aber wir gehen ja bestimmt in den Pool. Also lieber doch nicht. Ich trage eine Gesichtsmaske auf und tapse in mein Zimmer. Die Fensterfront lässt das warme Sonnenlicht hinein und ich bleibe kurz stehen, um die Wärme zu genießen.  

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