3 - Zwei zu viel

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Titus

"Das ist jetzt nicht dein Ernst, Alex!" Ich fahre mir durchs Haar und starre meinen WG-Mitbewohner sprachlos an.

"Sorry, man", murmelt Alex unglücklich, aber irgendwie sieht er auch verdammt energisch aus. "Guck mal, Jessi ist schwanger und..."

"Alter! Weißt du nicht, wie man ein Kondom benutzt?" Alex zuckt nur unglücklich mit den Schultern und ich hätte ihn am liebsten geschüttelt, zwinge mich aber, die Hände ruhig zu halten.

"Titus, du verstehst das doch", versucht Alex es jetzt. Er betont meinen Namen so, als wäre es nicht schon schlimm genug, dass meine Eltern sich damals von der Masse abheben wollten und was Außergewöhnliches gewählt haben. Titus. Das klingt wie ein Boxer, wie der ich nun wirklich nicht aussehe.

"Ich muss jetzt an meine Familie denken!", versucht Alex es in dem, was er für einen erwachsenen Tonfall hält. Und das von einem Typen, der an seinem Geburtstag vor zwei Wochen noch Wettsaufen mit den Mädels vom Angels veranstaltet und verkündet hat, dass keine Frau ihn länger halten könnte. Jedenfalls, solange Jessi nichts davon erfährt. Eigentlich hätte ich das ja erwarten müssen.

"Ich versteh so einiges", sage ich jetzt und sehe mich im Raum um, um Alex nicht weiter anzustarren, sonst würde ich ihm sicher eine reinhauen. Mein Hirn beginnt die verschiedenen Möglichkeiten durchzugehen, während ich mir das Gesicht reibe. Umziehen. Jetzt. Wo ich gerade erst den neuen Job angefangen habe und ganz sicher nicht zwei Tage frei bekomme. Oder auch nur einen. Wir sind unterbesetzt.

"Kannst du's dir nicht noch mal überlegen? Zwei Wochen sind verdammt knapp!", versucht ich Alex umzustimmen. Zwei Wochen sind verdammt knapp und wenn ich ein Arsch wäre, würde ich Alex jetzt die Faust ins Gesicht rammen, nur für den Vorschlag. Zwei Wochen, um eine Wohnung zu finden und meinen Kram hier weg zu bekommen! Jessi muss es ja wirklich verdammt eilig haben.

"Jessi will halt schon das Kinderzimmer einrichten", murmelt Alex betreten, als hätte er meine Gedanken gelesen, und ich starre ihn stumm an.

"Sie hat noch Monate vor sich!", halte ich ihm schließlich vor, die Hände vorm Gesicht, weil ich eigentlich weiß, dass es zwecklos ist. Wenn Jessi was will, dann bekommt Jessi das auch. Sie wohnt nicht mal hier - jedenfalls noch nicht - und hat trotzdem die Regie übernommen. Und jetzt will sie hier einziehen und hat anscheinend einen Braten in der Röhre.

"Hast du's Benny schon gesagt?", nuschle ich zwischen meinen Fingern hervor und die Stille ist so ausgiebig, dass ich zu Alex zurück sehe, um zu sehen, ob er nicht zwischenzeitlich heimlich verschwunden ist. Zuzutrauen wäre es ihm ja: einfach abhauen und es mir überlassen, die schlechte Nachricht zu überbringen.

"Nein, du weißt doch, wie er ist." Wenigstens hat Alex den Anstand, betreten auszusehen. "Also, lass mich das mal klar stellen", ich lasse die Hände sinken und gebe mir keine Mühe, meinen sarkastischen Tonfall zu verbergen. "Du wirfst uns raus, wegen deiner schwangeren Ersatz-Mutti, gibst uns nicht mal zwei Wochen zum Ausziehen und jetzt soll ich das Benny klar machen?"

Alex nickt so heftig, dass ihm die Haare fliegen, als draußen das Geräusch des Wohnungsschlüssels zu hören ist.

"Ein Monat", knurre ich unterdrückt.

Er wird weiß wie die Wand, als versuche er zu entscheiden, wer ihn mehr fertig machen wird, die Harpyie Jessi oder Benny, der jetzt in der Tür steht und uns neugierig mustert.

"Hey, was ist los?", fragt er harmlos, aber Alex zuckt zusammen, als hätte man ihm mit Schlägen gedroht.

"Deal", sagt er zu mir und hält mir die Faust hin. "Du, ich muss jetzt aber auch schon wieder, Jessi will noch..." Er verstummt wie abgeschnitten, quält sich ein Grinsen hervor und huscht aus der Tür. Dabei muss er sich an Benny vorbei drängen und sieht kurz aus, als würde er vielleicht doch lieber aus dem Fenster klettern.

Als die Tür hinter Alex zu fällt, stehen wir noch immer so da, wie zwei falsch gelieferte Möbelstücke.

"Gibt's Stress?", fragte Benny und jeder andere als ich hätte sich jetzt möglicherweise vor Schreck verkrochen, obwohl er ganz normal klingt.

Benny ist 1,85 groß, blond, blauäugig und braun gebrannt nach dem langen Sommer. Die Muskelpakete an seinem Oberkörper und seinen Armen lassen regelmäßig reihenweise Frauen vor Verzückung in Hysterie ausbrechen. Wenn ich mit ihm unterwegs bin, frage ich mich manchmal, ob an mir denn so gar nichts zu sehen ist, weil keines der Weiber sich traut, ihm eine Telefonnummer zuzustecken. Sie kommen alle deswegen zu mir. Okay, vielleicht nicht alle, aber genug, dass man Minderwertigkeitskomplexe kriegen könnte.

Wir sind vor einem Jahr bei Alex eingezogen und ich hab mir nie die Mühe gemacht, ihn wegen Benny aufzuklären. Ich wollte, dass er selbst drauf kommt, aber Alex ist eigentlich ein Idiot. Nett, erträglich, aber so hohl wie eine Glühbirne. Er ist kein Hänfling, aber neben Benny sieht er aus wie ein dürres Hühnchen. Und wenn er schlechte Nachrichten hat, kommt er immer erst zu mir. Damit Benny ihm nicht die Fresse poliert, sollte er doch mal ausrasten.

Ich kann's ihm nicht verdenken. So wie Benny aussieht, und wie er spricht, in diesem tiefen, ruhigen Tonfall, den manche Menschen einfach nur bedrohlich finden, könnte man meinen, er hätte es nicht nötig, sich aufzuregen, weil jeder sowieso gleich springt.

Tatsache ist aber, dass Benny keiner Fliege was zuleide tun könnte. Er trägt sogar Spinnen auf den Balkon und füttert die Tauben, so dass man ständig aufpassen muss, wo man hin tritt, um nicht immer Vogelscheiße an den Schuhen zu haben. Außerdem ist er schüchtern, was viele für drohendes Schweigen halten, wenn er mal wegen irgendwas bedrängt wird. Was vor allem die Frauen anzieht, die sich dabei wohl sonst was vorstellen.

Aber Benny steht eben nicht auf Frauen. Nicht auf die heißen oder süßen oder auf so zickige Harpyien, wie Alex sich eine angeschafft hat. Benny steht auf Männer. Das ist auch der Grund, warum er so durchtrainiert ist. Nicht, weil er sich im Fitnessstudio einen aussuchen will, sondern weil er früher deswegen öfter mal verprügelt wurde. Man sollte doch meinen, dass die Menschen in der heutigen Zeit weniger Probleme damit haben, aber ist wohl falsch gedacht, jedenfalls damals in der Schule. Benny geht trotzdem jede Woche drei mal ins Fitnessstudio und inzwischen macht ihn seit Jahren niemand mehr dumm an, was ihm völlig reicht. Ich weiß nicht mal, ob er überhaupt eine Ahnung hat, wie man richtig zuschlägt.

"Wir müssen umziehen", seufze ich jetzt und drehe mich zu ihm um.

"Oh", antwortet Benny. Mehr nicht. Er sieht sich im Wohnzimmer um, als überlege er, was er alles mitnehmen muss. Fast macht es mich wütend, aber so ist er eben. Es gibt Schlimmeres, sagen seine Augen. Ist ja auch nicht gelogen. So toll ist diese Wohnung wirklich nicht. Die Wände sind papierdünn und ich hätte damals am liebsten eine Party geschmissen, als Jessi endlich entschieden hat, dass sie und Alex in ihrer Wohnung schlafen, wenn sie denn mal Bock hat. Aber das spielt ja jetzt keine Rolle mehr.

"Ich hab ihn auf nen Monat hochgehandelt", rede ich weiter, um nicht auszurasten. Am liebsten würde ich es, aber wenn Jessi mitkriegt, dass ich mich quer stellen will, hab ich sie auch noch am Hals. "Schau ihn in den nächsten Tagen einfach mal ein bisschen finster an, damit er das nicht vergisst."

Benny wirft mir einen überraschten Blick zu. "Wenn du meinst", sagt er mit seiner tiefen Stimme, als könnte er sich nicht mal vorstellen, dass das funktioniert.

Wortlos verlasse ich den Raum, um nicht noch vorzuschlagen, dass er Alex auch einfach ein bisschen gegen die Wand drücken kann. Nur ein bisschen natürlich. Bis Alex blau anläuft und diese Scheiße vergisst. Jaja, so bin ich. Der infernalische Dr. Frankenstein und sein gutmütiges Monster. Klingt wie eine abgefahrene Idee zum nächsten Halloween, aber wenn ich doch mal tatsächlich tun sollte, was mir in Momenten wie diesen so durch den Kopf geht, könnten sie mich vielleicht genauso lynchen wollen wie Frankenstein im Film.

Während ich meinen Laptop hochfahre, höre ich Benny im Nebenraum. Vermutlich sucht er schon sein Zeug zusammen. Jetzt gerade wünsche ich mir wirklich, dass er einmal - nur einmal - so ausrasten würde, wie ich innerlich. Aber es bringt ja nichts.

Seufzend fange ich an, Wohnungsinserate durchzugehen, und versuche mir einzureden, dass die Aussicht darauf, Jessi nicht mehr täglich sehen zu müssen, alle Nachteile überwiegt.

Ich hab genauso Angst wie duWo Geschichten leben. Entdecke jetzt